Freitag, November 15

Gegen den Deutschen Florian Willet wird im Zusammenhang mit dem ersten Tod in der Suizidkapsel wegen vorsätzlicher Tötung ermittelt. Nun spricht erstmals sein Verteidiger.

Am 23. September starb eine 64-jährige Amerikanerin als erste Person in der umstrittenen Suizidkapsel Sarco, in einem Schaffhauser Waldstück. Von der Organisation The Last Resort, die die Kapsel zur Verfügung gestellt hat, war nur eine Person vor Ort: das Vorstandsmitglied Florian Willet. Die Polizei nahm ihn mit, seit sieben Wochen sitzt er inzwischen in U-Haft.

Eine solch lange U-Haft wäre eher unüblich, wenn es lediglich um einen Verstoss gegen das Verbot ginge, Suizidbegleitungen «aus selbstsüchtigen Beweggründen» durchzuführen. Doch die Schaffhauser Staatsanwaltschaft ermittelt auch wegen vorsätzlicher Tötung: Sie schliesst nicht aus, dass die Amerikanerin durch Fremdeinwirkung gestorben ist. Dies, weil gemäss Staatsanwaltschaft bei der Frau offenbar Verletzungen am Nacken festgestellt worden sind.

Filmaufnahmen, die das Geschehen vom 23. September dokumentieren und von der niederländischen Zeitung «De Volkskrant» ausgewertet worden sind, sollen Willet hingegen entlasten: Nichts deute darauf hin, dass der Deckel des Sarco geöffnet worden sein könnte, nachdem die Amerikanerin hineingestiegen war. Allerdings sollen die Aufnahmen Lücken haben – laut den Sarco-Leuten, weil die Kameras nur auf Bewegung hin aktiv wurden.

Darüber hinaus gebe es aber auch technische Aufzeichnungen der Sauerstoffkonzentration, die belegen würden, dass der Sauerstoffgehalt bei der Aktivierung des Sarco stark abgefallen und bis weit nach dem Tode auf tödlichem Niveau geblieben sei. Auch das wäre nicht möglich, wenn jemand den Deckel des Sarco geöffnet hätte.

Staatsanwaltschaft schweigt

Details zur angeblichen Fremdeinwirkung sind von offizieller Seite nicht zu bekommen: Die Schaffhauser Staatsanwaltschaft hüllt sich in Schweigen. Und das nicht nur gegenüber den Medien, sondern angeblich auch gegenüber dem Anwalt von Florian Willet, Petar Hrovat. Dieser kritisiert das Vorgehen in einem Gespräch mit der NZZ scharf: «Wir bekommen keine Akteneinsicht. Das ist eine eklatante Verletzung der Verteidigungsrechte.»

Auch der Autopsiebericht liege noch nicht vor. So behauptet Hrovat, er wisse nicht, was es überhaupt für Anhaltspunkte geben könnte für eine vorsätzliche Tötung. Allerdings habe die Staatsanwaltschaft selbst ein Dokument vorgelegt, laut dem im Halsbereich der Verstorbenen keine DNA von Willet gefunden worden sei.

Die Staatsanwaltschaft würde Willet und seinen Anwalt wie eine Partei behandeln, die sich komplett verweigere. «Dafür gibt es keinen Grund, denn mein Mandant kooperiert voll und ganz und hat keine Absicht, etwas zu verheimlichen», sagt Hrovat. Willet habe ausführliche Aussagen gemacht und sich nicht dagegen gewehrt, dass die Ermittler sein Handy und sein Tablet auswerten.

Der Deutsche wartete zudem laut dem «Volkskrant»-Bericht nach der Meldung an die Polizei rund zwei Stunden neben dem Sarco, bis die Schaffhauser Behörden endlich im Waldstück eintrafen. Es stellt sich die Frage, ob er dies getan hätte, wenn er die Frau eigenhändig umgebracht hätte und mit entsprechenden juristischen Konsequenzen hätte rechnen müssen.

Nitschke wollte anreisen

Der Sarco-Erfinder Philip Nitschke und seine Frau Fiona Stewart verfolgten die Premiere der Kapsel aus sicherer Distanz. Sie hätten der Staatsanwaltschaft jedoch angeboten, für eine Befragung in die Schweiz zu kommen, schrieb The Last Resort in einem Communiqué. «Dieses Angebot wurde von der Staatsanwaltschaft in Schaffhausen abgelehnt.»

Kein Verständnis hat der Verteidiger Hrovat auch für den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts (ZMG) Schaffhausen von letzter Woche: Es wies das Gesuch auf Haftentlassung ab. Dies, obwohl die Staatsanwaltschaft keinerlei neue Akten vorgelegt habe im Vergleich zur Verhandlung vom 25. September, bei der das Gericht die U-Haft gutgeheissen hatte.

«Wenn die Staatsanwaltschaft völlig freie Hand bekommt bei der Frage, welche Akten sie vorlegt und welche nicht, dann ist das eine Aushebelung des Rechts, die Untersuchungshaft gerichtlich auf ihre Zulässigkeit überprüfen zu lassen», findet Hrovat. Es sei sehr irritierend, dass das Gericht von der Strafverfolgung nicht verlange, dass diese den Fortschritt der Ermittlungen dokumentiere.

Hrovat verweist auf die Rechtsliteratur, laut der sich ein dringender Tatverdacht als Haftvoraussetzung im Verlauf des Verfahrens grundsätzlich verdichten beziehungsweise ausreichend hoch verbleiben müsse. Es sei dann ein «zunehmend strengerer Massstab an die Erheblichkeit und Konkretheit des Tatverdachts zu legen», steht im Basler Kommentar zur Strafprozessordnung. Diese Vorgaben sieht der Verteidiger im Fall Willet verletzt.

Wie entscheidet das Obergericht?

Hrovat will nun das Schaffhauser Obergericht anrufen, in der Hoffnung, dass es den Entscheid des ZMG revidiert. Falls er damit nicht erfolgreich ist, besteht noch die Möglichkeit, den Fall ans Bundesgericht weiterzuziehen. Doch bis die Lausanner Richter entschieden hätten, würden weitere Wochen verstreichen, in denen Willet hinter Gittern sässe.

Es gälte dann weiterhin die Aussage, mit der der Erste Staatsanwalt Peter Sticher Mitte Oktober in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» zitiert wurde, als er noch über den Fall des Sarco-Chefs sprach: «Es ist aktuell sicher nicht geplant, ihn gehen zu lassen.»

Die Staatsanwaltschaft möchte sich nun weder zu den Vorwürfen von Willets Anwalt noch zum weiteren Vorgehen äussern, wie Sticher auf Anfrage schreibt.

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