Freitag, November 29

Nach dem Erstrunden-Aus am US Open stürzt der Schweizer Tennisspieler auch im Ranking ab. Alarmierend ist aber vor allem, wie Stricker derzeit auftritt. Sein Fall erinnert an den von Belinda Bencic.

Das US Open war für den Schweizer Tennisspieler Dominic Stricker am frühen Montagnachmittag (Ortszeit) bereits nach drei Stunden zu Ende. Der Berner unterlag dem Argentinier Francisco Comesana (ATP 108) 6:4, 3:6, 6:7, 3:6. Es war der jüngste Tiefschlag für Stricker. Vor einem Jahr war sein Stern an diesem Turnier mit dem Sieg gegen Stefanos Tsitsipas und dem Vorstoss in die Achtelfinals richtig aufgegangen. Erstmals stiess er im Ranking unter die besten 100 vor.

Seither läuft bei Stricker kaum mehr etwas zusammen. Niederlage reihte sich an Niederlage, Rückenprobleme zwangen ihn zu einer langen Pause. Erst im Juni war er, kurz vor Wimbledon, auf die ATP-Tour zurückgekehrt. Momentan findet er dank einem geschützten Ranking Aufnahme in den Hauptfeldern der grossen Turniere, bis zum Australian Open im Januar wird er noch von dieser Sonderbehandlung profitieren. Im Ranking wird Stricker momentan noch als Nummer 169 geführt. Doch nach dem US Open verliert er die 205 Punkte des letztjährigen Turniers – und wird aus den Top 300 fallen.

Hat Stricker die Lust am Tennis verloren?

Stricker ist noch jung, mit 22 Jahren steht er immer noch am Anfang seiner Karriere. Alarmierend ist allerdings, wie er mittlerweile auf dem Platz auftritt. Aus dem unbeschwerten Jungen aus der Emmentaler Bauerngemeinde Grosshöchstetten ist ein Mann geworden, der offensichtlich schwer mit der Last des Tennisspielens kämpft. Sein Coach Dieter Kindlmann sagte nach dem Match gegen Comesana gegenüber den Tamedia-Zeitungen: «Er ist in allen Bereichen gehemmt. Es fehlen die Leichtigkeit, das Selbstvertrauen, die Entschlossenheit bei wichtigen Punkten, das Spielverständnis. Überall fehlen ein paar Prozente. Wenn ich ihm in den Matches zuschaue, habe ich das Gefühl: Er hat den Spass am Tennis verloren.»

Der Deutsche arbeitet seit etwas mehr als einem Jahr mit Stricker zusammen. Er ist nicht der Erste, der zu diesem Befund gekommen ist. Kann es für einen Spieler überhaupt etwas Schlimmeres geben, als mit 22 Jahren die Freude an seiner Leidenschaft zu verlieren? Stricker quält sich seit seinem Comeback mehr oder weniger durch die Tennis-Tour. Beobachter haben schon während seiner Einsätze für den TC Seeblick im Schweizer Interklub die Unlust des Berners festgestellt. Da wurde er mit seinem Team zwar Meister, aber drei seiner vier Einzel verlor Stricker. Unter anderen auch einen Match gegen Damien Wenger, die Nummer 9 der Schweiz, in dem er den ersten Satz 6:0 gewonnen hatte.

Stricker steht an einem wichtigen Punkt in seiner Karriere. Die Unbeschwertheit, mit der er 2020 nach seinem Sieg am Juniorenturnier von Roland-Garros in der Tennisszene aufgetaucht ist, ist weg. Stricker scheint nicht nur an den Erwartungen, sondern auch an der Verantwortung zu zerbrechen, die er trägt. Er ist mittlerweile ein Jungunternehmer, der nicht nur für sich, sondern für ein ganzes Team sorgen muss. Auf seiner Website führt er sieben Personen auf, die er zu seinem Betreuerstab zählt und die er zumindest teilweise finanziert. Unter ihnen sind etwa sein Vater Stephan, die Mutter Sabine und die Schwester Michèle.

Das kann eine nicht zu unterschätzende Last für einen Spieler sein, der selbst erst gerade der Adoleszenz entwachsen ist. Sein Vater Stephan, ein Polizist, hat sein Arbeitspensum auf 60 Prozent reduziert und widmet sich in der restlichen Zeit der Vermarktung seines Sohnes. Er tut das alles andere als schlecht, Stricker ist als Werbepartner äusserst präsent. Trotzdem scheint man im Hause Stricker langsam zu sehen, dass das Management eines Top-Tennisspielers längerfristig in professionelle Hände gehört. Ähnliche Erfahrungen hat auch Roger Federer in seinen jungen Jahren gemacht, als er sich vorübergehend von der Agentur IMG löste, ehe er zu seinem Manager Tony Godsick zurückkehrte.

Bencics Erfolg kam mit der Emanzipation von ihrem Vater

Doch ob es für Stricker genügen wird, sein Management zu professionalisieren, um seine Karriere neu zu lancieren, ist fraglich. Das Phänomen der Väter und Mütter, die die Karriere ihrer Kinder mit viel persönlichem und finanziellem Einsatz vorantreiben und dann, wenn sich das Ganze finanziell endlich auszuzahlen beginnt, nicht loslassen können, ist im Tennis hinlänglich bekannt. Das jüngste Beispiel dafür in der Schweiz war Belinda Bencic, die sich erst in jenem Moment richtig zu entwickeln begann, als sie sich von ihrem Vater Ivan distanzierte und sich von ihm emanzipierte.

Alessandro Greco ist der Leistungssportchef von Swiss Tennis. Er hat Stricker viele Jahre stark unterstützt, denn Stricker hat den klassischen Verbandsweg gewählt. Heute wird Stricker zwar nicht mehr direkt unterstützt, er darf aber weiterhin kostenlos in Biel trainieren und die dortige Infrastruktur inklusive des medizinischen und konditionellen Angebots nützen, sofern er will.

Greco sagt: «Wir glauben stark an Dominic, er ist zu gut, als dass er den Durchbruch nicht schaffen würde. Sein Talent und sein Potenzial stehen ausser Frage. Höhen und Tiefen gehören in diesem Business dazu, doch er muss sich nun so organisieren, dass er seine Stärken wieder ausspielen kann. Und diese waren immer seine Unbeschwertheit und die Leichtigkeit, mit der er durchs Leben ging. Die sind zuletzt verlorengegangen.»

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