Mittwoch, März 19

Die Erdölvereinigung Opec+ ist daran gescheitert, den Ölpreis auf 100 Dollar je Fass zu treiben. Jetzt geht es um die Verteidigung der Marktanteile. Für die hochfliegenden Pläne Saudiarabiens ist dies ein Rückschlag.

Wenn du das Gegenüber nicht überzeugen kannst, dann verwirre es. Dieses Motto hatten sich die Länder der Erdölvereinigung Opec+ zu Herzen genommen, als sie am jüngsten Treffen ihre Ergebnisse verkündeten. Einerseits verlängerten die Petro-Staaten um Saudiarabien und Russland ihre Entscheidung, weniger zu fördern, bis Ende nächsten Jahres. Das war erwartet worden.

Andererseits kündigten acht Mitgliedstaaten an, freiwillige Kürzungen nur noch bis Ende September fortzusetzen und die Erdölproduktion bis Oktober nächsten Jahres schrittweise hochzufahren, was weniger erwartet war.

Die Marktreaktion liess nicht lange auf sich warten: Statt dass der Erdölpreis in die Höhe getrieben wurde, ging er vielmehr zurück. Der Preis für ein Fass Rohöl der Nordsee-Erdölsorte Brent rutschte nach dem Treffen gar unter die Marke von 80 Dollar je Fass. Wenn auch einmal ein Preis von mehr als 100 Dollar das Ziel gewesen sein soll, rückt dieses nun in weite Ferne. Es half auch nichts, dass sich die Petro-Staaten rhetorisch die Hintertür offen liessen, weniger Erdöl zu produzieren, wenn die Preise schwächeln.

Megacity, Sportveranstaltungen und künstliche Intelligenz

Vor allem Saudiarabien steht vor einem strategischen Dilemma. Riad spricht gerne davon, die Zentralbank am Erdölmarkt zu sein. Damit meinen die Saudi, dass sie wegen ihrer grossen Produktionskapazität, die sie in der Hinterhand haben, die Förderung beinahe beliebig schmälern oder ausweiten können, um den Markt zu beeinflussen. Der Mechanismus hat aber Sand im Getriebe. Derzeit befindet sich Saudiarabien in der schlechtesten aller Welten: niedrige Produktion bei gleichzeitig relativ niedrigen Preisen.

Abschied vom 100-Dollar-Preisziel

Terminmarktpreis für die Nordsee-Erdölsorte Brent, in $ je Fass

Sosehr der Erdölpreis schwächelt, so gross sind jedoch die Ambitionen des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Er ist der starke Mann im Königreich. Seine «Vision 2030», die dem Land eine Zukunft abseits der Erdöleinnahmen sichern soll, verschlingt zunächst, nun ja, Petro-Gelder. Das Herzstück des radikalen Umbaus ist Neom, ein Siedlungsprojekt mit Megacity, Tourismusattraktionen, einem Skigebiet, Universitäten und Innovationszentren sowie Anlagen für erneuerbare Energien.

Das ist aber nicht alles. Saudiarabien plant den grössten Flughafen der Welt mit dazugehöriger globaler Fluggesellschaft, zudem investiert das Königreich Unsummen in den Fussball und andere Sportarten wie Golf, Boxen oder gar auch Darts.

Über den Sport will Saudiarabien sein Image verbessern und seine Position in der Welt stärken. Im Jahr 2027 werden in dem Wüstenstaat die Fussball-Asienmeisterschaften ausgetragen, drei Jahre später folgt die Weltausstellung, und für die Austragung der Fussball-Weltmeisterschaft 2034 ist Riad der letzte verbliebene Kandidat.

Daneben steckt Saudiarabien immense Summen in den Aufbau erneuerbarer Energien und in den Bergbau. Die Wertschöpfung im Land soll erhöht werden. So gibt es Pläne, energieintensive Branchen wie die Stahlerzeugung ins Land zu holen. «Grüner» Wasserstoff soll zu einem Exportgut werden. Auch milliardenschwere Investitionen in künstliche Intelligenz dürfen nicht fehlen.

Riad zapft andere Quellen an

Wenn alles zusammengezählt wird: Der Wüstenstaat braucht enorm viel Geld. Das wichtigste Vehikel für die hochtrabenden Pläne des Kronprinzen ist der Staatsfonds Public Investment Fund (PIF), der derzeit 925 Milliarden Dollar verwaltet. Jüngst musste er mit Währungsreserven in Milliardenhöhe aufgepäppelt werden.

Aber schon der ordentliche Haushalt, in dem viele der visionären Projekte gar nicht enthalten sind, läuft bereits aus dem Ruder. Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) benötigt Riad derzeit einen Erdölpreis von 96.20 Dollar je Fass für einen ausgeglichenen Haushalt. In den vergangenen zehn Jahren schrieb der saudische Staat ohnehin nur einmal schwarze Zahlen.

Wenn der Erdölpreis nicht tut, was der Kronprinz will, kann Saudiarabien immer noch auf andere Geldquellen zurückgreifen. In diesem Jahr hat Riad bereits Staatsanleihen in Fremdwährungen von 17 Milliarden Dollar aufgelegt, so viel wie keine andere aufstrebende Volkswirtschaft. Mit einer Staatsverschuldung von weniger als 30 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt hat das Land noch einigen Spielraum.

Eine andere Möglichkeit ist, Staatsvermögen zu verscherbeln. Saudiarabien kündigte an, einen Anteil von 0,64 Prozent an Saudi Aramco, dem grössten Erdölkonzern der Welt, über die Börse zu verkaufen. Dabei könnte Riad bis zu 12 Milliarden Dollar einnehmen. Auf die Dauer sind jedoch Haushaltsdefizite ein wenig solides Fundament für die Unabhängigkeit vom Erdöl. Auch die schrittweise Veräusserung von Aramco hat den Preis, dass die Dividendeneinnahmen für den Staat schmäler ausfallen werden.

Ohne einen höheren Erdölpreis versanden viele der milliardenschweren Vorhaben. Derzeit fördert Saudiarabien rund 9 Millionen Fass Erdöl pro Tag, das ist so wenig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Und dennoch konnte Riad den Ölpreis nicht in die angestrebte Höhe treiben.

Marktanteile sichern

Rohöl ist derzeit dennoch teuer genug, um andere Produzenten auf den Plan zu rufen. Mit der selbst auferlegten Einschränkung subventionierte Saudiarabien die Erdölförderer mit höheren Produktionskosten als das Königreich. Dazu zählen auch die amerikanischen Schieferölproduzenten. Das Angebot an Rohöl erhöhte sich vor allem in den USA, Kanada, Brasilien und Guyana – alles Länder ausserhalb der Opec+. Es kommt hinzu, dass auch manche Staaten innerhalb der Gruppe sich nicht an die Abmachungen halten.

Die USA profitieren von der saudischen Zurückhaltung

monatliche Rohölproduktion, in Fass pro Tag

Saudiarabien könnte laut der neuen Vereinbarung die Produktion bis Ende Jahr um 250 000 Fass Erdöl erhöhen. Das ist die Hälfte der möglichen Steigerung für alle acht Petro-Staaten, die freiwillig zusätzliche Drosselungen eingeführt hatten. Dies ist auch ein Eingeständnis, dass die bisherige Strategie gescheitert ist. Der Erdölpreis ist ausserdem wegen einer relativ schwachen Nachfrage unter Druck.

Saudiarabien und die übrigen Mitglieder der Opec+ zielen nun auf die Verteidigung der Marktanteile. Das heisst auch, dass der Preis tendenziell sinkt, weil mehr gefördert wird. Der Schwenk fand auch statt, weil Länder wie Kasachstan und vor allem die Vereinigten Arabischen Emirate darauf gepocht hatten, mehr produzieren zu dürfen. Die Emirate hatten bereits vor einiger Zeit damit gedroht, die Opec zu verlassen. Im nächsten Jahr darf der Golfstaat um 300 000 Fass pro Tag mehr fördern als zuvor. Kein Wunder, dass die Emirate als der heimliche Gewinner des Opec+-Treffens bezeichnet werden.

Ein niedrigerer Erdölpreis hat den Vorteil, dass die Nachfrage nach Ölprodukten steigt und dass einige Produzenten mit hohen Förderkosten aussteigen müssen. Die Schieferölunternehmen und die Tiefseebohrungen sind jedoch effizienter geworden, ein Kampf um die Marktanteile könnte lange anhalten. In der Zwischenzeit werden auch die Visionen des Kronprinzen einem Realitätstest unterworfen: Die futuristische horizontale Stadt The Line mit einer Länge von 170 Kilometern soll nun aus Kostengründen in einer ersten Etappe deutlich kleiner als geplant werden.

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