Eine umstrittene Hilfeleistung könnte den St. Galler Segler die Teilnahme an der Vendée Globe kosten. Er hatte nach einer Notsituation während der Transat mit seinem Mentalcoach telefoniert. Ob das erlaubt war, wird nun untersucht.
Kann ein Telefongespräch, das ein Skipper nach vielen Stunden Überlebenskampf mitten im Atlantik mit seinem Mentalcoach geführt hat, sanktioniert werden? Sind die strengen Auflagen des bekanntesten und grössten Offshore-Wettbewerbs im Zeitalter der modernen Kommunikation noch zeitgemäss? Diese Fragen dürften fünf Monate vor dem Start der Vendée Globe für Diskussionsstoff sorgen.
Das Solo-Rennen nonstop um die Welt lebt nicht nur vom Mythos als härteste Segel-Regatta, sondern auch von der Philosophie, dass jede Leistungshilfe für das Boot oder für den Skipper untersagt ist. Dieses Reglement wird auch in den Qualifikationsrennen angewendet. Die wichtigsten dieser Regatten sind zwei Atlantiküberquerungen: von Lorient nach New York und zurück. Die erste Transat fand im Mai statt, die zweite zurück nach Frankreich ist im Gange.
Neben Justine Mettraux und Alain Roura (nur auf dem Hinweg) ist auch der Schweizer Oliver Heer dabei. Seine Qualifikation für die Vendée Globe ist noch nicht sicher; er braucht die Meilen der beiden Transatlantik-Rennen. Auf dem Weg nach New York schien sein Vorhaben zu scheitern: Wegen der Folgen eines plötzlichen Defekts des automatischen Piloten mitten in der Nacht kenterte sein Boot. Wasser drang ein, die gesamte Elektrik stieg aus, Heer wurde herumgeschleudert und erlitt leichte Verletzungen.
«Ich habe einen Albtraum erlebt. Es war ein Gemetzel. Das Schlimmste war, dass ich nach zehn Sekunden einen kompletten Blackout im Schiff hatte, keinen Strom, nichts. Um drei Uhr morgens bei 40 Knoten ist das keine sehr angenehme Situation.» Nach stundenlangen Reparaturarbeiten gelang es Heer, mithilfe der Solarzellen Strom zu erzeugen. Anschliessend musste der 36-Jährige seine Rennjacht während sechs Tagen von Hand steuern.
«Zum ersten Mal wusste ich auf einem Segelboot nicht, was ich tun sollte»
In New York sprach der St. Galler auch über seine mentale Verfassung während seiner mehrtägigen Notlage. Normalerweise sei er belastbar, kreativ und positiv. Doch in dieser Situation sei er an einem absoluten Tiefpunkt angelangt. «Zum ersten Mal auf einem Segelboot wusste ich nicht, was ich tun sollte oder wie ich es tun sollte.»
Ein oder zwei Tage lang habe er sich in diesem Tief befunden, er sei überwältigt gewesen. Dann habe er mit seinem Mentalcoach telefoniert. Der habe ihm klar gesagt, er müsse diese Situation akzeptieren, sonst verschwende er seine geistige Energie, die er brauche. Daraufhin habe Heer an die Bordwand geschrieben: «Nimm diesen Sch…. an!»
Seine Schilderungen waren im Pressedienst des Veranstalters nachzulesen. Heer hat also freimütig über die Hilfe seines Mentalcoachs berichtet. Offenbar war dem Skipper, der als erster Deutschschweizer an der Vendée Globe teilnehmen will, nicht klar, dass er gegen die Segelanweisung Artikel 21.2. der Transat verstossen hat: «Alle Leistungshilfen für das Boot oder den Skipper, die von einer Quelle ausserhalb des Skippers und des Bootes stammen, sind verboten, mit Ausnahme entweder von Situationen, die ausschliesslich mit der Sicherheit des Skippers zusammenhängen, oder von nachgewiesenen Kollisionsrisiken und/oder Risiken von Materialbruch, die das Leben des Skippers gefährden können.»
Heer, der stundenlang ums Überleben kämpfte, hat in seiner Notlage also den Rat seines Mentalcoachs gesucht. Das dürfte im Rahmen der Vendée Globe ein Novum sein. Das Reglement schreibt vor, dass eine medizinische Betreuung nur durch den Rennarzt oder aber den Vertrauensarzt des Skippers erfolgen darf, dessen Namen er vorher der Rennleitung mitteilen muss.
Allerdings kann in diesem Fall zu Recht die Frage gestellt werden, ob in einer solchen Situation der Rat einer Vertrauensperson nicht auch eine lebensrettende Massnahme bilden kann. Heers Rennteam, das von seiner Frau geleitet wird, will sich momentan nicht zum Fall äussern, ebenso wenig sein Mentalcoach.
Das Thema Leistungshilfe führt in der Vendée Globe seit vielen Jahren zu Diskussionen. Es geht dabei vor allem um verbotene Hilfeleistungen auf der Kommunikationsebene. Vor drei Monaten sorgte der Fall Crémer für Schlagzeilen. Der französischen Seglerin wurde vorgeworfen, während der letzten Vendée Globe Wetterdaten von ihrem Mann erhalten zu haben. Das Ehepaar wurde mit der Begründung freigesprochen, die Seglerin hätte keinen Vorteil aus den Informationen ziehen können. Im Rahmen der Affäre wurden die Skipper zum Thema Hilfeleistung befragt. Eine der Hauptforderung: ein klareres Regelwerk.
Das Regelwerk wurde an der Vendée Globe bisher meist rigoros durchgesetzt
Ein Skipper oder eine Skipperin, ein 60-Fuss-Einrumpfboot, eine Weltumrundung, keine Zwischenstopps und keine Hilfeleistungen. Mit diesem kompromisslosen Konzept wurde 1989 die Vendée Globe ins Leben gerufen. In der Geschichte der alle vier Jahre stattfindenden Regatta hat die Rennleitung diese Grundlagen meistens rigoros durchgesetzt.
Das musste auch der Schweizer Hochseesegler Bernard Stamm erfahren. 2013 wurde der Waadtländer disqualifiziert, weil ihm zwei Matrosen eines russischen Forschungsschiffes gegen seinen ausdrücklichen Willen beim Ankermanöver für einen Reparaturstopp in einer neuseeländischen Bucht geholfen hatten. Obschon der Vorfall unbeobachtet blieb, meldete der Segler die Aktion, Stamm wurde vom Rennen ausgeschlossen.
Heer drohen gemäss einem französischen Pressebericht nun leichte bis schwere Strafen. Letztere wäre die Disqualifikation von der ersten Transat, was bedeuten würde, dass Heer die notwendigen Meilen für die Vendée Globe fehlen würden. Gegenwärtig liegt der Segler auf der New York Vendée zurück nach Frankreich auf Platz 27.