Dienstag, Oktober 8

Am Zürcher Theaterspektakel zeigt der albanische Regisseur Mario Banushi ein Stück über das Trauern. Das Unbegreifliche des Verlusts manifestiert sich hier in einer surrealen Ambiance.

Am Anfang, der Tod. Er hat eine Lücke in die Familie gerissen, um die sich die Mitglieder gruppieren wie um einen Magnet. Ein Mann, vier Frauen, alle in Schwarz. Dicht an dicht sitzen sie vor einem Grab. Auf ihren Gesichtern liegt der Albdruck der Trauer. Sie schweigen. Der Schmerz ist zu gross für ein Wort.

Das ist die Ausgangslage von Mario Banushis Stück «Taverna Miresia», das er am Theaterspektakel zeigt. Der Regisseur verarbeitet darin den Hinschied seines eigenen Vaters. Der nach Griechenland ausgewanderte Albaner verzichtet stets auf Texte, er hat Sprachlosigkeit zum Markenzeichen seiner suggestiven Bühnenkunst gemacht.

Das familiäre Leid

In «Taverna Miresia» ist das Verstummen begründet im familiären Leid. Der Tod bringt aber nicht nur Schweigen. Er verformt auch die Zeit: Jede Bewegung wirkt gebremst, jedes Handeln gehemmt. Umso mehr sind es zunächst Licht, die Geräusche und die sich wandelnde Szenerie, die dem Stück Spannung und Dynamik verleihen. Zumal Letztere durch eine Musik unterstützt werden, die in ihren hypnotischen Fugen zwischen elektronisch bearbeiteten Barock- und Folk-Anklängen wechselt.

Durch den Verlust scheint die Familie wie gefangen in ihrer Gemeinschaft. Bisweilen läuft ein Radio, unverständlich zeugt eine dumpfe Nachrichtenstimme vom Draussen eines Weltgeschehens. Die Trauernden aber sind abgeschottet im weiss gekachelten Gemäuer eines Bade- und Toilettenbereichs, der in die Intimität der Situation passt. Hier stehen, wie sich zeigen wird, auch zwei wesentliche Requisiten bereit: Spiegel und Wasserhahn.

Mario Banushi steht auf der Bühne und gleicht dabei jenen Renaissancekünstlern, die sich auf ihren Altarbildern selbst verewigt haben. Er wirkt eher wie ein Beobachter als wie ein beteiligter Protagonist. Und doch sind es seine Empfindungen und Erinnerungen, die das Verhalten des Ensembles prägen und die Zeitlupen-Entwicklung der ganzen Szenerie.

Banushi setzt dabei auch auf unterschiedliche Kompetenzen der Darstellerinnen. So ist es eine Sängerin, die ihre Klagen in tränenden Vokalen intoniert und sich am Boden windend als Erste aus dem familiären Kreis löst. Nun kommt mehr Bewegung in die Performance. Die Frauen verlassen einzeln den Raum durch eine Nebentür, um später zurückzukommen. Ihre Körper haben banale Ansprüche: Der Trauer zum Trotz meldet sich der Hunger, was die Schauspielerinnen ebenso zum Ausdruck bringen wie die Zwänge der Notdurft – was für einen parodistischen Kontrast gegenüber dem Pathos sorgt.

Eindrückliches Engagement

Mit dem Alltag meldet sich die Zeit zurück und lässt buchstäblich Gras wachsen über dem Grab. Um persönlich über den Verlust hinwegzukommen, haben sich die einzelnen Frauen sozusagen wieder ihrer selbst zu vergewissern. Zum einen stellen sie sich nackt vor den Spiegel, zum andern dienen Dusche und Lavabo offenbar zu kathartischer Läuterung in dieser sakral getönten Performance. Dafür spricht auch der Umstand, dass sich plötzlich Bogenfenster öffnen im Gemäuer und sich der Bühnenraum in einen Tempel verwandelt. Und wie Derwische finden die Tänzerinnen in eine animalische, befreiende Choreografie.

«Taverna Miresia» mutet wie ein Traum an, dessen surrealen Wendungen man hilflos ausgeliefert ist. Das eigenartige Pathos wirkt befremdlich und dämpft den Applaus des Zürcher Publikums im ersten Moment. Wenn man sich die Irritationen aber aus den Augen gerieben hat, bleibt der Eindruck von Raffinement und erstaunlichem expressivem Engagement. In gut sechzig Minuten haben Mario Banushi und sein Ensemble die Erfahrung von Tod und Trauer in einer Performance ausgeleuchtet, die dem Schock ebenso gerecht wird wie den Prozessen und Praktiken des Trostes.

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