Sonntag, September 29

Beim grössten Schweizer Baukonzern Implenia kommt es zu einem geordneten Führungswechsel. André Wyss wird nächsten Frühling die Leitung an Jens Vollmar übergeben, dem bisherigen Leiter der Hochbausparte. Das ist ein positives Signal für die Aktionäre.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Der Architekt der Transformation von Implenia tritt ab. Nach sechseinhalb Jahren an der Spitze des grössten Schweizer Baukonzerns wird sich André Wyss ab nächstem Frühjahr seinen Mandaten ausserhalb der Bauwirtschaft widmen.

Heute Mittwoch hat der Bundesrat der Wahl von Wyss in den Verwaltungsrat der SBB gutgeheissen. Im April 2025 wird er ins Gremium gewählt. Ein Jahr später wird Wyss das VR-Präsidium der Bundesbahnen von Monika Ribar übernehmen. Sein Mandat beim deutschen Pharmakonzern E. Merck KG, wo er Mitglied des Gesellschafterrats ist, will er behalten. Angebote für ein weiteres CEO-Amt habe er abgelehnt, sagte er gegenüber The Market.

Anfang April nächsten Jahres wird Jens Vollmar, der Leiter der Leiter der Hochbausparte und langjähriger Weggefährte Wyss› während der tiefgreifenden Neuausrichtung des Konzerns das Amt des CEO übernehmen. Damit ist strategische Kontinuität gewährleistet, was aus Aktionärssicht zu befürworten ist.

Vollmar ist seit elf Jahren bei Implenia tätig. Ab 2015 führte er den Bereich Hochbau und sitzt seit 2019 als Leiter der Division Buildings Mitglied auch in der Geschäftsleitung von Implenia. Wer künftig die Leitung der grössten Division führen wird, soll in den kommenden Monaten entschieden werden. Externe wie interne Kandidaten würden in Erwägung gezogen, sagte Wyss.

Weil Vollmar auch Länderchef Schweiz ist, scheint der 40-jährige Deutsche der ideale Kandidat, die von ihm seit Jahren mitgetragene Strategie weiter zu führen.

Der richtige Mann am richtigen Ort

Wyss, der im Oktober 2018 von Novartis zu Implenia kam, war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um den strategisch vom Weg abgekommenen Konzern zu reformieren. Nach zwölf Jahren unter der starken Hand von Anton Affentranger, in denen das Streben nach Grösse im Vordergrund stand, brauchte es wohl einen Externen und Branchenfremden wie Wyss, um die überfällige Rosskur durchzuziehen.

Erstaunlicherweise wurde der Umbau zu einem fokussierten Baukonzern, der sich auf seine Stärken – den Heimmarkt Schweiz und grosse Infrastrukturprojekte in ausgewählten europäischen Ländern – besinnt, ohne grosse Veränderungen im Verwaltungsrat vollzogen. Das Gremium segnete zwar jahrelang Affentrangers fehlgeleitete Wachstumsstrategie ab. Weil Wyss aber in Verwaltungsratspräsident Ulrich Meister einen starken Unterstützer des Strategiewechsels fand, gelang die Trendwende relativ rasch. Meister will dem Vernehmen nach im Präsidium bleiben.

Anstrengende Gesundung

Es dauerte aber fast vier Jahre, bis Implenia ausreichend gesundgeschrumpft war, dass sie wieder profitabel arbeiten konnte. Es ist der durch die Pandemie verlängerten Durststrecke zuzuschreiben, dass die Ära Wyss mit einem Minus abschliessen wird. Während seiner Amtszeit sank der Börsenwert von Implenia rund 40%, während der marktbreite Swiss Performance Index (ohne Dividenden) um rund einen Viertel zulegte.

Doch die Rosskur war unvermeidlich. Implenia verfolgt mittlerweile ein wertsteigerndes Geschäftsmodell, verfügt in ihren Zielmärkten über eine starke Marktposition und hat wieder eine gesunde Bilanz.

Die am Mittwoch von Implenia publizierten Semesterzahlen unterstreichen die gewonnene Solidität. Inmitten einer kriselnden Bauwirtschaft gelingt es dem Unternehmen, die Rentabilität zu halten. Im traditionell schwächeren ersten Halbjahr, in dem in der Regel etwa 40% des Betriebsgewinn erwirtschaftet wird, erzielte Implenia einen leicht höheren Ebit von 50,5 (i. V. 49,9) Mio. Fr. Die Ebit-Marge blieb auf 2,9%.

Wie üblich wird die zweite Jahreshälfte rentabler ausfallen. Auch der negative freie Cashflow von 280,2 (310,1) Mio. Fr. in der Berichtsperiode entspricht dem typischen saisonalen Geschäftsverlauf.

Für das Gesamtjahr hält das Management an seiner Prognose fest. Der Betriebsgewinn auf Stufe Ebit soll rund 130 Mio. Fr. (2023: 122,6 Mio.) erreichen. Auch die mittelfristigen Ziele wurden bestätigt: Bald soll die Betriebsgewinnmarge über 4,5% zu liegen kommen und eine Eigenkapitalquote von 25% erreicht werden. Mitte Jahr belief sich die Quote auf 20,5% (Ende 2023: 18%), wenn der Emissionserlös aus einer kurzfristigen Festgeldanlage herausgerechnet wird. In der IFRS-Rechnung wird eine Eigenkapitalquote von 19,7% (Ende 2023: 19,8%) ausgewiesen.

Mit dem Bau allein sei eine Marge von 4,5% kaum realisierbar, erklärte der Konzernchef. Deshalb verlagert sich Implenias Geschäft in vor- und nachgelagerte Bereiche (u. a. Wincasa), wo mehr drinliegt. Dank einem rigorosen Qualitätssicherungsprogramm (Value Assurance) ist es dem Unternehmen gelungen, nicht nur weniger unrentable Projekte zu zeichnen, sondern sie auch während der Realisierung laufend zu überprüfen, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden. In der Vergangenheit entpuppten sich bei Implenia immer wieder Projekte als Verlustquelle.

Damit ist es nun offenbar vorbei: «Die realisierten Margen haben sich kontinuierlich den kalkulierten angenähert», sagt Wyss. Mittelfristig, also auf einige Jahre hinaus sei er überzeugt, dass sogar eine oberhalb von 4,5% liegende Ebit-Marge für Implenia drinläge, sagte er gegenüber The Market.

Der ohne Druck erfolgte Abgang des Konzernchefs zeigt, dass sich Implenia in einer soliden Verfassung ist. Die Nachfolgeplanung ist geglückt, schon Monate im Voraus konnte ein valabler Nachfolger für Wyss nominiert werden. Auch der Wechsel in der Division Civil Engineering (Tiefbau) erfolgt geordnet: Für Christian Späth, der das Unternehmen Ende Monat verlässt, übernimmt der bisherige Leiter des weltweiten Tunnelbaus, Erwin Scherer, ab Anfang September die Leitung.

Die nächste Phase beginnt

Mit André Wyss verliert Implenia den Architekten der erfolgreichen Sanierung. Mit der einschneidenden, aber schliesslich geglückten Transformation des Baukonzerns hat er unter den Investoren viel Vertrauen aufbauen können. Vor allem ist es ihm gelungen, dass eine unvermeidlich scheinende, Gewinn verwässernde Kapitalerhöhung verhindert werden konnte.

Der Abgang von Wyss ist dahingehend zu interpretieren, dass Implenia nun gesund genug ist, um die mittelfristigen Ziele aus eigener Kraft zu erreichen. Auch wenn sich eine spektakuläre Kursavance wie zwischen Sommer 2022 und Sommer 2023, als sich der Unternehmenswert mehr als verdoppelte, kaum wiederholen dürfte, haben die Implenia-Aktien an Anlagequalität gewonnen.

Diese Einschätzung sehe ich auch durch den Einstieg des Unternehmers Philipp Buhofer bestätigt. Über die Investmentgesellschaft der Familien Buhofer und Rubli (Buru Holding) hat er vom langjährigen Aktionär Rössler 13,7% übernommen. Der Ankeraktionär verfolgt eine langfristige Anlagedauer und bringt sich auch bei strategischen Fragen aktiv ein, wie sich bei Kardex, Cham Group und Schaffner zeigte.

Ungeachtet der seit Anfang Jahr erzielten Kursavance sind die Titel nicht überbewertet. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 7 ist auch im Quervergleich zur europäischen Konkurrenz, die stärker von der Branchenkrise tangiert ist, bescheiden. Die Rentabilität wird es Implenia erlauben, die Ausschüttung zu erhöhen und sich langsam wieder an Akquisitionen zu wagen. Die bisher guten Erfahrungen mit dem Immobilienbewirtschafter Wincasa geben Vertrauen, dass die wertsteigernde Verbreiterung der Wertschöpfungskette auch für die Aktionäre Mehrwert generieren wird.

Freundlich grüsst im Namen von Mr Market

Giorgio Müller

Exit mobile version