Donnerstag, November 21

Seit es den Schweizer Nachrichtendienst gibt, wurde er diverse Mal umgebaut. Erst kürzlich wurde wieder eine grundlegende Restrukturierung abgeschlossen. Sie hat Folgen für die Sicherheit der Schweiz.

Ein grundlegender Umbau, Unmut bei der Belegschaft, den Kantonen und in der Politik: Der NDB kommt nicht aus den Negativschlagzeilen heraus, und das während einer weltweit schwierigen Sicherheitslage. Grund ist insbesondere die Transformation, die der Direktor Christian Dussey im April 2022 eingeleitet hat. Diverse Male wurde der Dienst in der Vergangenheit bereits umgebaut und hat sich neu ausgerichtet. Ist die neuste Transformation eine zu viel?

Blicken wir zurück: Während des Ersten und des Zweiten Weltkriegs kümmerten sich die Bundespolizei und die Armee um die Spionageabwehr. Über 900 Schweizer wurden im Zweiten Weltkrieg wegen Spionage verurteilt, 17 Landesverräter hingerichtet.

Der NDB im Kalten Krieg

Dann kam der Kalte Krieg, und die Nachrichtensektion in der Schweizer Armee wurde durch die Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr (UNA) ersetzt. Die UNA arbeitete nicht mit Agenten, sondern beschaffte sich Informationen über Funkaufklärung und mithilfe von «befreundeten Nachrichtendiensten», so wie jenen aus Deutschland, Grossbritannien oder den USA. Hauptaufgabe der UNA war, die Situation an der Grenze zum Warschauer Pakt zu beobachten, damit die Schweiz bei einem möglichen Angriff nicht überrascht worden wäre.

Die Zäsur für die Dienste folgte nach dem Fall der Berliner Mauer 1989, als ein Jahrhundertskandal die Schweiz erschütterte: die Fichenaffäre. Die erste Bundesrätin, Elisabeth Kopp, war zurückgetreten, und eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) untersuchte ihren Rücktritt wegen einer möglichen Amtsgeheimnisverletzung. Im 245-seitigen Bericht der PUK drehten sich 14 Seiten um sogenannte «Fichen». 900 000 wurden angelegt, laut offiziellen Archiven von mehr als 700 000 Personen und Organisationen.

Registriert wurden Menschen, die beispielsweise Kontakt hatten mit kommunistischen Ländern oder deren Ideologien. Aber auch, wenn Bürger lediglich an Demonstrationen teilnahmen. Die «Dunkelkammer der Nation» zeigte vor allem, wie erschreckend misstrauisch die Bundespolizei gegenüber den eigenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern war. Die Schweiz stand unter Schock.

Viele Dienste, schlechte Zusammenarbeit

Dieser Skandal führte zu grundlegenden strukturellen Änderungen bei den Nachrichtendiensten in den darauffolgenden zehn Jahren. Innerhalb der Bundespolizei wurde der für das Inland zuständige nachrichtendienstliche Teil für Analyse und Prävention ausgegliedert. Weiter wurde ein strategischer Nachrichtendienst geschaffen, der Informationen aus dem Ausland sammelte, analysierte und auswertete.

Die gesamte Armee-Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr wurde aufgelöst. Die Armee verfügte neu über zwei Abteilungen: den militärischen Nachrichtendienst (MND), der dem Generalstabschef unterstellt war, und den Nachrichtendienst der Luftwaffe.

Die neue Struktur sollte die Angst vor dem Überwachungsstaat mindern, sorgte jedoch in der Politik für grosse Unzufriedenheit. Sicherheitspolitiker kritisierten, die Dienste würden nicht gut zusammenarbeiten, der Informationsaustausch sei ungenügend. Auch würden sich die verschiedenen Abteilungen oftmals mit den gleichen Fragen beschäftigen und zum Teil sogar in ihrer Arbeit behindern.

Es folgten erneute Umstrukturierungen: Die beiden zivilen Dienste (In- und Ausland) wurden zusammengelegt, und ab 2010 entstand der heute bekannte Nachrichtendienst des Bundes (NDB).

Neuer Führungskodex nach US-General

Dieser Dienst zeigte sich transparenter und machte gewisse Informationen der breiten Öffentlichkeit zugänglich mit dem jährlichen Lagebericht «Sicherheit Schweiz». Die Schwerpunkte sind seither stets mehr oder weniger dieselben: Russland, das seine Macht ausbauen will, die USA und China als direkte geopolitische Grossmächte, jihadistisch motivierter Gewaltextremismus und Terrorismus, Programme zu Massenvernichtungswaffen in Iran und Nordkorea oder auch verbotene ausländische Geheimdienste.

Heute ist der Nachrichtendienst nicht nur mit der global schwierigen Sicherheitslage beschäftigt, sondern vor allem auch mit sich selbst. Kurz nachdem Russland die Ukraine im Februar 2022 angegriffen hatte, übernahm Christian Dussey als Direktor die Führung des NDB. Er leitete im Auftrag der VBS-Chefin Viola Amherd einen weiteren Umbau des Dienstes ein. Binnen zwei Jahren sollte eine komplett neue Struktur mit neuen Führungsbereichen am Hauptsitz an der Papiermühlestrasse in Bern etabliert werden.

Gemäss dem NDB-Direktor Christian Dussey geht es um «Agilität» und eine vernetzte Organisation, die als «Team of Teams» arbeitet. Was soll das bedeuten?

Der US-General Stanley McChrystal predigt diesen Führungskodex. Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin soll befähigt werden, selbst Entscheidungen zu treffen, anstatt nur auszuführen, was ihm oder ihr gesagt wird. Grundlage dafür sind ein transparenter Informationsaustausch, gegenseitiges Vertrauen sowie ein gemeinsames Bewusstsein und gemeinsame Ziele innerhalb eines Teams.

Mit der Reorganisation sind diese Werte aber offenbar nicht gefördert worden, sondern im Gegenteil, sie sind erodiert. So hat der radikale Umbau zu einem schlechten Arbeitsklima geführt. An der Personalbefragung 2023 nahmen 70 Prozent der NDB-Mitarbeiter teil. Sie konnten die Leitung des Dienstes bewerten auf einer Skala von 1 bis 100. Die Führungskräfte erhielten gerade einmal 35 Punkte. Der Durchschnitt der Bundesverwaltung lag bei 61 Punkten. Abgefragt wurde unter anderem, ob die oberste Leitung Vertrauen geniesst in ihren Entscheiden. Fast jeder dritte NDB-Mitarbeiter kreuzte «stimme gar nicht zu» an.

Kein Wunder, verliessen deutlich mehr Mitarbeiter den Dienst als sonst. Die personelle Fluktuation liegt normalerweise bei rund 5 bis 6 Prozent, letztes Jahr lag sie bei 8 Prozent.

Im April erklärte Dussey im Interview, die Leute würden beispielsweise wegen zu wenig Home-Office-Möglichkeiten kündigen oder wegen der personellen Unterbesetzung und des damit einhergehenden grossen Druckes. Doch zu diesem Zeitpunkt kannte er die Resultate der Umfrage bereits und wusste somit, dass es ein gravierendes Vertrauensproblem gibt. Unzufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Nachrichtendienst sind ein Sicherheitsrisiko. Sie sind anfälliger für Verrat, Datendiebstahl oder Spionage.

Die neue Managementstruktur sollte den Dienst auch effizienter machen, um der gegenwärtig schnelllebigen und komplexen Welt gerecht zu werden. Der Dienst soll sich ausserdem auf Bereiche konzentrieren, in denen er «einen Unterschied machen kann», wie der NDB Anfang Jahr selbst schrieb.

Einen Unterschied hat er tatsächlich gemacht, bei seinen Partnern, den Kantonen. Jedoch nicht im positiven Sinne. Sie schlugen im Frühling Alarm. Der NDB sei zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Der nötige Austausch funktioniere immer weniger. Die Konferenz der kantonalen Polizeikommandantinnen und -kommandanten bestätigte dies gegenüber Radio SRF Ende Oktober. Es gebe «keine wesentlichen Veränderungen», seit die Transformation im März 2023 abgeschlossen worden sei.

Was nun? Der Direktor Christian Dussey will das Problem mit mehr Personal lösen. Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates kam ihm entgegen und sprach sich für 150 neue Stellen bis 2028 aus. Diesem Wunsch ist die Finanzkommission jedoch nicht nachgekommen. Sie sieht keine Stellenaufstockung für den NDB im Budget 2025 vor. Einige Sicherheitspolitikerinnen und -politiker möchten sowieso zuerst eine «Erfolgskontrolle» der Umstrukturierung sehen, bevor der Dienst mehr Ressourcen erhält.

Das Problem liegt offenkundig tiefer, als dass es mit mehr Personal gelöst werden könnte. Der Dienst hat primär drei «Stakeholder», um wieder in die Managersprache zu wechseln: seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Kantone und der Bundesrat. Bei mindestens zwei von dreien fehlt jedoch das Vertrauen derzeit.

Strukturen kann man ändern, so wie sie im Nachrichtendienst schon oft geändert wurden in den letzten Jahrzehnten. Aber eine vertrauensvolle Kultur kann man nicht von oben herab delegieren. Das ganze Prinzip des «Team of Teams» baut auf einer solchen Kultur auf. Damit hat sich der NDB die wohl schwierigste Transformation auferlegt, in einer geopolitisch besonders heiklen Zeit.

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