Sonntag, September 8

Im Bundesamt für Migration stapeln sich die Gesuche für den Schutzstatus S. Dabei war das Instrument ursprünglich gedacht, um das Asylwesen zu entlasten.

Der Krieg in der Ukraine nähert sich einem weiteren bitteren Jahrestag. Am 24. Februar ist es zwei Jahre her, seit die Bilder des russischen Panzerkonvois die Welt erschüttert haben. Die Schweiz hat ihre Flüchtlingspolitik danach ungewöhnlich schnell angepasst und erstmals in der Geschichte den Schutzstatus S aktiviert. Das Instrument war Ende der 1990er Jahre geschaffen worden, als Reaktion auf die Balkankriege. Zur Anwendung gekommen war es aber bis zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine nie.

Die rasche Aktivierung war aus mehreren Gründen richtig. Erstens musste damit gerechnet werden, dass bald Millionen vor den russischen Invasoren flüchten und das Asylwesen der Schweiz an die Belastbarkeitsgrenzen bringen würden. Zweitens musste der Bundesrat das politische Momentum nutzen, das nach dem Kriegsausbruch die Dynamik bestimmte. Die beispiellose Solidaritätswelle, die Europa erfasst hatte, erhöhte die Akzeptanz unbürokratischer Lösungen, um die erwarteten Flüchtlingsströme aus dem Osten zu bewältigen.

Der Bundesrat hat im vergangenen November entschieden, dass der Schutzstatus S noch bis März 2025 in Kraft bleibt. Es gibt aber kaum ein plausibles Szenario, das auf ein Kriegsende bis zu diesem Zeitpunkt hindeutet. Die Ukraine wird demnach auch nach März 2025 ein Kriegsschauplatz bleiben, die Fluchtbewegungen entwickeln sich zu einem tragischen Dauerzustand. Die Sonderbehandlung der ukrainischen Flüchtlinge verliert damit ihren Sinn, nämlich die Möglichkeit einer raschen Reaktion auf eine schnell ansteigende Flüchtlingswelle.

Für Bern ist der Schutzstatus S nicht nur ein effizientes Mittel. Es ist auch der Weg des geringsten Widerstands, um das Asylwesen auf Bundesebene zu entlasten. Denn der Status bedeutet, dass die betroffenen Personen kein Asylverfahren durchlaufen müssen, umgehend an die Kantone weitergereicht werden und umfangreiche Rechte erhalten. Personen mit Status S dürfen arbeiten, ins Ausland reisen, Kinder können die Schule besuchen. Um die Unterbringung, den Aufenthalt und die Integration müssen sich die Kantone und die Gemeinden kümmern.

Dort wächst nun der Frust. Langsam verbreitet sich die Wahrnehmung, dass der Status S ein bequemes Mittel für den Bund ist, um die Ukrainerinnen und Ukrainer möglichst schnell an die Kantone loszuwerden. Verstärkt wird das durch den Umstand, dass der Status S zunehmend missbraucht wird. In einzelnen Kantonen gehört mittlerweile die Hälfte der Ukraine-Flüchtlinge mit Status S zu Roma-Gruppen, die weder ein Interesse an einer Integration haben noch sich an die Regeln der Gemeinden halten, die ihnen Asyl gewähren.

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) tut offensichtlich wenig, um den Kantonen zu helfen. Und die Lage dürfte sich noch verschärfen. Unveröffentlichte Zahlen zeigen, dass derzeit 5000 Gesuche für den Schutzstatus S hängig sind – ein Anstieg von 3300 Gesuchen seit Oktober 2023. Das ist erstaunlich, zumal der Schutzstatus S entwickelt wurde, um möglichst schnell und effizient Gesuche zu bearbeiten.

Der Bundesrat stellt sich auf den Standpunkt, dass jegliche Anpassung beim Schutzstatus S mit der EU abgesprochen werden muss. Das ist nur die Hälfte der Wahrheit. Die Schweiz hat den Status in Absprache mit den europäischen Partnern eingeführt. Aber der Schutzstatus S fällt nicht unter das Dublin-Abkommen, der Bundesrat kann die Rahmenbedingungen autonom ändern. Hier hat die Schweiz durchaus Spielraum, namentlich bei potenziellen Missbräuchen.

Die Schweiz wäre zwar schlecht beraten, eine Regelung im Alleingang aufzuheben, die sie in Koordination mit der EU eingeführt hat. Doch es spricht nichts dagegen, diese Diskussion auch auf europäischer Ebene anzustossen. Der Ständerat wird demnächst einen Vorstoss behandeln, der eine Anpassung des Schutzstatus S fordert. Es ist eine Gelegenheit, die Flüchtlingspolitik mit Blick auf den Ukraine-Krieg zu überdenken.

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