«Freundschaft, Natur und Kunst machen das Leben aus», findet die Darstellerin, die in Pedro Almodóvars «The Room Next Door» eine krebskranke Sterbewillige spielt.
Tilda Swinton sitzt auf einem tannengrünen Cordsofa, zieht die Beine hoch und hält eine Teetasse. Ein Setting, farbenfroh wie aus einem Almodóvar-Film. Doch es ist ihre echte, private Welt, in die das Computerfenster einen Schlüssellochblick gewährt: Swinton meldet sich für das Zoom-Interview aus ihrem Haus in den schottischen Highlands.
In Pedro Almodóvars «The Room Next Door» verkörpert die Schauspielerin eine krebskranke Sterbewillige, Martha. Die frühere Kriegskorrespondentin bittet eine langjährige Freundin, die letzten Tage ihres Lebens mit ihr zu verbringen. Der Film ist, und daran liess Pedro Almodóvar bei der Premiere auf dem Festival in Venedig keinen Zweifel, ein deutliches Plädoyer für Sterbehilfe. Ein Appell, den Tilda Swinton mit derselben Entschiedenheit teilt.
«Die Überlegung, dass das Ende unseres Lebens in unseren eigenen Händen liegen sollte, ist mir sehr wichtig», sagt sie. «Ich nenne es einen Tod in Würde.» Im Film gehe es auch nicht um die Berechtigung, einem anderen beim Sterben zu assistieren, betont sie. «Martha bittet bloss eine langjährige Freundin, in ihrer Nähe zu sein, aber sie nimmt die Dinge selbst in die Hand.»
Sie wirkt alterslos, zeitlos
Dass Swinton dergestalt für die Selbstbestimmung plädiert, passt zu einer Schauspielerin, die eine geradezu ikonische Individualität vorlebt. Das unvergleichliche Alabastergesicht, der androgyne Haarschnitt, die irritierend grünen Augen: Swinton wirkt alterslos, geschlechtslos, zeitlos. Sie hat offenbar auch Gefallen daran, sich zu inszenieren, mit ausgefallenen, exquisiten, schrillen Looks auf den roten Teppichen. Doch erscheint sie nie wie ein Paradiesvogel, sondern immer würdevoll, als zelebriere sie das Unkonventionelle wie eine Religion.
Mag sie auch wie ein Wesen vom anderen Stern wirken, auf diesem Planeten ist Tilda Swinton 63 Jahre alt und hat schon einige Freunde aus dem Leben scheiden sehen. «Ja, ich habe einige Marthas gekannt», sagt sie. «Der Tod selbst ist nur minimal interessant, aber das Sterben gehört zum Leben.»
«The Room Next Door» ist ein subtiles Kammerstück darüber, was das Leben ausmacht. Swinton hält es mit Martha, die auf ihrem letzten Weg nach Freundschaft, Kunst und Natur sucht. «Ich glaube, dass genau diese drei Dinge einen im Leben weiterbringen.»
Letzter autonomer Akt
Der Film – Pedro Almodóvars erster englischsprachiger – gewann in Venedig den Goldenen Löwen. Julianne Moore spielt die begleitende Freundin, die sich erst zögerlich in den Wunsch der Kranken einfinden muss. Doch Tilda Swintons Martha ist der Monolith des Films. Eine Figur von beeindruckender Stärke, für die ihr eigenmächtiges Sterben der letzte autonome Akt ihres Menschseins ist.
Mit Almodóvar wollte die schottische Schauspielerin schon lange drehen. Nach einem gemeinsamen Kurzfilm, «The Human Voice», liess sie auch keine Sprachbarriere mehr gelten. «Ich hätte auch eine Stumme gespielt», sagt Swinton und lacht. «Oder für ihn Spanisch gelernt.»
Im Nachhinein findet es die Schauspielerin jedoch bemerkenswert, dass sich der Regisseur darauf eingelassen habe. «Es würde ihm nichts ausmachen, dass ich das sage, aber: Sein Englisch war wirklich nicht sehr gut.» Doch irgendwann habe sie etwas entdeckt, sagt Swinton, und ihre Augen leuchten. «Pedro achtet gar nicht auf die Sprache. Sondern auf ihre Musik!»
Sie hatte bemerkt, dass nicht nur sie, sondern auch spanische Darsteller bei den Proben gebeten wurden, den Text auffallend oft zu wiederholen. Offenbar ging es dem Regisseur darum, dass er sich die Melodie des Gesagten verinnerlichte. «Selbst wenn er auf Koreanisch drehen würde, wäre es wohl dasselbe.» Entsprechend eigenwillig mögen die Dialoge teilweise klingen, sie hören sich «immer so an, als würde Pedro auf hohen Absätzen schreiben».
Entscheidender als die Sprache seien aber die Kamerabewegung, die Gesichter, der Soundtrack auch. «Der Maestro», wie Tilda Swinton ihn gerne nennt, «hat jetzt bestimmt erkannt, dass er in jeder Sprache arbeiten kann. Er hat sich damit entfesselt.»
Pedro war nicht müde
Wie 18 sei sie sich vorgekommen, sagt die Darstellerin auch, «als hätte ich noch nie an einem Set gestanden – denn ich habe noch nie so schnell gearbeitet». Sie schmunzelt. «Ich dachte erst, Pedro sei müde oder ungeduldig. Jetzt weiss ich, dass er so arbeiten kann, weil er genau wusste, was er wollte – und auch, wann er das im Kasten hatte. Und dann ging’s weiter.»
In den bald vierzig Jahren ihrer Karriere drehte Tilda Swinton mit Arthouse-Grössen wie Jim Jarmusch, Lars von Trier, Luca Guadagnino, Wes Anderson und Bong Joon Ho. Oft wurde sie als Muse deklariert. Doch im Gespräch gewinnt man den Eindruck, dass sie für Filmemacher weniger ein ätherischer Inspirationsgeist ist als ein «partner in crime», eine handfeste Komplizin, die ihnen den Rücken freihält, sich bedingungslos einbringt und sich als ihr Instrument versteht. Sie vergleicht es mit einer Phantasie wie in «Narnia», «wo man durch den Kleiderschrank steigt und sich in einer ganz anderen Welt wiederfindet».
Ein ähnlich unprätentiöses Arbeitsethos klingt bei Tildas Tochter Honor Swinton Byrne durch, die Psychologie studiert und in Pubs kellnert, sich aber immer mehr der Schauspielerei zuwendet. Mit ihrer Mutter drehte sie schon zwei Teile des Dramas «The Souvenir» von Joanna Hogg, einer engen Freundin der Familie. Bei einer Begegnung in Berlin beweist sie dieselbe Direktheit wie ihre Mutter. «Sie macht niemandem etwas vor», urteilt Honor, «sie ist immer sie selbst, sie steht für sich ein und kümmert sich einen Dreck darum, was andere Menschen von ihr denken. Wie meine Mutter ihr Leben lebt, entspricht hundertprozentig meiner Definition von . . . einem Rockstar.»