Freitag, Oktober 18

Die Vorwürfe an den UNRWA-Chef fallen auch auf die Schweiz zurück. Damit soll nun Schluss sein.

Die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen in Nahen Osten ist auf einem Tiefpunkt. Unter dem Hauptquartier des Uno-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlingen (UNRWA) fand die israelische Armee am Wochenende Tunnel und Führungseinrichtungen der Hamas, mutmasslich das Datenzentrum der Terrorfestung von Gaza.

Philippe Lazzarini, der UNRWA-Chef, schreibt auf der Plattform X, seine Organisation habe nichts davon gewusst. Seine Herkunft verspricht eine neutrale Haltung im Konflikt: Lazzarini hat den Schweizer Pass und eine Vergangenheit beim IKRK, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), insbesondere im Nahen Osten.

Dennoch forderte der israelische Aussenminister Israel Katz Lazzarinis Rücktritt, ebenso SVP-Nationalrat Mauro Tuena. Auch wenn der Chef des Hilfswerks nicht gewusst habe, was vor sich gehe, müsse er die Konsequenzen ziehen. Doch die Schweizer Politik hat gar keinen offiziellen Draht zum UNRWA-Chef. Er ist direkt von der Uno angestellt.

Der zweiter Schweizer Chef

Statt nach Bern rapportiert der Schweizer UNRWA-Generalkommissar, wie Lazzarinis Titel offiziell heisst, direkt an den Uno-Generalsekretär António Gutteres, der ihn 2020 auch ernannt hat. Mehr noch: Lazzarini ist in seiner Funktion auch Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen, gehört also zum Uno-Top-Management.

Lazzarini war auch nie Schweizer Diplomat, sondern arbeitete meistens im humanitären Sektor. Er studierte Wirtschaft in Neuenburg und Betriebswirtschaft in Lausanne. Ab 1989 war er beim IKRK – unter anderem ein erstes Mal in Gaza. Später leitete er die Operationen der Genfer Organisation in Bosnien, Angola und Rwanda.

Nach einem Abstecher zu einer Bank begann 2003 Lazzarinis Karriere bei der Uno. 2015 bis 2020 war er die Nummer 2 der Uno-Sonderkoordinatoren im Libanon, bis er schliesslich Pierre Krähenbühl als UNRWA-Chef ablöste. Er ist damit der zweite Schweizer an der Spitze des Hilfswerks.

Kampf um Deutungshoheit

Der Gaza-Krieg hat die Kritik am UNRWA und damit auch an der Rolle Lazzarinis verstärkt. In einem Chat feierten Lehrer, die an Schulen des Hilfswerks unterrichten, die Taten der Hamas. Vor zwei Wochen legte Israel nachrichtendienstliche Informationen vor, wonach zwölf UNRWA-Mitarbeiter direkt an den Angriffen vom 7. Oktober beteiligt waren.

Grosse westliche Staaten, darunter die USA und Deutschland, haben die Zahlungen an das Hilfswerk ausgesetzt, das die Uno-Generalversammlung 1949 geschaffen hatte. Auch aus der Schweiz fliesst gegenwärtig kein Geld an die Organisation, deren Schulbücher offen antisemitische Inhalte transportieren.

Das UNRWA-Mandat wurde mehrfach angepasst. Letztlich hat es den palästinensischen Flüchtlingsstatus zementiert. Unter anderem auch deshalb bezeichnete Bundesrat Ignazio Cassis auf seiner ersten Reise als Chef des Aussendepartements (EDA) in den Nahen Osten das UNRWA als «Teil des Problems». Er erntete dafür intern und extern viel Kritik.

«Swiss Soft Power»

Seit dem 7. Oktober ist das Palästinenser-Hilfswerk Teil einer erbitterten Auseinandersetzung über die Deutungshoheit im Gaza-Konflikt. Israel sieht sich in der Ansicht bestätigt, dass das UNRWA aufs engste mit dem Terror in Gaza verbunden ist und für den Hass auf alles jüdische Leben in Israel mitverantwortlich sei.

Für den humanitären Sektor dagegen schafft das Hilfswerk schlicht die Grundlagen, dass die Menschen in Gaza überleben können. Für die verschiedenen Organisationen, die ebenfalls in den palästinensischen Gebieten tätig sind, ist die Kritik am UNRWA ein Angriff auf die Rechte der Zivilbevölkerung.

Der Schweizer Chef spielt in diesem Ringen um Glaubwürdigkeit eine zentrale Rolle. Sein Werdegang verbindet ihn mit dem internationalen Genf, das lange Zeit als indirektes Mittel der Schweizer Aussenpolitik diente. Die jüngsten Kriege in der Ukraine und in Gaza haben die Wirkung dieser «Swiss soft power» allerdings infrage gestellt. Auch wenn sich Lazzarini, ein schweizerisch-italienischer Doppelbürger, nur gegenüber der Uno verantworten muss, ist die Wahrnehmung seiner Rolle auch mit der Reputation der Schweiz verbunden.

Umso mehr geht das EDA nun auf Distanz. Die UNRWA sei eine Agentur der Vereinten Nationen und Lazzarini werde vom Uno-Generalsekretär ernannt, stellt man auf Anfrage klar. «Weder die Schweiz noch ein anderes Land sind in den Anstellungsprozess involviert.» Die Rücktrittsforderungen im In- und Ausland nimmt das EDA kommentarlos zur Kenntnis. Auf Lazzarinis Aussagen habe man keinen Einfluss.

Bevor die schweren Vorwürfe gegen die Hilfsorganisation nicht geklärt seien, würden keine Zahlungen erfolgen, betont das EDA. Zudem müssten davor ohnehin die Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte konsultiert werden. Diese Konsultationen seien für das zweite Quartal des laufenden Jahres vorgesehen – frühstens. Zuerst erwarte man aber die vollständige Klärung der Vorwürfe.

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