Sonntag, November 17

Die Wirtstochter ist tot. Bootz und Lannert ermitteln in schwach beleuchteten Wohnzimmern und düsteren Gaststuben. Eine Film gewordene Novemberdepression.

Am Sonntag verschlägt es die Stuttgarter Ermittler in ein – fiktives – 120-Seelen-Dorf in Schwaben. Es ist mit allen Requisiten ausgestattet, die den «Tatort»-Machern zum Thema Provinzverachtung nur einfallen konnten. Das Wetter ist schlecht, und die Bäume sind kahl in dieser Welt, in der auch sonst nichts mehr lebt. Ausser finsteren Jägern, die Tiere schiessen und Neigungen zur Lynchjustiz entfalten. Über allem thront eine Burgruine. Ist das noch echt oder schon Satire?

Das deutsche Landleben mit seinem angeblichen zum rechtsradikalen Denken neigenden Spiessertum ist ein spezielles Hassliebe-Thema des «Tatorts», der dabei in der Regel nicht mit der feinen Feder pinselt. Und an diesem Sonntag wird es besonders krass.

In den schwach beleuchteten Wohnzimmern steriler Einfamilienhäuser herrscht stumme Frustration. Die Menschen sind leichenblass. Sie werden so ausgeleuchtet, dass sie mehr tot als lebendig, ungewaschen und faltig aussehen. Sie reden, als ob sie sich mit Beruhigungspillen vollgestopft hätten. Kunstvolle Trommelwirbel und Paukenschläge untermalen das ganze Malheur (Musik: Daniel Michael Kaiser).

Sicher war’s der Pole

In einer düsteren Gastwirtschaft mit ausgestopften Tieren an den Wänden verbreiten aufgedunsene Männer bösen Klatsch und Gerüchte. Denn die Wirtstochter (Mia Rainprechter) ist ermordet worden. Und es kann ja nur der Mann gewesen sein, dessen Familie vor über fünfzig Jahren aus Polen eingewandert ist und seither in der Gemeinde lebt: Beim Thema Fremdenhass machen die Einwohner keine halben Sachen.

Aus der Sicht der Fernsehzuschauer wiederum sind die Leute aus dem Dorf selber alle verdächtig. So steuern es Drehbuch (Norbert Baumgarten) und Regie (Andreas Kleinert), die sie als zombiehafte, aber gewaltbereite Dumpfbacken darstellen.

In Rückblenden wird das Leben der Toten zusammengesetzt: Mit ihrem Entschluss, nach Stuttgart zu ziehen, bringt die junge Frau das kollektive seelische Gefüge des Dorfs zum Einsturz. Der Ex-Verlobte (Sebastian Fritz) dreht durch, ein Verehrer aus der Jugend (Timocin Ziegler) stalkt sie. Die Schwester (Irene Böhm) joggt nur noch, um – überdeutlicher kann ein Film das gar nicht sagen – dem ganzen Elend davonzulaufen.

Und der Mutter (Julika Jenkins) kommt der Entschluss der Tochter, den Ort zu verlassen, wie ein Exodus in die Hölle vor. Ob sie sich für etwas Besseres halte, fragt sie, als die Tochter den Wunsch äussert, eine Schreinerlehre zu machen. Ihr Kind knallt ihr einen Stapel Teller vor die Füsse, verlässt das Dorf und lässt es dann in Stuttgart so richtig krachen. «Sie war zu wild», erklärt ihr Vermieter. Kurz darauf liegt sie mit Würgemalen am Hals tot im Gebüsch.

Im Porsche durch Stuttgart

«Lass sie gehen» heisst der «Tatort», dem seine Kunstanstrengung anzumerken ist und der sich wie eine Film gewordene Novemberdepression dahinzieht. Gut gelaunt sind einzig die Stuttgarter Kommissare Sebastian Bootz (Felix Klare) und Thorsten Lannert (Richy Müller), die sich aber auch nicht um den Fall reissen. Lannert zieht den Kürzeren, als es darum geht, in der Provinz zu ermitteln, während Bootz im Porsche durch Stuttgart kutschieren darf, um die Bekannten der Toten dort zu befragen.

«Was passiert jetzt?», fragt der Vater des Opfers (Moritz Führmann) nach dem Leichenfund aggressiv. «Na ja, ich mache mir ein Bild», antwortet Lannert gewohnt ungerührt. Was bei dem Bild, das er sich macht, herauskommt, ist dumpf, brutal und trist. Schliesslich erfahren es auch die Ermittler am eigenen Leib. Am Ende hat Lannert den Fuss im Gips, Bootz den Arm. Die Provinz kennt keine Gnade.

«Tatort» aus Stuttgart: «Lass sie gehen», am Sonntag, 20.05 / 20.15 Uhr, SRF 1 / ARD.

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