Montag, Januar 20

Der Ethereum-Mitgründer Joseph Lubin glaubt, dass die zweitgrösste Blockchain viel wertvoller werden wird als Bitcoin. Er erzählt, wie alles in der Schweiz begann.

Joseph Lubin hat mitgeholfen, die vielleicht wichtigste digitale Infrastruktur der Welt zu schaffen – und zwar in der Schweiz.

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Wenn sich die Vision von ihm und seinen Mitstreitern erfüllt, dann wird Ethereum der Standard für ein neues Internet sein, das nicht länger von grossen Konzernen beherrscht werden kann: ein komplett dezentral aufgebautes World Wide Web, in dem die Nutzer die Kontrolle über ihre Daten haben und frei von Zwischenhändlern digitale Vermögenswerte kaufen und verkaufen können.

Der Amtsantritt von Donald Trump ist ein grosser Tag für Ethereum. Zwar feiert die ganze Krypto-Branche den Machtwechsel in Washington als Moment der Befreiung. Aber Lubin sagt, die Unternehmer im Ethereum-Ökosystem hätten mehr Grund aufzuatmen als alle anderen. Ethereum stand ganz besonders im Fokus des grossen Gegenspielers der Branche: Gary Gensler, der Chef der US-Börsenaufsicht, der jetzt abgetreten ist.

Der Grossinquisitor

Er hat in den Worten Lubins «eine Inquisition» gegen Ethereum geführt, da er dieses Netzwerk als besondere Gefahr angesehen habe. Von den behördlichen Sanktionen war auch Lubin persönlich betroffen. Er ist Chef von Consensys, einer Firma, die unter anderem die bekannte Ethereum-Wallet Metamask entwickelt.

Der Milliardär gebraucht im Zusammenhang mit Genslers Vorgehen den Begriff «carpet bombing»: Damit meint man in der IT eine Überlastungsattacke, bei der ein Computersystem durch eine enorme Zahl kleiner Anfragen gelähmt wird.

Der Chef der Börsenaufsicht deckte Krypto-Firmen, aber auch unabhängige Entwickler mit so vielen Auskunftsbegehren und Klagen ein, bis diese nicht mehr wussten, wo ihnen der Kopf steht. Und den Banken legten die US-Behörden ans Herz, keine Geschäfte mit Krypto-Firmen zu machen.

Lubin glaubt, dass die Regierung Trump mit sogenannten Executive Orders, also präsidialen Dekreten, den «unfairen Verfahren» gegen die Branche rasch ein Ende bereiten wird.

Das ist übrigens auch im Interesse der Familie Trump. Sie hat mit World Liberty Financial vor kurzem ebenfalls eine Applikation auf der Ethereum-Plattform gebaut. Diese Firma wirbt mit dem Konterfei des neuen US-Präsidenten und will Finanzdienstleistungen auf der Blockchain anbieten.

Dafür eignet sich Ethereum im Urteil der meisten Experten am besten. Auch Larry Fink, der Chef des weltgrössten Vermögensverwalters Blackrock, hat ein Faible für das Ethereum-Netzwerk. Er ist der Ansicht, dass über kurz oder lang alle Vermögenswerte auf der Blockchain gehandelt werden.

Ether, der Token von Ethereum, ist derzeit mit einem Marktwert von 400 Milliarden Dollar zwar bloss die zweitgrösste Kryptowährung. Aber Ethereum ist mehr als eine Blockchain: Es handelt sich eigentlich um ein ganzes Ökosystem, bestehend aus Tausenden von Projekten, die Ethereums Infrastruktur und Software nutzen.

Ein System von Blockchains, die mit Brücken verbunden sind

Eine Plattform also, auf der jeder seine Anwendung programmieren darf, ohne dafür eine Bewilligung zu benötigen. Entwickler können auf Ethereum sogar Blockchains bauen, die dann in direkte Konkurrenz zu Ethereum treten – indem sie Transaktionen schneller und billiger abwickeln. In diesem weitverzweigten Netzwerk von Blockchains, die über Brücken miteinander verbunden sind, bezahlt man direkt oder indirekt mit Ether.

Für Lubin ist deshalb klar, dass Ether dereinst viel mehr wert sein wird als Bitcoin: «Wenn man Bitcoin mit Gold gleichsetzt und Ethereum mit Elektrizität, Erdöl, Gas und allen Firmen in allen Nationalstaaten, wird Bitcoin im Vergleich zu Ethereum ein Zwerg sein.»

Die jüngsten Entwicklungen scheinen Lubin recht zu geben: So haben kürzlich eine Reihe von Firmen wie die Deutsche Bank oder Sony Blockchains auf der Ethereum-Plattform geschaffen – um von deren Sicherheit und Neutralität profitieren zu können.

Denn der grosse Trumpf von Ethereum ist die Dezentralität: Die Weiterentwicklung und der Betrieb dieses Netzwerks sind auf so viele Köpfe und Computer verteilt, dass Einzelpersonen nur wenig Einfluss haben: Auch die Ethereum-Gründer selbst haben sich entbehrlich gemacht.

Diese Eigenschaften machen es für Firmen wie die Deutsche Bank oder Sony interessant, Ethereum als Infrastruktur für eigene Dienste zu verwenden. Lubin vergleicht dies mit dem Aufkommen des Internets in den 1990er Jahren: Damals wurde den Firmen bewusst, dass sie eine Präsenz im World Wide Web brauchten: eine nach der anderen richtete eine eigene Website ein.

Die Ursprünge in der Schweiz

Wir treffen Lubin in St. Moritz, an der exklusiven Krypto-Konferenz CfC, wo er letzte Woche referierte. Früher war der gebürtige Kanadier, der in New York lebt, regelmässig in der Schweiz.

Das Konzept für Ethereum entwarf das Wunderkind Vitalik Buterin 2013. Der kanadisch-russische Softwareentwickler und Ehrendoktor der Universität Basel beschrieb seine Idee für Ethereum in einem Whitepaper. Er war damals gerade einmal 19-jährig.

2014 gründete dann eine Gruppe von Unternehmern und Entwicklern, zu denen auch Lubin gehörte, die Firma Ethsuisse und dann die Ethereum-Stiftung in Zug. «Es war ein sehr bewusster Entscheid, die Schweiz als Standort zu wählen», sagt Lubin. «Die Amerikaner sind Leuten, die eine neue Form von Geld schaffen wollen, nicht freundlich gesinnt.»

Die Schweiz jedoch mit ihrer Wertschätzung für die Privatsphäre, ihren dezentralen Strukturen, Behörden mit einer Dienstleistungskultur und einer direkten Demokratie schien der perfekte Ort, um Ethereum auf die Beine zu stellen.

Eine Kerngruppe von Entwicklern um Buterin lebte während ein paar Jahren in Zug. Lubin, der 30 Jahre älter ist als Buterin, entschied sich dagegen hin- und herzureisen. «Organisiert haben wir uns über Skype.»

Nun ist es längst nicht mehr notwendig, sich an einem Ort zu treffen. Es wäre sogar bizarr, zentrale Strukturen zu unterhalten, wo Ethereum doch ein dezentrales System ist, an dem weltweit Zehntausende von Entwicklern mitbauen. Und das eigentlich ohne seine Gründer auskommen kann.

Nun, wo die Regierung Biden Geschichte ist, können sich die Entwickler auf die vielleicht grösste Herausforderung konzentrieren: Dafür zu sorgen, dass Ethereum-Anwendungen aus der Nerd-Nische herausfinden. Dass sie zu nutzerfreundlichen Diensten werden, wie wir sie vom herkömmlichen Internet her kennen.

KI in der Krypto-Wallet

Lubin stellt für die nächsten ein, zwei Jahre grosse Fortschritte in Aussicht: In der Krypto-Wallet seiner Firma soll man künftig einen KI-Agenten um Informationen bitten können. Oder ihn damit beauftragen, eine gewünschte Transaktion autonom abzuwickeln.

Solche Wallets kann man mit einem Bankkonto vergleichen: bloss dass man sie eröffnet, ohne dass man seine Identität preisgeben oder Dutzende von Dokumenten unterschreiben muss. Danach können Nutzer unverzüglich Finanzgeschäfte tätigen, auch solche, die in der traditionellen Welt eher den Investmentbanken vorbehalten sind.

Regulierung auf der Blockchain

Kurz: Es gibt eine himmelweite Kluft zu den herkömmlichen Banken, die stark reguliert sind und von Bürokratiemonstern beaufsichtigt werden. Können diese beiden Welten je zusammenwachsen? «Menschen haben auf der Blockchain die volle Kontrolle über ihr Geld und können damit anstellen, was sie wollen. Das ist schlimm, oder?», fragt Lubin ironisch.

Doch er sagt auch, dass es ohne weiteres möglich sei, die Regulierungen einzelner Länder direkt auf einer Blockchain zu verankern.

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