Dienstag, September 9

Früher haben Suhrkamps Autoren die Krise beschrieben, heute ist der Verlag selber in der Dauerkrise. Immerhin hat er im vergangenen Jahr mit Dirk Möhrle einen diskreten Investor gefunden. Da lässt es sich entspannter feiern.

Die in Buchform erschienene Verlagsgeschichte von Suhrkamp beginnt für das Jahr 1981 mit einem lakonischen Eintrag: «In der Nacht vom 31. Dezember 1980 zum 1. Januar 1981 stirbt der kanadische Medienexperte Marshall McLuhan; er hatte 1970 für 1980 den Tod des Buches vorausgesagt.» Arzt tot, Patient lebt, könnte man sagen, und auch nicht weniger als fünfundvierzig Jahre später muss man sich um das Buch vielleicht weniger Sorgen machen als um seine Leser.

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Unter diesem Paradox feierte Deutschlands Vorzeigeverlag Suhrkamp am Sonntag sein fünfundsiebzigjähriges Bestehen. Man tat das am Berliner Wannsee im Villengarten des Literarischen Colloquiums (LCB). Über den blauen Himmel zogen malerische Wolken, am Wasser tuteten die Rundfahrtschiffe. Jachten drehten bei, um zu schauen, was da los ist. Hunderte Menschen im zum Ufer hin abschüssigen Gelände.

Drinnen im LCB ging es unter anderem um Max Frisch und Julian Schütts neue Biografie. Draussen auf der Seebühne deklamierte Rainald Goetz sich wie ein Wanderprediger in einen kleinen Rausch hinein. Für Schriftsteller wie ihn gehe es darum, «auf die Bühne des Jetzt zu springen», es gehe um «Präsenz».

Auch von den Jachten aus war die fast pantomimische Umsetzung des Begriffs zu sehen. Ein Herumgewirble mit Buch in der ausgestreckten Hand. Goetz las aus seinem «Lapidarium» und, weil zur Präsenz des Künstlers mittlerweile auch Social-Media-Gegenwärtigkeit gehört, aus seinem Instagram-Tagebuch.

Politiker zitterten

Beim Suhrkamp-Merchandise-Stand gab es ein Basecap, das nach der Maga-Manier Donald Trumps gestaltet ist. Vorne drauf steht «Drama». Schaut man allerdings auf die Geschichte des Verlags zurück, muss man sagen: Weniger Drama war selten. Kurz nachdem im Vorjahr Gerüchte aufgekommen waren, Suhrkamp gehe es finanziell nicht so gut, wurde ein neuer Eigentümer des intellektuellen Flaggschiffs Deutschlands präsentiert, der Immobilienunternehmer Dirk Möhrle. Möhrle sitzt am Wannsee im Publikum. Als Redner tritt er nicht auf.

Lange vorbei sind die Zeiten, als Suhrkamps Bücher Propagandisten vorwiegend linker Haltung waren und die Werke von Adorno, Habermas, Enzensberger und Co. Deutschland bis in die Politikerbüros hinein erschüttern konnten. In der Ägide des Langzeit-Verlegers Siegfried Unseld war Suhrkamp ein unterhaltsamer Mischbetrieb aus Intellektualität und Radau, aus grosser Theorie und narzisstischer Kleinlichkeit.

Weil Unseld fürchtete, nicht Herr der Grabenkämpfe zu bleiben, führte er seit 1967 eine Chronik. «Ich gebe Berichte von jener Welt- und Erfahrungsbreite, die mir zustösst.» Die im Internet frei zugängliche Mitschrift der Zeit ist ein physiognomisches Abbild der Bundesrepublik und des frühen wiedervereinigten Deutschland. Sie stammt aus einer Epoche, in der Buch und Haltung noch nicht ganz in den Bedingungen der Buchhaltung zusammengezwungen waren.

Drohungen kapriziöser Autoren

Inzwischen wird das Geschäft immer schwieriger. Luxurieren war gestern, und wenn Thomas Bernhard dem Verleger telegrafierte, «kommen sie am 9. februar verfluchter», dann setzte sich Siegfried Unseld in diesem Spätwinter 1982 ins Flugzeug: um sich in Bernhards Feriendomizil Palma de Mallorca drei Stunden lang anzuhören, was alles für Martin Walser oder Peter Handke getan werde, während für ihn nichts unternommen werde. Anschliessend ging es ums Geld.

Handke wiederum, bis heute ein Suhrkamp-Autor, hatte Unseld die Zusammenarbeit schon im Jahr zuvor einmal aufgekündigt, und zwar «unwiderruflich». In einem Brief schreibt er: «Vielleicht ist ein Schriftsteller in vielem weltfremd – aber die menschliche Seele, für die ist seine manchmal kindliche Empfindlichkeit das grosse Auge.»

Bei Suhrkamp ist Handke, der hier 1966, sechzehn Jahre nach Verlagsgründung, mit den «Hornissen» debütierte, vielleicht ein letzter Mohikaner der Weltfremdheit. Der Literaturbetrieb, den der Gründer Peter Suhrkamp noch als elitär verstanden wissen wollte, hat sich diversifiziert und auch Schienen für Unterhaltungsliteratur entstehen lassen. Und er ist heute weniger Spiegel privater Nerven als ökonomischer Nervositäten. Der Suhrkamp-Geschäftsführer Jonathan Landgrebe bedankt sich in seiner Rede am Wannsee innig beim Investor Dirk Möhrle. Sein Engagement sei «wahrlich keine kleine Sache».

Am Ende zitiert Landgrebe nicht die kulturellen Säulen des Verlags, nicht Hermann Hesse, Bertolt Brecht, Habermas oder Sloterdijk, sondern den «Economist». «Macht der Niedergang des Lesens die Politik dümmer?», fragt das Wirtschaftsmagazin in seiner jüngsten Ausgabe. Die neuesten Forschungen sagen Ja.

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