Freitag, Oktober 11

Den Mangarahara-Buntbarsch gibt es eigentlich nur auf Madagaskar. Die Art ist fast ausgestorben. Nun soll sie sich erholen – unter anderem in Zürich.

Die Natur ist grausam: fressen und gefressen werden. Und der Mensch schaut zu, zum Beispiel am allmonatlichen Medien-Apéro des Zürcher Zoos. Im Sommer hatte an einem solchen Anlass das letzte Stündlein von mehreren Forellen geschlagen. Sie wurden zu Dutzenden in Kübeln herangeschleppt und bei der Fischotteranlage ins Wasser gekippt – lebend. Danach wurden sie vom Fischotter-Männchen des Zoos gejagt, getötet, gefressen. Vor aller Augen. Klick, klick, klick – die Journalisten und ihre Kameras bekamen etwas geboten.

Aufregen über das blutige Schauspiel unter Wasser mochte sich niemand. Es sind ja nur Fische. Und sie haben ja eine Chance, dem pelzigen Jäger zu entkommen, zumindest in der Theorie. Sie müssen sich nur gut genug unter den Felsen und Baumstämmen im Aquarium verstecken. Das ist schliesslich eine Bedingung, die der Zoo gemäss Veterinäramt des Kantons Zürich erfüllen muss. Sonst dürften Fische gar nicht lebend verfüttert werden.

Zerrissen oder in einem Stück

Allein, in der Praxis hatten die Forellen keine Chance: Eine nach der anderen wurde vom wendigen Fischotter-Männchen gepackt und in Stücke zerrissen. Es war ein ungleicher Kampf, zumal den Fischen im Wasser zu allem Übel auch Gefahr von oben drohte: Ein Graureiher hatte Wind von der Fütterung bekommen und packte ebenfalls zu. Einmal den Schnabel aufsperren, und weg ist der Fisch, in einem Stück, verschwunden im Schlund.

Die Menschen hinter der Glasscheibe waren fasziniert. Die Journalisten hatten etwas zu berichten.

Dabei handelte es sich um einen normalen Vorgang. Forellen werden im Zoo jeden Tag verfüttert. Die Idee dahinter: Die beiden Fischotter der Anlage sollen ihren Jagdinstinkt trainieren und diese Fertigkeiten irgendwann auch ihren Jungen weitergeben – damit diese sich auch in der freien Wildbahn zurechtfinden, falls sie eines Tages tatsächlich ausgewildert werden sollten, um der spärlichen Fischotter-Population in der Schweiz frisches Blut zuzuführen.

Bedrohtes Paradies der Artenvielfalt

Bei der öffentlichen Fütterung im Juni also waren die Rollen klar verteilt: Der Fischotter war der Star der Veranstaltung, weil er putzig und selten ist. Forellen hingegen sind Massenware – Kollateralschaden, so hart das klingen mag.

Am Zoo-Apéro am Donnerstag indes war das anders. Da spielte ein Fisch die Hauptrolle. Und zwar nicht irgendeiner, sondern ein Zungenbrecher: der Mangarahara-Buntbarsch. Seit kurzem schwimmen 14 Exemplare dieses Süsswasserfischs in einem der Aquarien des Zürcher Zoos. Die PR-Verantwortlichen des Hauses kennen keine Zurückhaltung: Angekündigt wird «der seltenste Fisch der Welt».

Vor Ort will man diesen Superlativ zwar nicht mehr verwenden. Doch die Geschichte, die der Kommunikationschef Dominik Ryser in die Kameras und Notizblöcke der Journalisten diktiert, ist immer noch eindrücklich, auch wenn es sich lediglich um «einen der seltensten Fische» unseres Planeten handeln sollte: Der Mangarahara-Buntbarsch kommt nur in Madagaskar vor. Die Insel im Indischen Ozean hatte sich vor über 150 Millionen Jahren vom afrikanischen Festland getrennt. In dieser Zeit entwickelte sie sich zu einem einzigartigen Habitat für viele Tier- und Pflanzenarten, die nur auf Madagaskar zu finden sind.

Zu diesen sogenannt endemischen Spezies gehören auch über hundert Süsswasserfischarten – der Mangarahara-Buntbarsch ist eine davon. Von Wissenschaftern erstmals beschrieben und somit als Art definiert wurde er erst vor 18 Jahren. Kurz darauf jedoch galt der Fisch als ausgestorben. Sein Lebensraum im Norden der Insel wurde immer mehr zerstört. Stauseen zur Bewässerung von Reisfeldern waren dem Menschen wichtiger als Buntbarsche, die es sonst nirgendwo gibt auf der Welt. Und in den Aquarien im Ausland sah es nicht viel besser aus. 2013 existierten nur noch vier Mangaraharas, die noch dazu in zwei verschiedenen Zoos lebten: drei Männchen und ein Weibchen.

Als das Weibchen starb, schien das Schicksal der Art besiegelt. Fischforscher starteten zu einer letzten Expedition auf Madagaskar, durchkämmten Flüsse und Bäche, wollten eigentlich schon aufgeben. Dann inspizierten die Wissenschafter einen Seitenarm eines Gewässers, das eigentlich völlig ungeeignet war für den verzweifelt gesuchten Fisch. Und siehe da: Entgegen allen Erwartungen stiessen die Forscher in diesem Bach tatsächlich auf 18 Exemplare des Mangarahara-Buntbarschs.

Gekommen, um zu bleiben?

Die Fische wurden eingefangen und auf eine Fischfarm auf der Insel gebracht. Dort vermehrten sie sich, dann wurde ein Teil von ihnen an Zoos und Aquarien verteilt. Diese Reservepopulation zählt mittlerweile rund 370 Tiere weltweit. 14 davon leben nun in einem drei Meter breiten, knapp zwei Meter hohen und ebenso tiefen Aquarium im Zoo Zürich. Sie wurden vom Zoo Köln abgegeben und sollen nun hier gezüchtet werden.

Ob sie oder ihre Nachkommen jemals in ihre Heimat zurückkehren werden, ist fraglich. Es gibt zwar ein Schutzprojekt in Madagaskar. Aber bis zu einer allfälligen Wiederansiedlung dürften noch Jahre vergehen.

Immerhin: Im Zoo Zürich müssen die Mangaraharas nicht befürchten, gefressen zu werden. Sie dürfen selber fressen. Und anders als der Fischotter müssen sie ihr Futter auch nicht suchen: Die weissen Mückenlarven werden von einem Tierpfleger serviert – in rauen Mengen und gut sichtbar für alle.

Madagassische Fische im Fokus

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