Sonntag, Oktober 6

Drei Tote, 26 Unfälle und viele offene Fragen: Die Polizei ermittelt zurzeit gegen die Northvolt-Fabrik. Deutschland hat das Unternehmen erst vor kurzem mit 900 Millionen Euro subventioniert.

Am 5. Januar 2024 wird Mahari Baraki tot in seinem Bett aufgefunden. Baraki arbeitete in der Batteriefabrik Northvolt als Putzkraft, seine letzte Schicht war nur wenige Stunden vor seinem Tod zu Ende gegangen. Der 33-Jährige war gesund, doch in den Wochen zuvor soll er sich über einen seltsamen Geruch in der Fabrik beschwert haben, wie ein Freund später den schwedischen Medien erzählt.

Einen Monat später dann das Déjà-vu: Der 19-jährige Maedin Ghidey legt sich nach seiner Abendschicht in der Northvolt-Fabrik schlafen – und wacht nie wieder auf. Auch Ghidey war gesund, und seine Freunde sind sich sicher: Ein Zufall sind die beiden Todesfälle nicht. Die Polizei ermittelt, doch sie findet keine Hinweise auf eine Straftat.

Im Juni werden die Ermittlungen dann neu aufgenommen, als es zu einem dritten unerklärlichen Todesfall kommt. Der 59-jährige Per-Hakan Söderström stirbt auf seinem Balkon, wenige Stunden nachdem er die Northvolt-Fabrik verlassen hat.

Drei Tote innerhalb von sechs Monaten – das rüttelt die schwedische Öffentlichkeit auf. Noch vor kurzem galt Northvolt als Vorzeigeprojekt. Europa braucht Batterien für die grüne Wende, allen voran die deutsche Automobilindustrie, die auf E-Mobilität umsteigen muss. Doch es gibt ein Problem: Der Batteriemarkt wird von chinesischen Anbietern dominiert.

Northvolt soll Europa aus dieser Abhängigkeit befreien. Die umweltfreundlichsten Batterien der Welt sollte das Unternehmen herstellen, und viele haben daran geglaubt. Etwa Deutschland, dessen Regierung Northvolt im März Subventionen in der Höhe von 900 Millionen Euro zugesprochen hat. Doch in was für einem Unternehmen hat man da eigentlich Geld angelegt?

Grosse Versprechen

Im März, wenige Wochen nach dem Tod von Mahari Baraki und Maedin Ghidey, reist Bundeskanzler Olaf Scholz gemeinsam mit Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Schleswig-Holstein, um den Bau einer neuen Fabrik für E-Auto-Batterien – der Gigafactory Northvolt Drei – zu feiern. 3000 Arbeitsplätze soll Northvolt in der strukturschwachen Region schaffen, und dies erst noch für eine gute Sache.

Das Hauptwerk von Northvolt befindet sich in Skelleftea, einer Kleinstadt im Nordosten Schwedens. Die Fabrik wird zurzeit weiter ausgebaut, wobei sich das Projekt bereits um ein Jahr verzögert hat, weshalb das Werk seine Kunden nicht mit genügend Batterien beliefern kann. Northvolt plant bereits neue Produktionsstätten im In- und Ausland. Das Unternehmen steht unter Druck. Um Investoren anzulocken, hat es schnelle Ergebnisse versprochen. Zu schnell?

Im Juni wurden die Pläne für eine neue Fabrik in der schwedischen Stadt Borlänge verworfen. Etwa zur gleichen Zeit stornierte BMW einen Milliardenauftrag, weil Northvolt mit den Lieferungen zwei Jahre im Rückstand lag und zu viel minderwertige Batterien produzierte. Die schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» schreibt, Northvolt mache grosse Verluste und könne nicht einmal annähernd die Menge an Batteriezellen produzieren, die sie sich erhofft habe. Der Druck, schnell zu handeln, habe dazu geführt, dass die Sicherheit nicht immer Priorität habe.

«Make oil history»: Auf seiner Website wirbt Northvolt derweil damit, eine sauberere Welt aufzubauen. «Es macht viel mehr Spass, zur Arbeit zu gehen, wenn man sieht, wie sich die eigenen täglichen Bemühungen direkt positiv auf die Zukunft auswirken.» Doch wie sauber ist die Welt von Northvolt wirklich? Und wie viel Spass haben die Mitarbeiter?

Schwere Unfälle

In Schweden hat die Abteilung für Umweltkriminalität die Ermittlungen aufgenommen. Noch ist unklar, ob die Todesfälle von Baraki, Ghidey und Söderström zusammenhängen und ob Northvolt darin involviert ist. Während die Polizei noch ermittelt, sind Journalistinnen und Journalisten schon weiter. «Dagens Nyheter» hat Anfang Juli eine Recherche veröffentlicht, die ein düsteres Bild des einstigen Musterunternehmens zeichnet. Sie stützt sich ausser auf Aussagen von Quellen auf Dokumente der Arbeitsaufsichtsbehörde, der Polizei und von Northvolt.

Es geht dabei um weitere Todesfälle, um abgetrennte Körperteile und um Explosionen. Im Dezember 2023 verliert der damals 22-jährige Arvid Öhgren bei einem Arbeitsunfall seinen linken Arm. Teile einer Hebevorrichtung fallen darauf, als Öhgren dabei ist, einen Wetterschutz zu montieren. Ein älterer Kollege kommt beim gleichen Unfall ums Leben.

Ein halbes Jahr zuvor verbrennt ein 25-jähriger Mann bei lebendigem Leib. Er trägt keine brandsichere Schutzkleidung. Die Risikoanalyse von Northvolt war zum Schluss gekommen, dass im betreffenden Bereich keine Explosionsgefahr bestehe. Es kam anders.

Die genannten Fälle sind nur die gravierendsten. Die Arbeitsaufsichtsbehörde soll mehrfach schwerwiegende Mängel festgestellt haben. Mitarbeitende berichten «Dagens Nyheter» von Maschinen, die nicht funktionierten, ungeeigneter Schutzkleidung und fehlenden Risikoanalysen. Der letzte Zwischenfall ereignete sich am Sonntag. Wie die schwedische Sendeanstalt SVT berichtet, wurden zwei Mitarbeiter ins Spital eingeliefert, nachdem sie giftige Dämpfe eingeatmet hatten.

Northvolt selbst ist nicht der Ansicht, hinsichtlich der Unfallzahlen im Vergleich zu anderen Bau- und Industriearbeitsplätzen schlechter abzuschneiden. Man wollte zwar wachsen, dies geschehe jedoch nie auf Kosten der Mitarbeitersicherheit. Der CEO Peter Carlsson sagt zur Zeitung «Dagens Industri»: «Ich bin der festen Überzeugung, dass wir ein sicherer Arbeitsplatz sind.»

Unsichere Zukunft

Die Negativschlagzeilen haben Folgen. Ende Juni hat Toyota angekündigt, seine Mitarbeitenden aus der Fabrik in Skelleftea abzuziehen. Toyota führt im Northvolt-Werk Service- und Wartungsarbeiten aus. Diese Arbeiten wurden nun in die eigenen Räumlichkeiten von Toyota verlagert. Bei jenen, die für Northvolt selbst arbeiten, geht die Angst um, wie verschiedenen Medienberichten zu entnehmen ist.

Wie «Dagens Industri» am Dienstag berichtet hat, will Northvolt die internationalen Ausbaupläne bremsen. «Wir waren in unseren Expansionsplänen etwas zu aggressiv, und das überprüfen wir jetzt», lässt sich Carlsson zitieren. In Deutschland hat das für Verunsicherung gesorgt. Bei Heide in Schleswig-Holstein sollen die Bauarbeiten aber wie geplant weiterlaufen.

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