Donnerstag, Oktober 10

Das Verschwinden des sechsjährigen Arian aus Niedersachsen bewegt Deutschland. Die aktive Suche soll am Dienstag eingestellt werden.

Es ist der Albtraum aller Eltern: Das eigene Kind verschwindet. Die Eltern des sechsjährigen Arian erleben gerade das. Der Junge aus dem norddeutschen Bremervörde-Elm wird seit mehr als einer Woche vermisst. Nur dünn bekleidet, entwischte er aus der elterlichen Wohnung.

Laut «Bild» handelt es sich um die grösste organisierte Suche nach einem Kind, die es in Deutschland je gab. Zeitweise suchten 1200 Kräfte nach dem Buben, unter ihnen auch Soldaten der Bundeswehr. Boote, Drohnen, Suchhunde und eine Reiterstaffel standen im Einsatz. Ein Tornado-Flugzeug der Bundeswehr erstellte Aufnahmen mit einer Wärmebildkamera. Am Sonntag wurde ein Gebiet von 15 Quadratkilometern abgesucht. Nachdem das Suchgebiet zuerst auf das Umfeld von Elm begrenzt worden war, wurde es später ausgeweitet. Von einem Kriminalfall gehen die Ermittler weiterhin nicht aus.

Arian ist Autist. Das erschwert die Suche, da er auf Rufe nicht reagieren könnte. Auch hat er möglicherweise keine Angst vor dem dunklen Wald. Die Müllabfuhr war angehalten worden, Container nicht abzuholen, da sich der Junge dort verstecken könnte. Landwirte sollten ihre Felder nicht mähen.

Sofort die Polizei rufen – die 24-Stunden-Frist gibt es nicht

Am Montag änderte die Polizei ihre Suchstrategie: Die aktive Suche wird am Dienstag eingestellt. Dafür übernimmt die Ermittlungsgruppe «Soko Arian». Es werde nun nicht mehr flächendeckend, sondern anlassbezogen gesucht, wenn man neue Hinweise habe, sagte ein Sprecher.

Dass man mit einer so grossen Zahl von Einsatzkräften nach einem Kind suche, wie es bei Arian der Fall gewesen sei, sei eher die Ausnahme, sagt Lars Bruhns von der Initiative Vermisste Kinder. Dies mache man in besonders kritischen Fällen. Die Initiative Vermisste Kinder berät Angehörige unter der europaweit einheitlichen Hotline 116 000, sie unterstützt sie bei der Koordination mit den Behörden. Auch Jugendliche, die ausgerissen sind und nicht weiterwissen, berät die Organisation.

In der Regel beginne die Suche im Nahbereich und werde schrittweise ausgeweitet. Studien zeigen, dass 90 Prozent der vermissten Kinder innerhalb eines Radius von 5 Kilometern vom Wohnort gefunden werden.

Generell sollte man bei vermissten Kindern sofort die örtliche Polizeidienststelle informieren, heisst es bei der Polizei. Filme und Serien suggerieren oft, dass 24 Stunden seit dem Verschwinden vergangen sein müssen, doch dieses Zeitlimit gibt es nicht.

Minderjährige gälten als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen hätten und die Eltern oder andere Sorgeberechtigte nicht wüssten, wo sich das Kind aufhalte, heisst es auf der Website des Bundeskriminalamts (BKA). Bei Kindern wird automatisch von einer Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit ausgegangen.

Täglich werden in Deutschland zwischen 200 und 300 Vermisstenfälle erfasst, rund die Hälfte sind Kinder und Jugendliche. Etwa die gleiche Zahl wird wieder gelöscht, da der Fall geklärt werden konnte.

Über vermisste Kinder berichten die Medien intensiv. Das BKA weist darauf hin, dass so der Eindruck entstehe, dass es ein hohes Gefährdungspotenzial für alle Kinder gebe. Viele Menschen glaubten fälschlicherweise, dass die Zahl nicht wiedergefundener Kinder hoch sei und dass vermisste Kinder in bedeutender Zahl Opfer eines Kinderpornografierings geworden seien.

Eine Aufklärungsquote von 99,8 Prozent

Schaut man sich jedoch die Datenbanken der Polizei an, zeigt sich, dass in Deutschland im vergangenen Jahr 16 500 Kinder bis 13 Jahre als vermisst galten. Die meisten Fälle klärten sich innerhalb der ersten Woche. 15 800 Fälle konnten gelöst werden. Die Aufklärungsquote der letzten sechs Jahre liegt laut BKA bei 99,8 Prozent. Unter den noch nicht aufgeklärten Fällen seien viele Fälle, in denen sich ein Elternteil wegen Sorgerechtsstreitigkeiten mit dem Kind abgesetzt habe. Auch solche Fälle erfasst die Polizei als «Vermisstenfälle», doch in der Regel bestehe hier keine Gefahr für die Kinder.

An Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren wurden im Jahr 2023 rund 77 700 vermisst, wobei sich 75 000 Fälle wieder erledigten.

In vielen der noch nicht geklärten Fälle handelt es sich um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, welche die ihnen zugewiesenen Einrichtungen verliessen, um weiter zu Verwandten zu gelangen. Mehrfacherfassungen und fehlende Papiere erschwerten hier eine genaue Statistik, schreibt das BKA.

Obwohl kleineren Kindern oft eine höhere Priorität eingeräumt werde, weil sie als besonders schutzbedürftig gälten, nehme die Initiative Vermisste Kinder jeden Fall von vermissten Jugendlichen sehr ernst, sagt Lars Bruhns. «Jugendliche können anderen Risiken ausgesetzt sein, wie Ausbeutung oder Kriminalität.» Daher benötigten sie ebenfalls schnelle und effektive Suchmassnahmen.

Auch wenn die aktive Suche nach Arian nun eingestellt wird: Hoffnung geben Fälle wie der des 2022 in Oldenburg vermissten Joe. Das achtjährige Kind wurde nach acht Tagen intensiver Suche körperlich unversehrt entdeckt: in einem Kanalschacht unweit des Elternhauses.

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