Der Captain zeigt sich vor dem Startspiel am Samstag gegen Ungarn fokussiert. Nach einer starken Saison mit Bayer Leverkusen will sich Xhaka nun mit grossen Turnieren versöhnen.

Der Auftritt ist überzeugend, er ist teilweise geradezu staatsmännisch. Am Freitagabend sitzt Granit Xhaka im Kölner Rhein-Energie-Stadion an der Pressekonferenz vor dem Schweizer EM-Startspiel am Samstag um 15 Uhr gegen Ungarn. Xhaka ist souverän und stilsicher, er hinterlässt einen fokussierten Eindruck und ist doch gelassen genug, um ab und zu an der richtigen Stelle einen humorvollen Spruch zu platzieren. Er ist, so scheint es zumindest, ganz bei sich. Da weiss einer, was er will. Weit weg ist der Flegel und der Bengel, der Xhaka so oft gewesen ist in der Vergangenheit. Und der für reichlich Unruhe gesorgt hat.

Als es um die Meisterschaft mit Bayer Leverkusen geht, sagt Xhaka: «Jeder Erfolg gibt Selbstvertrauen.» An der EM habe er nun eine eigene Challenge, die wolle er durchziehen, aber nicht preisgeben. Welcher Herausforderung sich Xhaka stellt, weiss die Öffentlichkeit deshalb nicht. Vielleicht geht es einfach darum, bescheiden zu bleiben und die Ambitionen geheim zu halten. Keine Dummheiten auf dem Platz zu machen, sich keine Eklats zu leisten, das Temperament zu zügeln. Es wäre schon ein riesiger Fortschritt für ihn.

Feines Essen und guter Wein mit Murat Yakin

Auch auf seine Ziele an der EM angesprochen, bleibt Xhaka bemerkenswert zurückhaltend. Leute, die ihn kennen, wüssten genau, was er am liebsten antworten würde. Aber das mache er jetzt nicht, sagt Xhaka. «Was ich sagen kann: Von Spiel zu Spiel nehmen, das ist ideal, damit sind wir im Klub zuletzt sehr gut gefahren.» Die Schweiz habe an der EM ein klares Ziel, auch für das erste Spiel gegen Ungarn: «Wir wollen unser Bestes geben und drei Punkte holen.»

Klingt abgeklärt, ist für Xhaka aber eine geradezu spektakuläre Aussage. Er hat sich offenbar vorgenommen, fokussiert zu bleiben, keine Nebenschauplätze zu eröffnen, den Ball flachzuhalten, wie er es in dieser Saison mit Bayer Leverkusen gut beherrscht hat. Auch das Verhältnis zum Nationaltrainer Murat Yakin, in der Vergangenheit oft belastet, sei seit ein paar Monaten «ausgezeichnet». Yakin sei regelmässig zu Besuch in Deutschland gewesen, erzählt Xhaka, man habe in Düsseldorf fein gegessen und einen guten Wein getrunken.

Die Enttäuschungen an Welt- und Europameisterschaften

Wenn es Granit Xhakas eigene Challenge ist, fokussiert zu bleiben und nicht mit Provokationen aufzufallen, ist er bis jetzt auf einem ordentlichen Weg. Aber die EM beginnt erst. Es könnte sein Turnier werden, seine Europameisterschaft, seine Versöhnung mit bedeutenden internationalen Veranstaltungen. Fünfmal nahm der 31-Jährige bisher an einer WM oder EM teil, in Erinnerung geblieben sind starke Leistungen, aber am Ende eben immer auch bittere Enttäuschungen.

Sein bestes von bisher 125 Länderspielen gelang ihm an der letzten EM im Achtelfinal gegen den damaligen Weltmeister Frankreich. Xhaka trieb die Mannschaft zum Comeback an und schliesslich zum Sieg im Elfmeterschiessen. Doch im Viertelfinal gegen Spanien fehlte er gesperrt – er hatte sich im Turnierverlauf zwei gelbe Karten wegen Reklamierens geholt. Bei der Europameisterschaft 2016 verschoss er im Elfmeterschiessen gegen Polen als einziger Spieler – die Schweiz schied im Achtelfinal aus. Und an den Weltmeisterschaften 2018 und 2022 standen die zwei emotionalen Begegnungen in der Vorrunde gegen Serbien mit Xhaka im Mittelpunkt: als Fussballer, als Provokateur, als Sieger – aber dann folgten diese energielosen Schweizer Auftritte in den Achtelfinals gegen Schweden und Portugal.

Granit Xhaka missed penalty vs Poland 25/6/2016

Jetzt ist Xhaka womöglich auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Er ist Schweizer Rekordnationalspieler und Spieler der Saison in der Bundesliga. Die EM findet in der Heimat seiner Frau statt. Der Mittelfeldspieler wird von Experten und Medien erwähnt, wenn es um mögliche Stars dieser Europameisterschaft geht. Auch der ungarische Trainer Marco Rossi schwärmte am Freitag vom Schweizer Captain.

Das erste EM-Spiel findet ausgerechnet in Köln statt

Xhaka ist der unumstrittene Chef in der Schweizer Mannschaft, auf ihn wird es in Deutschland ankommen. Zum ersten Mal am Samstagnachmittag gegen Ungarn. Ausgerechnet im Stadion des 1. FC Köln, des Rivalen seines langjährigen Vereins Borussia Mönchengladbach sowie seines gegenwärtigen Arbeitgebers Bayer Leverkusen. Er habe positive Erinnerungen an diese Arena, sagt Xhaka. Und auch mit den vielen Komplimenten über ihn und seine Spielweise geht der 31-Jährige professionell um: «Klar tut es gut, wenn man gelobt wird. Aber ich versuche einfach, der Mannschaft zu helfen, damit wir drei Punkte gewinnen.»

Langweilig? Vielleicht. Gereift? Auf jeden Fall. Granit Xhaka, U-17-Weltmeister 2009, hat diesmal nicht gesagt, dass er bis zum Final gepackt habe. Aber er strahlt dieses Selbstbewusstsein und Selbstverständnis aus. Auf dem Trainingsplatz und in den Spielen, in Interviews und an Pressekonferenzen.

Und vielleicht wird man nur erfahren, was seine persönliche Challenge an dieser EM gewesen ist, wenn die Schweiz den Final erreicht hat.

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