Mittwoch, November 27

Ein neues Turnierformat lockt die besten Spieler mit einem Rekordpreisgeld. So macht sich der Tenniszirkus selber kaputt.

Vergangene Woche Schanghai, diese Woche Stockholm, Almaty und Antwerpen und in der nächsten Basel und Wien: Der Tennisball rollt und rollt, und er scheint nie wirklich zur Ruhe zu kommen. Immer neue, teilweise auch absurde Formate drängen in den Kalender. Der neuste Spross dieser grossen, nicht mehr ganz so glücklichen Familie nennt sich Six Kings Slam und findet ab Mittwoch in Riad in Saudiarabien statt. Das Teilnehmerfeld besteht aus Novak Djokovic, Carlos Alcaraz, Jannik Sinner, Holger Rune, Daniil Medwedew und Rafael Nadal.

Rafael Nadal? Hat der nicht in der vergangenen Woche seinen Rücktritt vom Profitennis bekanntgegeben? Doch, hat er. Aber der 38-jährige Mallorquiner ist zum einen Botschafter des saudischen Tennisverbandes. Und zum anderen lockt ihn und seine Konkurrenten eine Antrittsprämie in der Höhe von 1,5 Millionen Dollar. Dazu winkt dem Sieger der Veranstaltung ein Preisgeld in der Höhe von 7,5 Millionen Dollar.

Die Veranstalter der Exhibition in Riad bewerben ihr Turnier mit dem Label des lukrativsten Schauturniers in der Geschichte dieser Sportart, die noch nie im Verdacht stand, knauserig zu sein. Doch was die Saudi nun bieten, ist sogar für die Tennisszene neu: Die Machthaber im Mittleren Osten wollen mitmischen in diesem Sport, der das Publikum rund um den Globus fesselt wie sonst höchstens der Fussball. Und offenbar will sich niemand die Chance entgehen lassen, in diesen reich gefüllten Topf zu greifen. Versüsst wird Nadal der Start im Wüstenstaat durch die Tatsache, dass er direkt für die Halbfinals gesetzt ist.

Sozusagen ein Weihnachtsgeld für die Topstars

Sportlich motiviert kann diese Vorzugsbehandlung nicht sein. Denn seit fast zwei Jahren hat der Spanier kaum mehr ernsthaft Tennis gespielt. Doch um Sport geht es bei diesem Turnier ohnehin nicht. Die Topstars der Branche holen sich in Riad gewissermassen ihr Weihnachtsgeld ab, auch wenn sie es kaum nötig haben. Novak Djokovic etwa hat gemäss der offiziellen Website der ATP bis heute 185 065 269 Dollar Preisgeld gewonnen. Allein am vergangenen Sonntag kamen für den Finaleinzug in Schanghai 585 000 dazu.

Djokovic steht in der für ihn schwierigsten Saison seit langem. Seit Jahresbeginn hat er nur einen Titel gewonnen, jenen am Olympia-Turnier in Paris, der ihm als einziger bedeutender Titel noch gefehlt hat. Er hat in dieser Saison unter anderem die Weltranglisten-Führung an Sinner abgeben müssen. In der Jahreswertung, dem sogenannten Race to Turin, wo im November der Final der besten acht Spieler dieser Saison stattfinden wird, liegt der Serbe nur auf Platz 6.

Doch noch ist unklar, ob der 37-jährige Serbe dort überhaupt antreten will. Er befindet sich in der Endphase seiner Karriere. Seine zwei langjährigen Konkurrenten Roger Federer und Rafael Nadal sind bereits zurückgetreten oder haben den Rücktritt zumindest angekündigt. Djokovic hält sich noch bedeckt, was seine Zukunft betrifft. Nachdem er die Lücke von Olympia-Gold geschlossen hat, verfolgt er noch ein grosses Ziel: den 100. Turniertitel zu erringen, den er letzte Woche in Schanghai wegen der Finalniederlage gegen Sinner verpasst hat.

Djokovic ist einer der Dauerläufer in einer Sportart, die sich unaufhörlich bewegt – und ihre Protagonisten damit bis an den Rand der Belastungsgrenze treibt. Carlos Alcaraz, einer jener Spieler, die den Serben mittlerweile regelmässig aus den Schlagzeilen verdrängen, beklagte sich im vergangenen Sommer über die zunehmende Belastung. «Ich gehöre zu den Spielern, für die es zu viele Pflichtturniere im Jahr sind. Und wahrscheinlich werden es in den nächsten Jahren noch mehr. Das wird uns umbringen», klagte er noch im September. Das hindert ihn nun aber nicht daran, für ein paar Tage in den Mittleren Osten zu fliegen.

Die ATP verlangt von ihren Spielern aus den Top 50, dass sie pro Saison mindestens an zwölf Turnieren teilnehmen: an den acht der 1000er-Masters-Series sowie an den vier Grand Slams (Australian Open, French Open, Wimbledon, US Open) – wenn die Spieler nicht wegen einer Verletzung verhindert sind. Wer diese Bestimmung nicht erfüllt, erhält für die verpassten Anlässe im Ranking 0 Punkte gutgeschrieben. Zudem müssen die Profis an mindestens sechs weiteren Turnieren teilnehmen, die sie frei auswählen können.

Belastung höher als bei den Fussballprofis

Die physische Belastung im Tennis ist mittlerweile höher als die der meisten Fussballspieler, von denen sich die populärsten finanziell in ähnlichen Sphären bewegen wie die besten Tennisspieler. Entsprechend häufen sich auch die Verletzungen. Alcaraz etwa musste trotz seiner noch relativ kurzen Karriere bereits mehrmals pausieren. Viele ziehen bereits Vergleiche mit seinem Landsmann Rafael Nadal, dessen Körper eine einzige Baustelle ist. Roger Federer, Nadals langjähriger Konkurrent, war ein Meister der Belastungssteuerung. Optimal beraten von seinem langjährigen Fitnesstrainer Pierre Paganini, verstand es der Baselbieter wie kaum ein anderer, immer wieder Pausen zur Regeneration einzulegen.

Unter dem immer volleren Turnierkalender leiden aber nicht nur die Bänder und Sehnen der Spieler, sondern auch die kleineren Turniere, die den Unterbau der ATP-Tour bilden. Die Topspieler treten dort kaum noch an. Diese Woche in Stockholm ist der Russe Andrei Rublew (ATP 6) topgesetzt, in Antwerpen ist es der Australier Alex De Minaur (9), in Almaty der Amerikaner Frances Tiafoe (15). Nächste Woche in Basel ist neben Rublew kein zweiter Top-Ten-Spieler gemeldet. Der Turnierdirektor Roger Brennwald führte Gespräche mit Alcaraz, doch der wollte sich nicht vorzeitig festlegen – und reist nun nach Riad.

Auf Dauer wird das für Turniere, die ihr Publikum bis vor kurzem mit Roger Federer oder Rafael Nadal verwöhnten, zum Problem. Es ist eine Entwicklung, die nicht nur Brennwald Sorgen bereitet. Herwig Straka, der Turnierdirektor in Wien und Mitglied des ATP-Councils ist, sagte der NZZ im vergangenen Frühjahr, als die Pläne der Saudi bekanntwurden: «Natürlich haben wir keine Freude an der Initiative der Saudi. Sie tangieren Basel und auch unser Turnier in Wien direkt. Doch rechtlich können wir wenig dagegen unternehmen. Die Spieler sind nicht Angestellte der ATP-Tour, sondern freie Unternehmer, die tun und lassen können, was sie wollen.»

Er präsentiert seinem Publikum in der kommenden Woche mit Alexander Zverev (3), Daniil Medwedew (5) und Taylor Fritz (6) immerhin drei Top-Ten-Spieler. Ein Trost ist das aber nur vorübergehend.

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