Die Eishockey-Weltmeisterschaft endet für die Schweiz mit einem Dämpfer. Nach dem 0:2 im Final gegen Tschechien bleibt ihr immerhin Silber. Und doch gibt es einen grossen Gewinner: den Coach Patrick Fischer.
Wieder ist es nichts mit WM-Gold, wieder waren die Schweizer nur erste Gratulanten. Die Schweiz verlor den WM-Final am Sonntagabend gegen die Gastgeber mit einem denkbar knappen Resultat. Der NHL-Star David Pasternak erzielte in der 50. Minute den wegweisenden Treffer in der ausgeglichenen, umstrittenen Partie. Es war der 30. Schuss, der auf das Tor des erneut tadellosen Leonardo Genoni flog. Die definitive Entscheidung fiel erst 19 Sekunden vor Schluss ins verlassene Schweizer Tor.
Wie 2013 in Stockholm und 2018 in Kopenhagen bleibt den Schweizer Eishockeyspielern damit erneut nur Silber. Doch so bitter dieses Verdikt ist, das Schweizer Eishockey präsentierte sich in Tschechien glänzend wie schon lange nicht mehr. Als Patrick Fischer im November 2015 als Nachfolger des ungeliebten und glücklosen Kanadiers Glen Hanlon als Eishockey-Nationalcoach vorgestellt wurde, überraschte er seine Beobachter mit der Aussage, er wolle mit den Schweizern Weltmeister werden. Solch forsche Töne war man in der Schweiz nicht gewohnt. Die Stimmung war geprägt von den Jahren des ewigen Auf und Abs, in denen Bescheidenheit und Zurückhaltung das Auftreten und den Umgangston diktierten.
Simon Schenk, in zwei Amtsperioden zwischen 1985 und 1997 während insgesamt sieben Jahren verantwortlich für die Mannschaft, pflegte die Nation vor den anstehenden Aufgaben zu warnen, indem er sagte: «Die si de nid us Chätschgummi.» Es herrschte ein fast schon unterwürfiger Respekt.
Erst unter Ralph Krueger begannen die Schweizer, selbstsicherer aufzutreten. Unter dem Deutschkanadier erreichte das Nationalteam gleich im ersten WM-Turnier 1998 in Zürich und Basel die letzten vier. Doch dieses Resultat war weniger einem Leistungssprung als den ungewöhnlichen Voraussetzungen geschuldet. Ein Sieg gegen Frankreich in letzter Sekunde reichte, um in die entscheidende Turnierphase vorzustossen. Dort bezwangen die Schweizer zuerst Russland und trotzten danach den Slowaken ein umjubeltes Unentschieden ab.
Rang 4 war ein positiver Ausreisser, den selbst Krueger in seinen 13 Jahren an der Spitze des Teams nie bestätigen konnte. Doch jene Phase stiess eine Entwicklung an, von der alle seine Nachfolger profitiert haben. Patrick Fischer war damals ein junger Spieler in Kruegers Team, der unverkrampft zu seinen Ambitionen stand. Er hat sich immer an den Besten orientiert. Als leicht belächelter Aussenseiter schaffte es der Zuger bis in die NHL zu den Phoenix Coyotes und überzeugte dort selbst den grossen Wayne Gretzky mit seiner gewinnenden Art.
Fischers Benennung war von Skepsis begleitet
Fischers Ernennung zum Nationalcoach vor neun Jahren begleiteten grosse Vorbehalte. Dazu beigetragen hatte auch der unglückliche Nominierungsprozess des Verbandes, der zuerst öffentlich um Kevin Schläpfer warb und erst dann auf Fischer umschwenkte, als der EHC Biel dem Wunschkandidaten die Freigabe verweigerte.
Fischer hat sich damit abgefunden, Widerstände brechen zu müssen. Doch nie zuvor waren sie so vehement gewesen wie vor dieser WM in Prag. Nach den Viertelfinal-Enttäuschungen an den letzten WM-Turnieren und einer Serie von 13 Testspiel-Niederlagen in Folge wuchsen die Zweifel an seiner Fähigkeit, dieses Team noch weiter zu bringen. Er selber sagte einst: «Schafft das Team unter mir nicht, den nächsten Schritt zu machen, dann muss es ein anderer versuchen.»
Lange zehrte er von der Silbermedaille am WM-Turnier 2018 in Kopenhagen und nicht zuletzt auch von der Selbstsicherheit, in der er aller Kritik zum Trotz an seinem Kurs festhielt. Er änderte zwar seine Tonalität in den Aussagen, rückte aber nicht von seinem Ziel ab, die Schweiz zum Weltmeistertitel zu führen.
Der Verband reagierte auf die keimenden Zweifel antizyklisch und verlängerte seinen Vertrag im Februar bis nach der Heim-WM 2026 in Zürich und Freiburg. Auch die NZZ äusserte ihre Vorbehalte gegen den Schritt und titelte: «Eine Vertragsverlängerung zur Unzeit». Der «Blick» warf die Frage auf: «Wird Nati-Coach Fischer zur lahmen Ente?»
Fischer liess die Kritik zumindest äusserlich unberührt. In einem Interview mit der NZZ sagte er vor dem WM-Start: «Ich kenne meine Qualitäten und vertraue in diese. In meiner Karriere als Spieler habe ich die meisten der Ziele, die ich angestrebt habe, auch erreicht. Das ist auch als Coach mein Anspruch.» Es ist eine von Fischers grössten Qualitäten, dass er sich, aber auch das, was über ihn gesagt und geschrieben wird, nicht allzu ernst nimmt.
Nun hat Patrick Fischer an seiner neunten WM und nach zwei Olympiaturnieren die zweite Medaille gewonnen. Wie vor sechs Jahren in Kopenhagen ist es eine silberne. Das ist keine überragende Ausbeute, vor allem auch angesichts der verbesserten Perspektiven. Fischer profitierte davon, dass ihm eine neue, starke Generation mit herausragenden Individualisten wie Nashvilles Roman Josi, New Jerseys Nico Hischier oder Los Angeles’ Kevin Fiala zur Verfügung steht. Von solchen Spielern konnten seine zahlreichen Vorgänger nur träumen.
Fischer hat das Eishockey nicht neu erfunden. Er ist kein taktisches Genie, das Dinge erkennt, die anderen verborgen bleibt. Und er hat nicht einmal überragende Verdienste in der Förderung des Nachwuchses. Aber er ist ein hervorragender Kommunikator, der öffentlich gut ankommt. Und wahrscheinlich ist es sein grösstes Verdienst, in und um das Nationalteam ein Denken implementiert zu haben, das es erlaubt, an Grosses zu denken und es auch auszusprechen. Er hat damit im Nationalteam eine Atmosphäre geschaffen, in der die Spieler gerne antreten.
Stolz auf die Mannschaft und auch etwas auf sich selber
Als Fischer nach dem Penalty-Sieg im Halbfinal gegen Kanada vor die Medien trat, sagte er, wie stolz und dankbar er sei, Coach dieser Mannschaft zu sein. «Und das würde ich auch sagen, wenn wir dieses Spiel verloren hätten.» Die Schweizer verloren es nicht, sehr wohl aber jenes am Sonntagabend um WM-Gold. Es ist eine herbe Enttäuschung nach der Euphorie, die sich in den letzten Tagen in Prag und auch in der Schweiz breitgemacht hat.
Doch eine Silbermedaille ist für das Schweizer Eishockey noch immer ein Erfolg, auch wenn es bereits die dritte in den vergangenen elf Jahren ist und Gold eigentlich überfällig scheint. International sind nicht nur die Tschechen, sondern auch die Kanadier, die Schweden, die Amerikaner und die Finnen immer noch bedeutend breiter aufgestellt als die Schweizer.
Keinen anderen dürfte die Niederlage am Sonntag gegen Tschechien mehr schmerzen als Fischer. Trotzdem hat er bestätigt, dass sein Mantra, auf dem richtigen Weg zu sein, mehr war als eine beschönigende Durchhalteparole. An der WM in Prag hat er sich das Recht verdient, seine Arbeit im Nationalteam bis zur Heim-WM in zwei Jahren fortzusetzen. Egal, wie lange die Niederlagenserie im kommenden Winter ohne NHL-Spieler auch werden wird.