Dienstag, November 26

Der 38-jährige Deutsche pulverisiert den Streckenrekord und denkt dabei an seine Mutter. Die norwegischen Superstars Blummenfelt und Iden werden entzaubert.

Mit etwas Ironie darf man behaupten, dass der Stich einer Feuerqualle zum Hawaii-Sieg verhilft. So jedenfalls war es bei Daniela Ryf, die 2018 unmittelbar vor dem Schwimmstart die schmerzhafte Verletzung erlitt –und schliesslich den legendären Ironman souverän wie nie zuvor gewann. So geschah es auch am Samstag: Patrick Lange wurde während des Schwimmens gestochen, erlitt an Beinen, Armen und im Gesicht Verbrennungen. Trotzdem lief er in Kailua-Kona später als überlegener Sieger ein; seine 7:35:53 Stunden bedeuten Streckenrekord.

Damit reiht sich der in Salzburg lebende Darmstädter definitiv unter den Grossen dieses Sports ein. Sein dritter Hawaii-Triumph nach 2017 und 2018 bringt ihn unter anderem auf die gleiche Höhe wie sein Landsmann Jan Frodeno, der ebenfalls dreimal gewann, längst eine Legende des Triathlons ist und am Samstag für das ZDF als Experte im Einsatz war.

Lange steht im Schatten Jan Frodenos

Lange steht bis heute im Schatten Frodenos, der sich als eloquenter Strahlemann stets besser zu vermarkten wusste, auch dank einem Manager, der es mit privat inszenierten Triathlon-Events schaffte, Frodeno auch während der Corona-Zeit im Gespräch zu halten. Dabei ist Lange überhaupt kein spröder Typ, und ein Gespür für emotionale Potenzierungen hat er auch: Nach seinem Hawaii-Sieg 2018 machte er seiner Freundin noch im Zielraum einen Heiratsantrag. Und am Samstag gedachte er vor den Mikrofonen zuerst seiner Mutter, die vor vier Jahren verstorben war. Schon früh auf der Laufstrecke habe er an sie gedacht: «Ich habe Gänsehaut am ganzen Körper bekommen. Und sie ist nicht mehr weggegangen», sagte er.

Am Samstag führte Lange nach dem Zieleinlauf Freudentänze auf, als wäre er eben von einem Spaziergang zurückgekommen. Ausserdem legte er einen Finger auf seine Lippen, das Signal war klar: «Euch Kritikern habe ich es gezeigt!» Lange hatte zuletzt mit vielen Tiefs zu kämpfen gehabt, auch diese Saison war von Missgeschicken und mässigen Resultaten geprägt gewesen, nach dem Ironman Frankfurt im August hatte er deshalb verzweifelt den Trainer gewechselt. In den Prognosen vor Hawaii hatte kaum jemand auf Lange gesetzt.

Doch Lange zeigte am Samstag wieder einmal, dass ihm auf dieser Insel, bei dieser Feuchtigkeit und Hitze, nur schwer beizukommen ist. Im 3,8-km-Schwimmen war er überraschend in der Spitzengruppe dabei, auf der 180-km-Radstrecke dosierte er seine Kräfte, und auf dem abschliessenden Marathon war ihm keiner gewachsen: Die neun Minuten Rückstand auf Sam Laidlow, der nach der Radstrecke vorne lag, hatte er schnell wettgemacht. Beim Überholen gab er ihm einen Klaps auf den Hintern. So sieht Selbstbewusstsein aus.

Den Streckenrekord des Norwegers Gustav Iden von 2022 verbesserte der Deutsche schliesslich um fast fünf Minuten, mit 2:37:34 für den Marathon verpasste er Idens Bestmarke in dieser Disziplin nur um gut eine Minute. Damit wird Lange leben können, und viel besser noch mit dem Preisgeld: Neben den 125 000 Dollar für den Hawaii-Sieg wird es ihm Ende Jahr 200 000 Dollar für den Gesamtsieg in der Ironman-Serie aufs Konto spülen.

Der überraschende Triumph des 38-jährigen Lange relativiert die Erkenntnisse der letzten Ironman-Saisons, in denen sich die junge Generation ins Rampenlicht gedrängt hatte. 2022 ging die Ironman-WM an den damals 26-jährigen Iden, 2023 wurde der 24-jährige Franzose Laidlow Weltmeister. Und hinter ihnen tummelten sich lauter Greenhorns, denen die Zukunft dieses Sports zu gehören schien.

Diese Jahr zeigte es sich, dass vor allem bei Rennen unter anforderungsvollen klimatischen Bedingungen die Erfahrung immer noch viel wert ist. Und die verleitet nicht dazu, sich auf der Jagd nach Rekordzeiten in den einzelnen Disziplinen auszupowern. So wollten sowohl Laidlow als auch der Däne Magnus Ditlev unbedingt den Radrekord auf der Insel verbessern. Beide sind bekannt dafür, die Rennen sehr offensiv anzugehen – und das machten sie auch auf Hawaii. Laidlow als Titelverteidiger erhielt dafür die Quittung: Seine überragende Rad-Rekordzeit von unter vier Stunden büsste er mit einem Einbruch auf der Laufstrecke.

Ditlev hingegen schaffte es immerhin noch als Zweiter ins Ziel – und das trotz 80 Kilogramm Körpergewicht bei einer Länge von 195 cm, was auf Hawaii kein Vorteil ist. Der erst 26-Jährigen gehört jedenfalls zur Zukunft des Langdistanz-Triathlons, erst recht nach seinen drei aufeinanderfolgenden Siegen an der Challenge Roth, dem zweitbedeutendsten Anlass über die Ironman-Distanz.

Der norwegische Fortschritt stockt – Blummenfelt und Iden sind weit weg vom Erfolg

Entzaubert wurden am Wochenende hingegen das norwegische Duo Kristian Blummenfelt und Iden. Zusammen mit ihrem Trainer Olav Aleksander Bu haben sie den Sport mit neuen wissenschaftlichen Ansätzen weiter gebracht: Der Athlet wird akribisch vermessen, bis hin zur Körper-Kerntemperatur, und dann mit ernährungstechnischen Neuerungen und aerodynamischen Experimenten auf eine höhere Leistungsstufe gehoben. So wurde Iden Ironman- und 70.3-Weltmeister, Blummenfelt Olympiasieger und Weltmeister über alle Distanzen.

Doch zuletzt verfing die norwegischen Methode nicht mehr. Blummenfelt scheiterte an den Olympischen Spielen in Paris spektakulär; auf Hawaii waren er und Iden ein Schatten ihrer selbst: Blummenfelt wurde mit fast einer Stunde Rückstand 35.; Iden gab auf. Die Triathlon-Nation der Stunde sind derweil die Deutschen: Sie stellen die Ironman-Weltmeister (Patrick Lange, Laura Philipp), stehen gleich zu dritt auf dem 70.3-WM-Podium der Männer und sind Olympiasieger mit dem Team.

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