Dienstag, März 4

Am zweiten Prozesstag im Berufungsverfahren gegen Blatter und Platini zerzaust die Bundesanwaltschaft in einem fulminanten Plädoyer den Freispruch der Vorinstanz. Zuvor war der Gerichtspräsident in den Zeugenstand gerufen worden.

Olivier Thormann ist eine imposante Erscheinung. Grossgewachsen, mit gepflegtem, ergrauten Bart, die gelichteten Haare zu einem Rossschwanz zusammengebunden, die Finger beringt und in betont legerer Kleidung, kann man sich ihn gut an einer After-Work-Party auf Ibiza vorstellen.

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Doch Thormann ist nicht in erster Linie Partygänger, der 55-jährige Freiburger ist Gerichtspräsident – er steht der Berufungskammer am Bundesstrafgericht in Bellinzona vor. Es ist jenes Gericht, das für das Berufungsverfahren gegen die einstigen Fussball-Fürsten Michel Platini und Joseph Blatter zuständig wäre. Eigentlich. Aber ausgerechnet jetzt muss Olivier Thormann passen – weil er befangen ist. Stattdessen hat ihn das Sondergericht, das eigens für diesen einen Fall konstituiert werden musste, in den Zeugenstand gerufen.

Beides – die Befangenheit und die Befragung als Zeuge – hängt mit Thormanns früherer Tätigkeit in der Bundesanwaltschaft zusammen. Dort war er Leiter für Wirtschaftsdelikte und somit verantwortlich für all jene Strafverfahren, die im Umfeld des Weltfussballverbandes (Fifa) geführt wurden. Höhepunkt dieses sogenannten Fifa-Gate war der 27. Mai 2015, als am Hauptsitz des Verbands in Zürich unter der Leitung von Olivier Thormann eine Unmenge an Daten beschlagnahmt wurde.

Bei einem der damals beschlagnahmten Dokumente handelt es sich um das «corpus delicti» im mutmasslichen Betrugsfall Blatter/Platini: einen blauen Ordner mit der Aufschrift «EXCO 2009–2011». Darin sind alle Zahlungen enthalten, die in dieser Zeitspanne an die damaligen Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees getätigt wurden.

Thormann und Kattner sagen unterschiedlich aus – der Widerspruch bleibt bestehen

Von seinem Vertreter als Gerichtsvorsitzenden befragt, wiederholte Thormann am Dienstag im Zeugenstand, dass Markus Kattner, der ehemalige Finanzdirektor der Fifa, ihn auf den entsprechenden Ordner hingewiesen habe. «Wieso sollte ich das erfunden haben?», fragte Thormann zurück. «Natürlich könnte ich mich damit brüsten, selbst auf die gloriose Idee gekommen zu sein» – aber so sei es nun einmal nicht gewesen.

Tags zuvor hatte Markus Kattner, ebenfalls im Zeugenstand, bestritten, der Hinweisgeber für Thormann gewesen zu sein. Als Finanzdirektor hatte Kattner zumindest Kenntnis von der strittigen Überweisung von 2 Millionen Franken an Platini, die Anfang 2011 erfolgt war. Und was aus der Befragung Kattners ebenfalls hervorging: Er pflegt weiterhin Kontakt mit Joseph Blatter; letztmals habe man sich Mitte Februar zum Kaffee getroffen.

Ob sich nun Kattner oder Thormann falsch an die zweifellos hektischen Vorgänge vom 27. Mai 2015 am Fifa-Hauptsitz erinnern, bleibt offen.

Ein weiterer Protagonist in diesem Kammerspiel im Umfeld von Strafverfolgung und Weltfussball ist Thomas Hildbrand. Äusserlich ist der Staatsanwalt des Bundes so etwas wie die Antithese des extrovertierten Gerichtspräsidenten Olivier Thormann: weisses Hemd, dunkle Krawatte, dunkler Anzug, sorgfältig frisiertes Haar.

Er war es, der nach Thormanns abruptem Ausscheiden aus der Bundesanwaltschaft die Ermittlungen gegen Platini und Blatter übernommen hatte. In wenigen Wochen wird Hildbrand 70 Jahre alt, er wohnt seit langem in Wien, sein Erscheinungsbild strahlt etwas Barockes aus.

Hildbrands letzter grosser Auftritt

Am Dienstag hatte Hildbrand, wie Blatter in Visp aufgewachsen und mit diesem sogar verschwägert, seinen grossen Auftritt. Das Plädoyer war seine Dernière, nach dem Prozess scheidet er altershalber aus dem Berufsleben aus. In dem dreieinhalbstündigen Plädoyer zerpflückte Hildbrand den Freispruch der Vorinstanz – die Strafkammer des Bundesstrafgerichts hatte Blatter und Platini vor drei Jahren «in dubio pro reo» freigesprochen: im Zweifel für den Angeklagten.

Die Begründung dieses Freispruchs bezeichnete Hildbrand als «Willkür in Reinkultur». Die Argumentation des Gerichts nannte er abwechselnd absurd, unhaltbar oder aktenwidrig.

In der Sache stellte sich der Ankläger Hildbrand auf den Standpunkt, zwischen Blatter und Platini habe es nie eine mündliche und somit auch keine schwammige Abmachung gegeben für eine weit zurückliegende Beratertätigkeit des Franzosen. Vielmehr basiere jene Zusammenarbeit auf einem schriftlichen, ausformulierten Vertrag mit einem Jahressalär von 300 000 Franken.

Die viele Jahre später an Platini überwiesene Summe von 2 Millionen Franken lasse sich somit in keiner Weise mit jener weit zurückliegenden Beratertätigkeit Platinis erklären. Diesbezüglich habe sich die Vorinstanz schlichtweg eine «ergebnisorientierte Urteilsbegründung» zusammengezimmert.

«Die Gier nach irdischem Manna»

Als Motiv für Platinis damalige Forderung über 2 Millionen Franken führte Hildbrand zwei Punkte an: zum einen die «Gier nach irdischem Manna»; zum anderen habe es sich um ein Entgelt für Platinis Loyalität gegenüber Blatter gehandelt: Auf dem Weg zu dessen fünfter Kandidatur für das Fifa-Präsidium habe Platini 2011 einmal mehr zähneknirschend auf eine eigene Kandidatur verzichtet – und sich den Verzicht fürstlich entgelten lassen.

Diese Darstellung ist kongruent mit einer Recherche der Zeitung «Le Monde», in der die 2-Millionen-Rechnung Platinis ebenfalls mit dessen Verzicht auf das Fifa-Präsidium in Verbindung gebracht wurde.

Am Mittwoch wird die Hauptverhandlung mit den Plädoyers der Verteidiger von Michel Platini und Joseph Blatter abgeschlossen. Die Urteilseröffnung ist am 25. März vorgesehen.

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