Montag, November 25

Früher spielten bekannte Autoren viel Geld ein, auch lancierten Suhrkamp-Bücher Debatten. Daran müsste Dirk Möhrle wieder interessiert sein, der neue Alleininhaber des Verlags.

Zwischen zwei Schlagzeilen liegen manchmal ganze Dramen. «Suhrkamp in Not», titelte die «Süddeutsche Zeitung» am Freitag, während die «FAZ» fast gleichzeitig meldete: «Befreiungsschlag für Suhrkamp». So schnell kann es gehen. Im Geschäftsjahr 2022 soll Deutschlands berühmtester Verlag ein Minus von 270 000 Euro erwirtschaftet haben.

Für die Zeit nach 2022 liegen offiziell noch keine Zahlen vor, aber wer die Lage der Buchbranche insgesamt kennt, kommt natürlich aus dem Raunen nicht mehr heraus. Bevor die Schreckensszenarien allzu wirkmächtig werden konnten, gab der Suhrkamp-Verlag am Freitag eine folgenschwere Erklärung ab: Das Haus, geistige Heimat von Bertolt Brecht, Hermann Hesse, Max Frisch, Martin Walser und Jürgen Habermas, gehört ab 1. November Dirk Möhrle. Einem Unternehmer, der die Geschäftszweige «Immobilien, Luftfahrt und Medien» in seinem Firmenschild führt.

Schon seit 2015 war Möhrle mit 39 Prozent am Unternehmen beteiligt. Künftig werden alle Aktien in seinem Besitz sein. Jonathan Landgrebe, auch weiterhin Verleger und Vorstandsvorsitzender der Suhrkamp AG, sagt der «Zeit», dass mit der Übernahme «ein Knoten geplatzt» sei. Um bei der etwas schiefen Metapher zu bleiben: Es muss immer wieder mächtig Dampf gegeben haben in der bisherigen, seit 2015 bestehenden Eigentümergemeinschaft.

Neben Möhrle waren noch die Wella-Erben Ströher mit dabei und Ulla Unseld-Berkéwicz, die wirkmächtige Witwe des mythischen Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld. Ihr sagt man nach, gerne Eigenwilligkeiten über das Konsensuale gestellt zu haben. Streit scheint in den letzten Jahren an der Tagesordnung gewesen zu sein. Weder der Verlag noch der neue Eigentümer waren für ein Gespräch zu erreichen.

Wiederkehrende Geldnöte

Joachim Unseld, der Sohn von Siegfried Unseld, hat den Verlag 1991 verlassen und 2009 seine verbliebenen Anteile verkauft. Für ihn scheinen die Ereignisse rund um die Neuübernahme in ganz eigenem Licht. Den Fehlbetrag des Jahres 2022 hält er auf Anfrage der NZZ für eher unerheblich, es könne aber sein, dass Ulla Unseld-Berkéwiczs Taktieren rund um ihre Siegfried-und-Ulla-Unseld-Familienstiftung die Lage bei Suhrkamp zum Kippen gebracht habe.

Wurde aus Richtung der Witwe kein Geld mehr zugeschossen? Mit ihrem Rückzug als Aktionärin ist der Name Unseld jedenfalls aus dem Verlag verschwunden. Und mit ihm symbolisches Kapital. Joachim Unseld: «Die Stiftung, die mein Vater eingerichtet hat, um die Mehrheit am Suhrkamp-Verlag zu erhalten und die Existenz des Verlages vor Übergriffen zu sichern, ist damit ad absurdum geführt.»

Unseld führt heute erfolgreich die Frankfurter Verlagsanstalt (FVA). Bei seiner FVA komme ihm kein Immobilienunternehmer ins Haus. Da habe er sozusagen eine Firewall. Was ist besser? Ein schöngeistiges Leben im Risiko oder die vorläufige finanzielle Abfederung durch einen Branchenfremden, der vielleicht irgendwann einmal die Lust verliert? Immer mehr notleidende Verlage werden sich diese Fragen stellen. Suhrkamp hat sie vorerst beantwortet. Und das Unternehmensfeld von Herrn Möhrle passt auf ironische Weise dazu.

Suhrkamp hatte immer ein Immobilienproblem. Schon 1959, ganz am Anfang der Unseld-Zeiten bei Suhrkamp, stürzte der Erwerb der Villa in der Frankfurter Klettenbergstrasse das Unternehmen in Schulden. Was einst als Wohnhaus des Verlegers und als Repräsentationsort diente, wurde im Vorjahr verkauft. Für vier Millionen ging der berühmteste Ort des deutschen Geisteslebens an einen neuen Besitzer.

Suhrkamp brauchte dringend Geld, denn nach dem Umzug von Frankfurt nach Berlin hatte sich die Lage nicht unbedingt gebessert. Erst war man jahrelang in der Berliner Pappelallee zu ungünstigen Bedingungen eingemietet, dann beschloss man, selbst zu bauen. 2019 zog man ein und zahlte zuerst Miete, bevor man 2022 tatsächlich Eigentümer wurde. Auf Kredit.

An einem symbolträchtigen Ort an der Torstrasse sollte das neue Verlagsgebäude wie ein Schiff wirken. Vom Verkehr umflossen, aber den Flüchtigkeiten der Zeit trotzend. Leider weniger flüchtig waren Verpflichtungen, die sich aus einer anderen Immobiliensache ergeben hatten. Suhrkamp zahlte über viele Jahre Miete in der privaten Berliner Millionen-Villa der Verlagsmiteigentümerin Ulla Unseld-Berkéwicz. Die Witwe Siegfried Unselds liess sich fürstlich für gelegentliche Veranstaltungen im eigenen Haus entschädigen. Mit ihrem Rückzug wird auch dieser Posten entfallen.

Hesse macht weniger Umsatz

Ist das, was da gerade auf offener Bühne geschieht, ein deutsches Drama? Wie viel ist geistiges Kapital heute noch wert, wenn es nicht nur ums Ideelle, sondern auch um Geld geht? Nimmt man die Geschichte des Hauses Suhrkamp, dann gehört die Verlustkurve zum Profil dazu.

Siegfried Unseld, der 1959 den Verlag von dessen Gründer Peter Suhrkamp übernahm, lebte verlegerisch meist über die Verhältnisse. Nur hatte er das Glück, dass er die Verhältnisse noch selbst mitbestimmen konnte. Aus anfänglichen Verlusten wurden oft noch Gewinne. Debatten begannen, wenn Bücher aus dem Suhrkamp-Verlag sie ausriefen. Über Jahrzehnte war man im Besitz einer Diskurshoheit, wie es sie heute nicht mehr gibt. Das brachte Ansehen und zugleich auch Geld.

Das Ansehen von einst allerdings nur noch zu verwalten, kostet Geld. Und das ist die heutige Lage bei Suhrkamp. In den besten Zeiten trug die Backlist die Hälfte des Geschäfts, heute ist dieser Wert bei Suhrkamp unter 15 Prozent gesunken. Wo einst die Werke Hermann Hesses Dutzende neue Bücher finanzierten und Millionen einbrachten, tun sich heute Löcher in der Querfinanzierung auf.

Der neue Hermann Hesse heisst Paulo Coelho und erscheint bei der Konkurrenz Diogenes. Ein Glückstreffer war die Entdeckung von Annie Ernaux für den deutschsprachigen Raum. Anderes blieb volatil. Daniel Kehlmann musste man ziehen lassen. Uwe Tellkamps Roman «Der Turm» verkaufte sich 2008 phänomenal, «Schlaf in den Uhren» wurde wegen seiner raunenden politischen Verschwörungstheorien zum Ladenhüter.

Auch das ist ein Phänomen des Büchermarktes: Mit der Spaltung der Gesellschaft segmentiert sich das Publikum. Die neuen Medien formen in ihrem Erhitzungsmodus die Leselandschaften heute viel schneller um, als man Bücherproduktionen planen kann.

Mehr denn je brauchen die Verlage Bestseller, aber darauf hat Suhrkamp nur selten spekuliert. Noch günstig hat man 1984 Isabel Allendes Roman «Das Geisterhaus» eingekauft, der sich dann tatsächlich acht Monate auf Platz eins der Spiegel-Beststellerliste hielt. Später verlangte Allende enorme Vorschüsse. Für das Geschäftsjahr 1995 beklagt Siegfried Unseld, dass nur Allendes Roman «Paula» sich richtig gut verkauft habe, bei den anderen Büchern seien es nie mehr als 30 000 gewesen. Bei 30 000 Stück würde heute jeder Verleger jubeln.

Suhrkamp-Kultur ist ein Hemmnis

Das grosse Handeln bei Büchern war Siegfried Unseld geradezu physisch unangenehm, und dieses idiosynkratische Gefühl steckt noch heute im Verlag. Der grosse Tanker kann seine Route nicht so schnell ändern, und die berühmte Suhrkamp-Kultur ist heute oft kein Muntermacher mehr, sondern ein Hemmnis.

Noch ein Suhrkamp-Problem: Er war immer auch der Verlag der Kanonisierung. Kanonisierung bedeutet, dass man etwas gelesen haben muss. Fällt das weg, bleibt die Frage: Soll man das lesen? Die Schullektüre hat sich heute weitgehend von jenem klassischen Kanon entkoppelt, für den Suhrkamp steht.

Statt Max Frisch wird Ferdinand von Schirach gelesen, weil der schreibend blitzschnell auf brennende gesellschaftliche Probleme reagiert. Literatur als reine Exemplifizierung von Gegenwart lesen zu können, bedeutet eine Entlastung der Schülerhirne. Noch macht der Berliner Verlag solche Bücher kaum, obwohl er damit Geld verdienen könnte.

Für Dirk Möhrle, den Immobilienunternehmer und neuen Alleineigentümer des Suhrkamp-Verlags, bleibt viel zu tun. Noch weiss man nicht: Wird hier abgerissen werden oder aufgebaut? Für einmal hatte die Witwe Siegfried Unselds recht, als sie beim Begräbnis ihres Mannes sagte: «Das grosse Gebäude, das er errichtet, an dessen Bau er 53 Jahre lang rastlos gewirkt hat, er hat es als Festung gebaut, als eine Bastion gegen Hass und Fanatismus, gegen Rassismus, Antisemitismus, gegen Menschenwahn.» Zumindest das sollte so bleiben.

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