Die Pariser Oper zeigt in einer spektakulären Ausstellung echte und falsche Juwelen auf der Opernbühne. Sie ist zugleich eine Geschichte über Sein und Schein, nicht nur im Theater.
Was wäre Bianca Castafiore bloss ohne ihre Juwelen! Und ohne ihr Paradestück, die «Juwelenarie» aus Charles Gounods Oper «Faust», die sie, gefragt oder ungefragt, bei jeder Gelegenheit zu Gehör bringt. Mit der aufdringlichen Sopranistin hat der belgische Zeichner Hergé in seiner Comicserie «Les aventures de Tintin» (auf Deutsch niedlicher: «Tim und Struppi») eine Operndiva geschaffen, wie sie im Buche steht: Nichts ist der Castafiore teurer als sie selbst. Ausser natürlich der Smaragd, den ihr ein Maharadscha verehrt hat und der ihr im Band «Die Juwelen der Sängerin» prompt gestohlen wird.
Weilte die Castafiore noch unter uns, sie würde dieser Tage sicher in Paris gastieren, im 1875 eröffneten Palais Garnier. Es zählt zu den prächtigsten Opernhäusern der Welt und wird von der Opéra de Paris nach wie vor als Spielstätte genutzt. Zum eigenen 150. Geburtstag hat man dort die Kronjuwelen ausgepackt – besonders solche aus dem späten 19. Jahrhundert, als Paris zur ebenso bewunderten wie gehassten Metropole des Glanzes und der décadence aufstieg.
Eine Ausstellung lässt dort bestaunen, was sonst im Dämmerschatten der Bibliothèque-musée de l’Opéra vor sich hin glitzert: Diademe, Kronen und Halsbänder, Colliers, Armreife und Ohrringe. Aber auch Helme, Gürtel – und jener Spiegel, in dem sich 1859 Caroline Miolan-Carvalho, die Uraufführungssängerin der Marguerite im «Faust», während der «Juwelenarie» betrachtete. Dumm nur, dass ihr gemäss Goethes Vorlage der Teufel höchstpersönlich die Klunker verehrt hat.
Goldene Ohrringe für Carmen
Teuflisch gut gemacht darf man denn auch nennen, was da funkelt. Denn echt ist davon fast nichts. Was das Auge bezirzt, ist höchstens vergoldetes oder versilbertes Messing, bunte Glassteine, geblasene Glasperlen und Strass, in jüngerer Zeit auch Gitarrensaiten oder Plastik. Auf der Bühne zählt die Illusion.
Das war freilich nicht immer so: Während des Ancien Régime und noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts trugen Sängerinnen und Schauspielerinnen auf der Bühne ihren eigenen Schmuck. Ob als Herrscherin von Ägypten oder einfaches Mädchen vom Lande. So stellten sie den Status unter Beweis, den sie errungen hatten, als Künstlerin wie als Frau. Meistens waren es adlige Verehrer, die, wenn es gut lief, die Damen vom singenden Gewerbe mit Preziosen überschütteten.
Entsprechend entsetzt war tout Paris, als 1827 Mademoiselle Mars, eine Schauspielerin der Comédie-Française, von der eigenen Dienerschaft eines Teils ihrer Kollektion beraubt wurde. Doch auch als die Smaragde und Rubine auf den Bühnen längst aus Glas bestanden, wurden die Schmuckstücke noch von professionellen Juwelieren verfertigt. Diese Aufgabe ging erst Mitte des 19. Jahrhunderts an die Kostümabteilungen der Theater über.
Unwichtiger wurde sie damit nicht, im Gegenteil. Die Einführung des Gaslichts, später des elektrischen, liess den falschen Glanz erst recht erstrahlen, erhöhte aber auch den Druck auf die Gestaltung. Ästhetisch stand die Epoche im Bann des Historismus, später zunehmend in dem des Orientalismus, der das Publikum in fremde Kulturen entführen wollte. Entsprechend ungehemmt tobten Phantasie und Prunksucht sich aus: Bei Edmond Audrans «Le Grand Mogol», Ernest Reyers «Salammbô», das im antiken Karthago spielt, Léo Delibes’ «Lakmé» (Indien) oder Paul Vidals «La Burgonde» (Hunnen und Burgunder) funkelt es in der Ausstellung wie selbst in Paris heutzutage höchstens noch im Moulin Rouge.
Länger, bisweilen bis zur Gegenwart, hielt sich entsprechender Schmuck im Ballett, obwohl er dort besonderes Geschick erfordert. Nichts wäre ja peinlicher, als wenn die Primaballerina von einem schief sitzenden Diadem aus dem Gleichgewicht gebracht würde oder ihr inmitten der Pirouette die Ohrringe davonflögen. Einen Höhepunkt der Epoche bedeutete sicher die Krone mit «diamantenem» Kreuz, die Sibyl Sanderson 1889 in der Titelrolle von Jules Massenets «Esclarmonde» an der Opéra-Comique trug. Das zugehörige Aufführungsbild zeigt die Schleier, die an der Kopfbedeckung nach Art der russischen Zarenkrone befestigt waren und das Gesicht fast verhüllten.
Auch bei einer byzantinischen Königin mit magischen Kräften stand also der erotische Zauber nach wie vor im Zeichen des Schmucks. Selbst Bizets Carmen, eigentlich Arbeiterin in einer Zigarettenfabrik, konnte deshalb auf ein goldenes Halsband nebst Ohrringen nicht verzichten. Das bekannte Gemälde der Uraufführungsinterpretin Célestine Galli-Marié von Henri Doucet belegt es.
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Nicht nur Dekor
Anders als Bizets allgegenwärtige Erfolgsoper werden die Historienschinken dieser Zeit kaum noch gespielt. Was sicher auch daran liegt, dass Regisseure heutzutage vor kaum etwas mehr zurückschrecken als vor dem glänzenden Schaugepränge. Damit entsprechen sie einer gewandelten Realität, in der auch die Damen im Publikum deutlich weniger Schmuck zur Schau stellen und an den Herren oft nicht einmal mehr Manschettenknöpfe glitzern. Womöglich spielt hier aber auch das alte Ressentiment gegen den «welschen Tand» eine Rolle. Regietheater ist schliesslich eine ziemlich deutsche Erfindung; jedenfalls keine aus Paris, wo es zuweilen bis heute zu Zähneknirschen führt.
Dabei waren die Juwelen schon damals nicht bloss Dekor, sondern hatten oft auch bühnenpraktische Funktion. Der Aufwand an falschen Steinen hierarchisierte die Figuren untereinander. Das erleichterte besonders in Massenszenen die Übersicht: Die Krone bezeichnete den König, die Mitra den Bischof und so weiter. Hinzu kommen die Opern, in denen Schmuckstücke regelrecht zu Handlungsträgern werden – besonders prominent, nämlich schon im Titel, beim «Ring des Nibelungen» des notorischen Paris-Verächters Richard Wagner. Simon Boccanegra in Verdis gleichnamiger Oper erkennt seine Tochter an einem Amulett wieder; der Prinz das Aschenbrödel in Rossinis «La Cenerentola» am Armreif, weil ein Schuh für das frühe 19. Jahrhundert noch ein allzu intimes Objekt der Begierde gewesen wäre. An solchen Stellen kommen Regisseure bis heute ums Schmuckstück kaum herum.
Ohnehin scheint sich das Verhältnis der Opernregie zur funkelnden Illusion in jüngster Zeit zu entspannen. So feiern etwa bei Barrie Kosky Strass und Pailletten wieder regelmässig glamouröse Urständ. Und in der Pariser Ausstellung glitzert sogar das Kästchen aus der Neuinszenierung von Gounods «Faust», das 2021 der deutsche Regisseur Tobias Kratzer an der Opéra für die «Juwelenarie» überbringen liess. Recht so, schliesslich ereignet sich hier nicht weniger als eine Schlüsselszene des Theaters: Unter all dem Glanz erkennt Marguerite im Spiegel nicht mehr das einfache Gretchen, sondern eine Prinzessin – ein neues, verlockendes, aber auch gefährdetes Ich. Schmuck bleibt ein Mittel der Verwandlung, ob zum Guten oder zum Bösen.
«Bijoux de scène de l’Opéra de Paris», bis 28. März, Palais Garnier.