Als Sohn eines indischstämmigen Vaters aus der Karibik und einer Schweizer Mutter war der Schriftsteller schon als Kind rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. Die Auseinandersetzung damit prägt seit einiger Zeit sein Schaffen.
Dass er anders war als die meisten, lernte Martin R. Dean nur allmählich und auf schmerzhafte Weise. Die anderen Kinder werden es ihm gesagt haben, die Erwachsenen ebenso, die Lehrer gaben es ihm in der Schule mit Herablassung zu verstehen. Und im Fussballklub galt er als gewiefter Spieler. Denn er hatte dunkle Haut, dunkelhäutige Fussballer waren bekanntermassen Ausnahmekönner und brandgefährlich. Dass Dean dem Vorurteil nicht entsprach, machte es nur noch schlimmer.
Was Rassismus ist, wusste Martin R. Dean damals noch nicht; als Sohn einer Schweizerin und eines jungen indischstämmigen Mannes von der Karibikinsel Trinidad und Tobago bekam er ihn bloss zu spüren.
Dass er anders ist als die anderen, merkt er 1982 wieder, als sein erstes Buch erscheint. Nun allerdings fährt dem Ahnungslosen ein ganz unbekannter Schock in die Glieder. In der Zeitung erscheint zu der Besprechung seines Romans «Die verborgenen Gärten» ein Bild des Autors. Schreckensstarr fragt er sich, was die Leute nun denken würden. «Konnte einer, der so aussah, überhaupt als Schriftsteller gelten?» Er schliesst sich zu Hause ein und wagt kaum mehr, nach draussen zu gehen.
Martin R. Dean erzählt die Geschichte in dem vor kurzem veröffentlichten Essayband «In den Echokammern des Fremden». Als sein Romandebüt erschien, hatte er längst gelernt, was Rassismus ist und wie er davon betroffen war. Doch eher löste dieses Wissen Scham aus als Wut. Er fühlte sich ertappt als Hochstapler, als einer, der sich eine Rolle anmasste, die ihm nicht zustand.
Vom Stiefvater verachtet
Dean trägt bis zum heutigen Tag zwei grosse Wunden mit sich herum. Sie waren stets gegenwärtig in seinem Schaffen, selbst da, wo sie nicht zur Sprache kamen. Die eine Wunde war seine Herkunft und Abkunft, die ihn hierzulande zu einem sichtbar Fremden machte. Noch sehr viel quälender war die andere: Seine Mutter und der ungeliebte Stiefvater zwangen ihn in eine Komplizenschaft, um gerade diese Abkunft auszulöschen.
Schon kurze Zeit nach seiner Geburt hatte sich Deans Mutter vom Vater des Kindes auf Trinidad und Tobago getrennt, wohin sie im November 1955 gereist waren. Die Mutter blieb mit dem Sohn noch rund vier Jahre in der Karibik: lange genug, um im Kind bleibende Eindrücke zu hinterlassen, zu kurz, als dass es hätte heimisch werden können. Vor allem aber kehrte sie mit einem anderen Mann in die Schweiz zurück, indischstämmig auch er, der freilich Deans leiblichen Vater verachtete und darum auch den Sohn ablehnte.
Es waren also keine leichten Umstände, in die dieses Kind hineingeraten war. Und wenn zu Beginn der sechziger Jahre in der Schweiz schon Italiener als unerträglich fremd galten, wie musste erst ein Kind mit dunkler Haut auffallen? So wuchs es gleich mit einem doppelten Handicap auf.
Davon handelt der erste und längste Teil von Martin R. Deans Essayband. Das Kapitel steht unter dem etwas grossspurigen, bei James Joyce entlehnten und aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen umgestellten Titel «Porträt des jungen Mannes als Schriftsteller». Dean rekapituliert darin frühe Stationen seiner Lebensgeschichte, wie er sie schon im 2024 erschienenen Roman «Tabak und Schokolade» erzählt hatte, ergänzt mit einer Art intellektueller Selbstbiografie.
Reproduzierte Klischees
Bewegend und berührend sind die Passagen, in denen Dean nah an seine Erinnerungen herangeht. Da vergegenwärtigt er sich als Kind, Jugendlicher und Student, und es gelingen ihm eindrückliche Szenen. Doch sobald er sich mit seinem intellektuellen Rüstzeug darüber hermacht, erstickt eine Mischung aus überambitioniertem und zugleich fahrigem Denken das so anschaulich Imaginierte.
Das wirkt mitunter unfreiwillig komisch, wenn er beispielsweise über die nach Dürrenmatts und Frischs Tod angeblich neu zu besetzende Stelle eines Säulenheiligen in der Schweizer Literatur sinniert. Bedauernd kommt er zum Ergebnis, dass Autoren mit Migrationshintergrund nie und nimmer dafür infrage kämen. Dass die Vorstellung von literarischen Säulenheiligen ohnehin antiquiert ist und noch nie eine Auszeichnung war, weiss auch Dean. Aber es kümmert ihn nicht, solange er nur eine vermeintliche Diskriminierung anprangern kann.
Gelegentlich manifestiert sich das nonchalante Denken im phrasenhaften Sprachgebrauch. So erinnert sich Dean, dass manche Mädchen in ihm wegen seiner Hautfarbe «einen ungestümen Liebhaber vermuteten». Er widerspricht, indem er ohne Ironie ausgerechnet jenes Klischee reproduziert, dem die Mädchen aufsassen, als sei doch etwas dran an dem – rassistischen? – Stereotyp: «Ich war kein feuriger Latin Lover.» Als wäre er die Ausnahme von der Regel, beteuert Dean noch einmal: «Ich war keiner, der Männlichkeitsritualen huldigte.»
Schlichtes Weltbild
Einem ähnlichen Kurzschluss des Denkens erliegt Dean in schwärmerischen Erinnerungen an Alain Tanners und Claude Gorettas Filmen aus den frühen siebziger Jahren. Nichtweisse kämen darin zwar nicht vor, so Dean, aber: «People of Color hätten sich in diesen Filmen wohlgefühlt.» Zum ersten Mal sei hier «eine unordentliche Schweiz aufgetaucht» mit «Aschenbechern voller Kippen» und «klapprigen Occasionsautos» in den Strassen, schreibt Dean. Tanners und Gorettas Filmhelden seien alternativ, lebenslustig und rebellisch, die «verklemmten Musterschweizer» dagegen spiessig und bigott.
Vielleicht sind die Filme tatsächlich so simpel gestrickt (vermutlich nicht). Aber es ist durchaus möglich, dass die Schweiz damals voll von Spiessern war. Doch darum geht es nicht. Dean scheint damit erklären zu wollen, warum sich Nichtweisse in diesen Filmen wohlgefühlt hätten: weil darin rebellische, lebenslustige und alternative Menschen vorkamen in einer unordentlichen Schweiz. Meint er es tatsächlich so? Weil «People of Color» so sind und es so mögen? Nein, das kann er nicht ernsthaft meinen.
Hingehen, wo es weh tut
An allen diesen Stellen ahnt man, was Dean sagen möchte. Aber das steht so nicht auf dem Papier. Das ist teils Unbeholfenheit, teils fehlt dem reflexhaften Denken als Korrektiv die nötige Selbstreflexion.
Martin R. Dean geht mit zwei grossen Wunden durchs Leben. Sie werden nicht heilen, aber er hat daraus ein paar grosse Bücher geschaffen, nicht zuletzt den Roman «Meine Väter» von 2003. Dean ist auch ein begabter Essayist mit originellen Gedanken und sprachlicher Eleganz, der sich weder mit der erstbesten Idee noch mit der nächstliegenden Formulierung zufriedengibt. Doch dort, wo der Schmerz in den Wunden pulsiert, verlassen ihn oft das Sprachgefühl und die Souveränität des Denkens. Es erfordert Mut, trotzdem immer wieder da hinzuschauen, wo es weh tut. Dafür gebührt Martin R. Dean, der heute siebzig wird, grosser Respekt.
Martin R. Dean: In den Echokammern des Fremden. Essays. Atlantis-Verlag, Zürich 2025. 192 S., Fr. 24.90.