Sonntag, September 8

In der «New York Times» wirft Philippe Lazzarini Israel vor, Mitarbeiter verfolgt, getötet und gefoltert zu haben. In der «Weltwoche» kritisiert er auch den Bundesrat scharf.

Seit Monaten wirft Philippe Lazzarini, der Generalkommissar des Uno-Palästinenserhilfswerks (UNRWA), Israel vor, eine heimtückische Kampagne gegen die Organisation zu führen. Bereits im März sagte er in einem Interview mit dem «Sonntags-Blick»: «Wir haben Zeugenaussagen aus erster Hand, die Israel systematische Misshandlung und Folter vorwerfen. Ich weiss von freigelassenen Personen, dass sie zu falschen Zeugenaussagen gezwungen wurden. Wir haben Israel um Aufklärung gebeten.» Seither hat Lazzarini seine Anschuldigungen mehrfach wiederholt.

Am Donnerstag hat er nun zu einem Doppelschlag ausgeholt. In einer offenbar sorgfältig orchestrierten Aktion greift er nicht nur Israel an, sondern kritisiert auch die Schweiz scharf. In der international beachteten «New York Times» schreibt er, seit dem 7. Oktober 2023 seien mindestens 192 UNRWA-Mitarbeiter in Gaza getötet und mehr als 170 UNRWA-Gebäude beschädigt oder zerstört worden – darunter auch Schulen. Etwa 450 Vertriebene hätten den Tod gefunden, als sie in Schulhäusern und anderen Einrichtungen der UNRWA Schutz gesucht hätten. Zudem würden israelische Streitkräfte Angestellte des Hilfswerks regelmässig schikanieren und jeden inhaftieren lassen, der sich über Folter und Misshandlungen in israelischem Gewahrsam beklage.

Mittlerweile hätten die gezielten Aktionen gegen die UNRWA auch Ost-Jerusalem erreicht. Immer wieder komme es zu gewalttätigen Demonstrationen gegen das Hilfswerk. Unter dem Beifall eines Mitglieds des Bürgermeisteramts seien mindestens zwei Brandanschläge auf ein Gebäude der UNRWA verübt worden.

Die Attacken Lazzarinis gegen Israel sind nicht neu. Die Abneigung ist gegenseitig. Mitglieder der israelischen Regierung haben Lazzarini und der UNRWA mehrfach vorgeworfen, bei Hamas-Aktionen gegen Israel wegzuschauen und sogar mit der Terrororganisation zu kooperieren. Laut israelischen Medien hat die Knesset am Mittwoch einen vorläufigen Gesetzentwurf verabschiedet, nach dem das Hilfswerk selbst als terroristische Organisation eingestuft werden soll.

Aus Schweizer Sicht bemerkenswerter ist die Vehemenz, mit der Lazzarini den Bundesrat und das Parlament angreift. In einem Interview mit der «Weltwoche», das gleichzeitig mit dem Text in der «New York Times» publiziert wurde, sagt der schweizerisch-italienische Doppelbürger, in Bern habe «jede Menge Lobbying zugunsten Israels» stattgefunden. «Bei der Entscheidung, dem UNRWA die Gelder zu kürzen, hat sich die Politik einseitig von Israel beeinflussen lassen. Mit Neutralität hat das nichts zu tun.» Mit einer solchen Politik untergrabe man die Politik der Guten Dienste.

Mit seiner Breitseite will Lazzarini offenbar nicht nur UNRWA-kritische Parlamentarier treffen, sondern auch den Bundesrat – vor allem Aussenminister Ignazio Cassis. Auf dessen Antrag hatte der Bundesrat am 24. April beschlossen, die Geldzahlungen an das Hilfswerk vorläufig zu stoppen. Der Hintergrund sind Vorwürfe, die UNRWA wirke terroristischen Umtrieben in seinem Umfeld nicht entschieden genug entgegen und lasse zu, dass an palästinensischen Schulen antisemitisches und israelfeindliches Gedankengut verbreitet werde.

Lazzarini pflegte solche Vorwürfe wegzuwischen. Allerdings erkennt sogar die Expertenkommission unter der ehemaligen französischen Aussenministerin Catherine Colonna, die das Hilfswerk Ende April von den meisten Vorwürfen entlastet hatte, Handlungsbedarf: In Bezug auf die Neutralität der UNRWA bestehe Verbesserungspotenzial, heisst es im Bericht. Auch müsse das Hilfswerk seine Mitarbeiter besser überprüfen und bei problematischen Inhalten in Schulbüchern genauer hinsehen.

Der Bundesrat will den Bericht nun «im Detail» studieren. Einen Entscheid zur UNRWA werde er «anschliessend auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung fällen».

Wie sich der Bundesrat entscheidet und wie es mit der politischen Diskussion um die UNRWA weitergeht, ist offen. Sicher ist: Lazzarini hat in Bern viele Kritiker. Die Aussenpolitiker des Nationalrats konnte er bei einem Besuch Ende April nicht überzeugen. Mit Aussenminister Cassis, so heisst es in Bern, hat er sei dem 7. Oktober nicht mehr persönlich gesprochen.

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