Montag, November 25

Das amerikanische Startup Quera möchte bis 2026 einen fehlertoleranten Quantencomputer bauen. Das ist eine Kampfansage an IBM, Google und Co.

Wenn von Quantencomputern die Rede ist, fallen oft Namen wie Google oder IBM. Den grossen Technologiefirmen traut man am ehesten zu, einen mit Quanten rechnenden Computer zu bauen, der allen herkömmlichen Computern überlegen ist.

In letzter Zeit haben Google und Co. allerdings Konkurrenz durch kleinere Firmen erhalten, die mit innovativer Technologie schneller ans Ziel kommen wollen. So hat das amerikanische Startup Quera Anfang Januar eine ambitionierte Roadmap vorgestellt. Schon 2026 will das Unternehmen einen Quantencomputer auf den Markt bringen, der mit hundert fehlerkorrigierten Quantenbits rechnet. Damit könnten Quantencomputer schneller als gedacht einen echten Vorteil gegenüber klassischen Computern bieten.

Verspricht Quera mehr, als es halten kann?

Bei solchen Ankündigungen ist eine gehörige Portion Skepsis angebracht. Um Investoren an Land zu ziehen, versprechen Startups manchmal mehr, als sie halten können. Bei Quera hat der Optimismus allerdings einen Grund.

Zu den Gründern des Unternehmens gehört Mikhail Lukin von der Harvard University. Zusammen mit Kollegen von anderen Universitäten hat Lukin kürzlich eine vielbeachtete Arbeit in der Fachzeitschrift «Nature» publiziert. Darin zeigen die Forscher, wie man mit einem fehlerrobusten Quantencomputer komplexe Berechnungen durchführen kann.

Der Quantencomputer der Harvard University rechnet mit neutralen Atomen. Jedes einzelne Atom repräsentiert ein Quantenbit (kurz Qubit) und lässt sich in Zustände versetzen, für die es in einem herkömmlichen Computer keine Entsprechung gibt. So kann ein Atom zum Beispiel gleichzeitig die Zustände 0 und 1 eines klassischen Bits darstellen. Zudem lassen sich zwei Atome so miteinander verschränken, dass sich Zustandsänderungen des einen Atoms instantan auf das andere auswirken.

Mit solchen Quantenzuständen zu rechnen, kann ein riesiger Vorteil sein. So lässt sich zeigen, dass ein Quantencomputer gewisse Probleme sehr viel schneller lösen kann als ein herkömmlicher Computer, weil er mehrere Rechenoperationen gleichzeitig ausführen kann.

Der Vorteil eines Quantencomputers ist allerdings auch sein grösster Schwachpunkt. Denn die Zustände, die einem Quantencomputer seinen Geschwindigkeitsvorteil verschaffen, sind äusserst fragil. Schon die kleinste Störung genügt, und sie zerfallen in klassische Zustände. Aus diesem Grund werden Quantencomputer heute noch nicht den hohen Erwartungen gerecht. Die auf den Qubits ausgeführten Rechenoperationen sind momentan noch zu fehlerbehaftet, um komplexere Berechnungen verlässlich durchzuführen.

Was dagegen zu tun ist, ist im Prinzip bekannt. Das Zauberwort heisst Redundanz. Indem man mehrere physische Qubits zu einem logischen Qubit verknüpft, lassen sich Fehler erkennen und korrigieren. So wie ein Chor falsche Töne einzelner Sänger «verzeiht», ist auch das logische Qubit wesentlich robuster als seine physischen Bestandteile.

Die Fehlerkorrektur geht allerdings mit einem gewaltigen Überbau einher. Nicht nur braucht man sehr viele physische Qubits. Neben der eigentlichen Berechnung muss man auch sehr viele Messungen durchführen, um Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Deshalb steckt die Quanten-Fehlerkorrektur noch in den Kinderschuhen. In den letzten Jahren ist es zwar gelungen, Fehler in einzelnen logischen Qubits zu korrigieren. Es wurden aber noch keine Berechnungen mit mehr als zwei logischen Qubits durchgeführt.

Komplexe Berechnungen mit 48 logischen Qubits

Die Arbeit von Lukin und seinen Mitarbeitern ist ein grosser Schritt nach vorne. Mit 280 physischen Qubits realisierten die Forscher bis zu 48 logische Qubits und führten mit diesen relativ komplexe Berechnungen mit mehr als 200 Rechenoperationen durch. Noch werden die Fehler, die beim Rechnen auftreten, nicht korrigiert. Die Forscher begnügen sich vorerst damit, fehlerhafte logische Qubits zu erkennen und die mit ihnen erzielten Rechenergebnisse auszusortieren. Auf diese Weise erzielen sie bessere Ergebnisse, als wenn sie die gleichen Berechnungen direkt auf physischen Qubits durchführten.

Markus Müller von der RWTH Aachen, der nicht an der Arbeit von Lukin beteiligt war, spricht vom Beginn einer neuen Ära beim Quantencomputing. Erstmals könnten Quantenalgorithmen nun auf logischen statt auf physikalischen Qubits ausgeführt werden.

Möglich macht das die aussergewöhnliche Rechnerarchitektur. Die Quantenprozessoren von Google und IBM bestehen aus supraleitenden Qubits, die an festen Orten sitzen und verdrahtet sind. Zum Rechnen müssen die Qubits mit anderen Qubits in Kontakt gebracht und verschränkt werden. Dafür kommen in Quantencomputern mit supraleitenden Qubits nur die nächsten Nachbarn infrage.

Ganz anders der Quantencomputer der Harvard University. Die physischen Qubits bestehen hier aus neutralen Atomen, die durch Lichtstrahlen in einer Speicherzone festgehalten werden. Indem man die Lichtstrahlen wie den Strahl einer Taschenlampe bewegt, lassen sich die Atome aus der Speicherzone in die Verschränkungszone verschieben, wo die Rechenoperationen durchgeführt werden. Das Ergebnis dieser Berechnungen wird in einer dritten Zone ausgelesen.

Diese Rechnerarchitektur sei sehr flexibel, erklärt Müller. Jedes Atom lasse sich mit jedem anderen verknüpfen. Ausserdem liessen sich ganze Blöcke von Atomen in die Verschränkungszone verschieben, so dass man dort direkt Rechenoperationen mit den logischen Qubits durchführen könne. Das sei ein grosser Vorteil, wenn man auf einem Quantencomputer komplexe Algorithmen laufen lassen wolle.

Noch seien Lukin und seine Mitarbeiter aber nicht am Ziel, sagt Müller. Jeder Quantenalgorithmus setze sich aus einem Satz von elementaren logischen Operationen zusammen. Bisher hätten die Forscher aus Harvard noch nicht alle diese Operationen realisiert. Ausserdem genüge es nicht, die Fehler nachträglich zu erkennen. Die Fehler der logischen Qubits müssten während des Rechnens erkannt und korrigiert werden.

Der Quantenphysiker Sebastian Krinner von der ETH Zürich nennt einen weiteren Schwachpunkt. Die Atome für jede Rechenoperation zu verschieben, koste relativ viel Zeit, genauso wie das Auslesen der Qubits. Mit supraleitenden Qubits, wie sie Google und IBM verwendeten, liessen sich in der gleichen Zeit fast tausend Mal so viele Rechenoperationen durchführen.

Schritt für Schritt zum fehlerkorrigierenden Quantencomputer

Beide Forscher sind der Ansicht, dass die Roadmap von Quera ambitioniert, aber nicht unrealistisch sei. Noch in diesem Jahr sollen die Kunden von Quera über die Cloud Zugang zu einem Quantencomputer mit 256 physischen Qubits erhalten, die zu 10 logischen Qubits verknüpft werden. Das Verhältnis von physischen zu logischen Qubits ist also grösser als in der Arbeit von Lukin. Das sollte die logischen Qubits robuster machen.

Mit diesem Quantencomputer wird man noch keine Probleme lösen können, die ein herkömmlicher Rechner nicht lösen kann. Aber Kunden können Erfahrungen mit komplexeren Algorithmen sammeln und Methoden der Fehlerkorrektur erproben.

Im Jahr darauf soll ein Quantencomputer mit 3000 physischen und 30 logischen Qubits folgen. Auch dieser Rechner wird den besten herkömmlichen Computern noch nicht das Wasser reichen können. Er soll aber erstmals in der Lage sein, einen universellen Satz logischer Operationen auszuführen. Das bedeutet, dass man beliebige Algorithmen auf dem Quantencomputer laufen lassen kann.

Der grosse Durchbruch soll im Jahr 2026 erfolgen. Bis dahin möchte Quera einen Quantencomputer mit mehr als 10 000 physischen und 100 logischen Qubits auf den Markt bringen. Auf jedes logische Qubit kommen also mehr als 100 physische Qubits. Das sollte ausreichen, um Fehler während der Berechnung zu erkennen und zu korrigieren. Dieser Rechner soll erstmals einen echten Vorteil gegenüber den heutigen Computern bieten. Diese können bis zu 50 fehlerfreie Qubits simulieren. Danach geht ihnen die Puste aus.

Für das Zerlegen grosser Zahlen in ihre Primfaktoren und andere komplexe Probleme sind hundert fehlerfrei rechnende logische Qubits allerdings noch nicht genug. Für die weitere Entwicklung sei deshalb entscheidend, wie gut sich eine Rechnerarchitektur skalieren lasse, sagt Müller. Das Verschieben von Atomen von der Speicher- in die Verschränkungszone stosse an seine Grenzen, wenn sich zu viele Qubits auf einem Prozessor befänden. In Zukunft müsse man die Qubits deshalb wahrscheinlich über mehrere Prozessoren verteilen und diese miteinander koppeln.

In seiner Roadmap hat Quera noch keine Angaben dazu gemacht, wann und wie das geschehen soll. IBM ist da bereits einen Schritt weiter. Im Dezember letzten Jahres hat das Unternehmen ein modulares System mit drei gekoppelten Prozessoren vorgestellt. Einen Quantencomputer mit fehlerkorrigierten Quantenbits soll es zwar erst 2029 geben. Immerhin hat IBM aber ansatzweise gezeigt, wie es danach weitergehen könnte.

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