Fast anderthalb Jahre war die ehemalige Weltnummer 1 von der Bildfläche verschwunden. Nun gibt sie in Melbourne ihr Comeback an den Grand-Slam-Turnieren. Osaka gibt sich ambitioniert. Sie führt immer noch ein Leben auf der Überholspur.
Es ist wieder die Zeit, in der die Tennisprofis vom anderen Ende der Welt Selfies mit kleinen Koalas auf ihren Armen in die Heimat schicken und auf ihren Social-Media-Accounts posten. In Australien ist Hochsommer. Die Tennissaison hat gerade begonnen. Und während man in Mitteleuropa der Kälte trotzt, geniessen die besten Spieler in Down Under gelegentlich die viel beschriebene Leichtigkeit, die Australien derart populär macht.
Auch Naomi Osaka konnte man in einem Park dabei beobachten, wie sie mit dem australischen Nationaltier posierte. Die amerikanisch-japanische Doppelbürgerin genoss die Kuschelmomente sichtlich. Am Vorbereitungsturnier vor zwei Wochen in Brisbane kehrte sie auf die grosse Tennisbühne zurück.
Fast anderthalb Jahre war die ehemalige Nummer 1 der Frauen-Weltrangliste davor von der Bildfläche verschwunden gewesen. Im September 2022 hatte sie ihren letzten Match auf der Tour bestritten. In einer früheren Phase ihrer Karriere hatte Osaka über Depressionen und Angstzustände geklagt und sich später eine längere Pause genommen, um ihre mentale Gesundheit zu schützen.
Im Zuge ihres Comebacks sagte sie unlängst: «Ich habe auch früher Auszeiten vom Sport genommen, aber dieses Mal war es die längste Tennispause meines Lebens. Und ich glaube, das hat mir eine neue Perspektive gegeben: Ich werde nicht ewig Tennis spielen können. Man muss die Jahre, die man noch spielen kann, geniessen.»
Es hätte für Osaka in Melbourne wahrlich einfachere Startaufgaben geben können
Diese neue Perspektive hat viel mit ihrer kleinen Tochter Shai zu tun, die im Juli 2023 unter schwierigen Bedingungen zur Welt gekommen ist. Kinder verändern alles. Insbesondere bei Tennisprofis, die als Individualsportler, eingezwängt in ein enges Trainings-Korsett und in ewiggleiche Abläufe, ein eher eindimensionales Sportlerleben führen. Aber damit ist es bei Osaka vorbei. Sie merkt gerade so richtig, was es heisst, eine berufstätige Mutter zu sein. Nur: Wie gut kann eine sein, die so lange nicht auf dem Court gestanden ist und als «working mum» zurückkehrt?
In Brisbane gewann sie ihren ersten Match nach der langen Pause. In der zweiten Runde lieferte sie sich einen grossen Kampf mit Karolina Pliskova, ehe sie nach drei hart umkämpften Sätzen ausschied. «Es fühlt sich wirklich sehr gut an, zurück zu sein», sagte die Gewinnerin von vier Major-Titeln hinterher – und schob den vielsagenden Satz nach: «Offen gestanden bin ich sehr stolz auf mich.» Was Osaka damit meinte: Sie hatte es geschafft, sich sportlich und mental wieder heranzukämpfen und gleichzeitig ein Baby vollumfänglich zu betreuen. Eine grössere Leistung gibt es kaum.
An diesem Montag nun steht für die 26-Jährige am Australian Open der Match gegen Caroline Garcia an; es hätte für Osaka in Melbourne wahrlich einfachere Startaufgaben geben können als ein Duell mit der als Nummer 16 gesetzten Französin. Aber selbst wenn Osaka ausscheiden sollte: Der beschwerlichste Teil ihres Weges liegt schon hinter ihr. Osaka hat den Switch im Kopf geschafft. Eigentlich ist jeder kommende Match eine Zugabe.
Die Japanerin, die schon einmal als neues Gesicht des Frauentennis galt, benötigt nun Erfahrungswerte auf dem Court. Sie muss ja erst wieder lernen, «übers Netz zu schauen» – so sagen es Tennisprofis gerne. Es geht um Dinge wie die Hand-Augen-Koordination und das richtige Timing bei den Grundschlägen. Immerhin: Ihr Ballgefühl und ihre enorme Power sind Osaka nicht abhandengekommen.
Auf ihr Comeback vorbereitet hat sich Osaka auch mit ihrem Physiotherapeuten Florian Zitzelsberger. Der Deutsche ist einer der anerkanntesten Coachs auf der Tour. Er sagte der NZZ: «Was die Zusammenarbeit mit ihr so inspirierend macht, ist ihre Ausgangslage. Sie will zur Nummer 1 der Welt zurückkehren, sie will Grand Slams gewinnen. Sie macht auf mich den Eindruck von jemandem, der völlig ausgeglichen und zufrieden ist. Sie ist sehr bodenständig, reif und zieht alles Positive aus ihrer neuen Mutterrolle.»
Zitzelsberger arbeitete schon 2022 mit Osaka. Nun ist der 34-Jährige neben dem Trainer Wim Fissette ihr wichtigster Einflüsterer. Zitzelsberger sagt: «Wir arbeiten gerade vor allem daran, Naomi zu einer Spielerin zu machen, die effektiver von der Verteidigung in die Offensive wechseln kann. Auf diese Weise kann sie, selbst wenn sie in eine defensive Position gedrängt wird, immer noch einen offensiven Schlag auspacken.»
Nothing but appreciation and love 💗@naomiosaka shares how she’s been mentored through motherhood by American track & field legend @allysonfelix @justwsports pic.twitter.com/mlTeHXELe5
— wta (@WTA) January 13, 2024
Das «Time Magazine» hatte sie schon vor Jahren in die Liste der 100 einflussreichsten Menschen aufgenommen
Abseits des Courts muss Osaka niemandem mehr etwas vormachen, da befindet sie sich schon länger auf der Überholspur, mit nur 26 Jahren gilt sie bereits als erfolgreiche Geschäftsfrau. Da hat sie einen ähnlichen Weg wie Serena Williams eingeschlagen. Während ihrer Auszeit vom Tennis hat Osaka eine Medienfirma aufgebaut, und über ihre eigene Agentur vermarktet sie auch ein paar namhafte Tennisprofis.
Das «Time Magazine» hatte sie schon vor ein paar Jahren in die Liste der 100 einflussreichsten Menschen aufgenommen. Inzwischen ist Osaka zwar auf Position 833 abgerutscht, aber das ist ein Zerrbild. Die Japanerin, über die 2021 eine dreiteilige Netflix-Dokumentation erschienen ist, hat alle Höhen und Tiefen einer global omnipräsenten Sportlerinnenkarriere kennengelernt, auf eine Weise wie kaum eine andere Tennisspielerin.
Was ihre sportliche Leistungsfähigkeit betrifft, war die Zuversicht im Umfeld vor ihrem Comeback an den Grand-Slam-Turnieren gross. Der Coach Zitzelsberger sagte, ihre «neue Winner-Mentalität» inspiriere das gesamte Team. Sie wolle «einfach nur durchstarten». Der bescheidenen Osaka ist im Tennisjahr 2024 alles zuzutrauen.