Sonntag, Januar 5

Bei den Tiroler Festspielen Erl wird Giacomo Puccinis «La Bohème» bejubelt und mit ihr auch Jonas Kaufmann – und zwar erstmals als Intendant.

Da ist er. Bei den Tiroler Festspielen in Erl wird kurz nach Weihnachten die Ankunft von Jonas Kaufmann gefeiert. Und der bewunderte Gesangskünstler ist nicht bloss für einen gut dotierten Kurzauftritt ins Unterinntal gereist; er ist gekommen, um zu bleiben. Als Chefgärtner auf einem Tätigkeitsfeld, in dem er bis dato als kostbare Orchidee zu bestaunen war: Kaufmann leitet das noch recht junge Musikfestival in den kommenden sechs Jahren als Intendant.

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Der populäre Tenor soll Erl zu neuer Strahlkraft verhelfen. Bei der ersten von Kaufmann verantworteten Opernpremiere ist das Festspielhaus schon einmal rappelvoll. Was bei «La Bohème», Puccinis altgedientem Kassenschlager, allerdings auch kein Kunststück ist.

1600 Einwohner, 2300 Theaterplätze

An diesem Abend wird die Neuproduktion von Asher Fisch geleitet. Vor sieben Jahren dirigierte dieselbe Oper noch Gustav Kuhn, der künstlerische Gründervater des Festivals.

Kuhn, der Macher, der mit seiner Moto Guzzi zu den Proben fuhr, bespielte 1998 erstmals das Passionsspielhaus; man gab das «Rheingold» von Wagner. In Hans Peter Haselsteiner fand der sendungsbewusste Gesamtkünstler seinen König Ludwig II.: Der Baumagnat mit Tiroler Wurzeln unterstützte die Errichtung eines neuen Festspielhauses mit 20 Millionen Euro.

Neben dem schneeweissen, elegant geschwungenen Passionsspielhaus von Robert Schuller steckte darum bald darauf der rabenschwarze, scharfkantige Bau von Delugan Meissl wie ein futuristischer Tarnkappenbomber im grünen Hügel. Und in der kleinen Tiroler Gemeinde kamen auf 1600 Einwohner nun mehr als 2300 Theaterplätze.

Vorwürfe der sexuellen Belästigung

Ab Dezember 2012 gab es bei den Festspielen auch eine Wintersaison, zwischen Stephanstag und Dreikönig spielte man hauptsächlich Mozart und italienische Opern. Tendierte Kuhn phänotypisch in Richtung Falstaff, so erinnerte er verhaltenstechnisch an Don Giovanni. Von seinen Vorlieben für «Wein, Weib und Gesang» (Haselsteiner) wurde dem Erler Faktotum die mittlere zum Verhängnis: Mehrfach der sexuellen Belästigung beschuldigt und mit Vorwürfen von Lohndumping und Verstössen gegen das Arbeitszeitgesetz konfrontiert, musste Kuhn im Oktober 2018 gehen.

Auf den abgedankten «Erlkönig» folgte mit Bernd Loebe ein erfahrener Musikmanager. Der Langzeitintendant der Oper Frankfurt professionalisierte die Institution und zeigte im Opernbereich regelmässig auch Raritäten. Mit eingeschränktem Erfolg: Konnte Kuhn im Juli 2016 noch 22 000 Besucher nach Erl locken, so kamen 2024, in Loebes letztem Sommer, nur noch 18 000. Damit läuft man Gefahr, im Bermuda-Dreieck der traditionsreichen Festspiel-Grossmächte Salzburg und Bregenz (mit jeweils über 250 000 Gästen) sowie Bayreuth (rund 58 000) vom Aufmerksamkeitsradar zu verschwinden.

Wohl auch um Erl wieder attraktiver und sichtbarer zu machen, verpflichtete der Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner nun Jonas Kaufmann. Dass Kaufmann den Posten des Intendanten übernimmt, kommt allerdings überraschend.

Kaufmanns kunstvolle «Anschubfinanzierung»

Im goldenen Herbst seiner Sängerkarriere hatte Kaufmann zuletzt mit Tonträgern zu den Themenfeldern Filmmusik, Operette, Dolce Vita, Weihnachten und Wien breitere Publikumsschichten erreicht und seine Opernbühnenpopularität versilbert.

Nun hat der 55-Jährige seine Opernauftritte deutlich reduziert. Abgesehen von Engagements in Wien und München (als Canio in Leoncavallos «Der Bajazzo») wird Kaufmann 2025 nach aktueller Planung ausschliesslich in Erl auf der Opernbühne zu erleben sein: zu Ostern etwa in der Titelpartie von Wagners «Parsifal».

Sein selektives Mitwirken auf der Bühne versteht Kaufmann als seine «Anschubfinanzierung» für die Tiroler Festspiele. Hier will er neben Kassenschlagern auch österreichische Erstaufführungen zeigen, dem Nachwuchs eine Chance geben und regelmässig weibliche Werkdeutungen zeigen. Mit seiner Intendantentätigkeit hat sich der virtuose Netzwerker nun also ein neues Tätigkeitsfeld erschlossen.

Seelenlose Opulenz überbudgetierter Musical-Verfilmungen

Bei «La Bohème» gibt Long Long den Rodolfo – also eine ehemalige Kaufmann-Partie, und das mit einem belastbaren, geschmeidigen Tenor. Mit Sara Cortolezzis schmachtet der Chinese eine Mimì an, deren reiner, feiner Sopran vor allem in den leisen Passagen berührt. Zu berühren versteht die Inszenierung von Bárbara Lluch leider nur in Teilen, obschon die Schauwerte der Produktion beträchtlich sind.

So erfreuen etwa im ersten Bild grossflächige Projektionen floraler Nahaufnahmen das Auge – sie passen allerdings nicht zu dem malkastenbunten Interieur, das Alfons Flores für das Heim des quirligen Künstler-Quartetts ersonnen hat. Die luxuriösen Kostüme des Chors im Weihnachtsmarkt-Bild sind eher karnevalesk geraten, zeugen aber in ihrer phantasievollen Vielfalt von der hohen Kunst ihrer Schöpferin, Clara Peluffo Valentini.

Doch in Lluchs Regie ereignet sich trotz hohem äusserem Aufwand keine szenische Magie, im Gegenteil: Die seelenlose Opulenz überbudgetierter Musical-Verfilmungen macht sich breit.

Jubel für den Neuen

Im Gegensatz zum Geschehen auf der Bühne beglücken die Klänge, die aus dem grossen Orchestergraben in den holzverkleideten, steil ansteigenden Publikumsraum aufsteigen. Asher Fisch, dem Intendanten Kaufmann durch gemeinsame «Bohème»-Aufführungen an der Bayerischen Staatsoper vertraut, führt die recht jungen Mitglieder des Festspielorchesters mit Sachkenntnis und Feingefühl durch die unterschiedlichen Jahreszeiten von Puccinis Partitur, von der frühlingsleichten Heiterkeit zu Beginn über das strahlende Glück eines kurzen Sommers der Liebe bis hin zum eiskalten Wintertod.

Der Jubel am Ende der Neuproduktion erwärmt am Ende auch das Herz des neuen Intendanten sichtlich. Mit diesem begeistert aufgenommenen Auftakt dürfte sich der Jobeinsteiger Jonas Kaufmann ein paar Tage nach Weihnachten selbst das schönste Geschenk gemacht haben.

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