Die grösste Cannabis-Studie der Schweiz startet in ihr zweites Jahr. 4500 Menschen kaufen in Abgabestellen Cannabis und Pralinés mit THC. Kurzfristige Folgen beobachten die Studienleiter schon jetzt.

Im Kanton Zürich kiffen Tausende Menschen für die Wissenschaft. Vor einem Jahr startete die bisher grösste Studie zum Cannabis-Konsum in der Schweiz: Während fünf Jahren können 7500 Studienteilnehmende an mehreren Abgabestellen im Kanton legal Cannabis kaufen.

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Getragen wird die Studie vom Verein Swiss Cannabis Research und von der Konjunkturforschungsstelle der ETH, das Ziel: herausfinden, welche wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen eine Legalisierung von Cannabis hätte. Thilo Beck ist Psychiater und Co-Chefarzt beim Arud-Zentrum für Suchtmedizin und begleitet die Studie.

Thilo Beck, vor einem Jahr startete die kantonale Studie, jetzt sind erste Ergebnisse da. Was hat Sie am meisten erstaunt?

Wir beobachten, dass die legalen Zugänge zu Cannabis eine grosse Verbesserung für die Konsumentinnen und Konsumenten darstellen. Sie sind froh um das Angebot und nutzen es auch: Fast 90 Prozent der Teilnehmenden kaufen bei unseren Abgabestellen. Der Schwarzmarkt gerät unter Druck.

Die Hälfte konsumiert zusätzlich dazu aber noch Cannabis vom Schwarzmarkt.

Ja. Andere Studien haben bereits gezeigt, dass der Wechsel vom Schwarzmarkt zum regulierten Markt Zeit braucht. Wir gehen davon aus, dass der Anteil des regulierten Marktes im weiteren Verlauf der Studie noch zunehmen wird.

Erfahrungen mit Cannabis-Legalisierung beispielsweise aus den USA sind teilweise erschreckend: Man konnte den Schwarzmarkt nicht verdrängen, und aggressive Werbung führte dazu, dass selbst Teenager zu konsumieren begannen.

Genau um solche Szenarien zu vermeiden, sind Pilotversuche wie unsere wichtig. Wir lernen dadurch, was sich Konsumenten wünschen. So können wir für ein Umfeld sorgen, in dem sie vom Schwarzmarkt in den regulierten Markt wechseln. Im Regulierungsprozess müssen wir dann nach und nach schauen, wo wir anpassen müssen. Sei es mit dem Preis, mit dem Angebot, mit Informationen.

Ist es denn überhaupt realistisch, dass der Schwarzmarkt ganz ausgetrocknet wird? Auf dem Schwarzmarkt gibt es beispielsweise Cannabis-Produkte, deren THC-Gehalt über dem Grenzwert des legalen Cannabis liegt.

Das wird eine Frage in der Regulierung sein. Wir werden uns fragen müssen: Wollen wir mit den Grenzwerten für den THC-Gehalt etwas hinauf, oder nehmen wir einen Rest-Schwarzmarkt in Kauf?

Warum wechseln Menschen vom Schwarzmarkt zum regulierten Markt?

Man muss sehen, dass der Schwarzmarkt jetzt schon nicht sehr beliebt ist. 60 Prozent der Konsumierenden sagen, dass sie mit dem Schwarzmarkt unzufrieden seien – sei es mit dem Preis, mit der Qualität oder mit der Verfügbarkeit. Schaffen wir es, in diesen drei Punkten besser zu sein als der Schwarzmarkt, werden Konsumierende eher legal einkaufen.

Was verändert der legale Zugang denn für die Konsumenten?

Der legale Zugang ermöglicht, dass weniger schädlich konsumiert wird. Das Angebot ist beispielsweise breiter: Bei den Abgabestellen kann man nicht nur Cannabis zum Rauchen kaufen, sondern auch zum Essen oder für Vapes. Das ist entscheidend für einen gesundheitsverträglichen Konsum, denn: Das Gefährlichste am Cannabis-Konsum ist das Rauchen. Beginnen die Leute, Edibles statt Joints zu konsumieren, macht das einen grossen Unterschied.

Also beispielsweise die Cannabis-Pralinés, die in den Abgabestellen verkauft werden?

Genau. Die sind weniger schädlich als Joints. Ausserdem sorgen legale Zugänge für Entstigmatisierung: Wenn ich heute Cannabis konsumiere, tue ich etwas Verbotenes und werde dafür verurteilt – moralisch, aber auch vom Gesetz. Eine stigmatisierte Lebensform geht immer mit viel Stress und Druck einher. Das führt dazu, dass sich Konsumierende verstecken und keinen ausreichenden Zugang zu Informationen und Beratungsangeboten haben. Ein legaler Zugang ändert das.

Sollte also Cannabis zugänglich sein wie Alkohol?

Nein, das Ziel sollte nicht sein, den Zugang beliebig zu erleichtern. Der Zugang soll so sein, dass Cannabis für jene, die es konsumieren wollen, gut erreichbar ist, aber nicht so, dass Leute zum Konsum animiert werden. Es soll keine 24/7-Cannabis-Läden geben, sondern Fachgeschäfte mit guter Beratung.

Besteht auch nicht dann noch das Risiko, dass der Konsum mit einer Legalisierung steigen wird? Schliesslich wird eine Hürde abgebaut: der Gang zum Dealer.

Der Schwarzmarkt in der Schweiz ist so gut organisiert, dass die Produkte sowieso gut verfügbar sind. Man kann sich alles online bestellen, die Produkte werden nach Hause geliefert. Ein Anruf, und das kommt. Cannabis wird also nicht besser verfügbar sein als vorher – es wird einfach bessere Qualität haben. Mit einer vernünftigen Regulierung wird es keine Zunahme des Konsums geben.

Die Stadt Winterthur hat jetzt gerade entschieden, dass sie keinen Pilotversuch starten will. Wie blicken Sie darauf?

Man muss sich ja schon immer fragen: Wie viel Potenzial haben wir? Aus meiner Sicht brauchen wir so viele Pilotversuche wie möglich, weil wir im Vorfeld der Umsetzung des Cannabis-Gesetzes natürlich versuchen, so viele Erfahrungen wie möglich zu sammeln. Es ist schade, dass das nicht gemacht wird.

Gleichzeitig sind aber auch Sie noch auf der Suche nach Teilnehmenden: Von den 7500 Plätzen sind erst 4500 besetzt, bis nächsten Frühling fehlen also noch 3000 Teilnehmende. Haben Sie Schwierigkeiten, genügend Teilnehmende zu finden?

Wir sind zuversichtlich, dass wir die 3000 Plätze noch füllen können. Es ist ein längerer Prozess, bis unsere Studie unter den Konsumierenden bekannt wird, er läuft aber wie geplant.

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