Samstag, Oktober 5

Das Nationalteam scheidet nach einem grossartigen Turnier an der Europameisterschaft gegen England im Elfmeterschiessen aus. Der Trainer und sechs Spieler verdienen eine spezielle Erwähnung.

Murat Yakin: Ein Sieger in der Niederlage

Murat Yakin hat bewiesen, dass man auch nach einer Niederlage ein Gewinner sein kann. Der Schweizer Nationaltrainer hat in den letzten EM-Wochen alle verzückt. Frauen schwärmten von seiner Aura und seinem Auftritt, manche fanden sogar seine Brillen sexy. In seinem eigentlichen Beruf und in seiner Berufung als Trainer überzeugte er mit taktischen und personellen Entscheidungen, mit Mut und mit Entschlossenheit, was seine Spieler zu aussergewöhnlichen Leistungen antrieb. Selbst die internationale Fachpresse adelt Yakin, er gilt als einer der besten und innovativsten EM-Trainer.

Was für eine Verwandlung! Noch im Herbst hatte Murat Yakin einen ratlosen, traurigen Eindruck hinterlassen. Es hätte niemanden überrascht, wenn er als Nationaltrainer hätte abtreten müssen. Und heute wären alle enttäuscht, wenn er als Nationaltrainer abtreten müsste. Yakin und seine Spieler haben ein ganzes Land träumen lassen, alles schien für ein paar Tage möglich, sogar die Rückkehr nach Berlin für den EM-Final am nächsten Sonntag – und der Titelgewinn.

Yakins Vertrag endete am Samstagabend nach dem Ausscheiden im Elfmeterschiessen im EM-Viertelfinal gegen England. Der Schweizerische Fussballverband wird alles unternehmen müssen, um den Trainer halten zu können. Das wird nicht billig, Yakin hat die Trümpfe in der Hand und dürfte nicht nur aus Saudiarabien reizvolle Offerten erhalten. Er sagte aber direkt nach dem Ausscheiden gegen England, dass seine erste Option das Nationalteam sei.

Die Basis für eine Weiterbeschäftigung Yakins ist gegeben. Und wenn die Schweizer Auswahl am Sonntag um 17 Uhr am Europaplatz in Zürich empfangen und gefeiert wird, steht der Nationaltrainer im Mittelpunkt. Wer hätte das vor einem halben Jahr gedacht?


Yann Sommer: Immerhin mal eine Parade

Yann Sommer erlebte ein seltsames Turnier. Oder erinnert sich jemand an eine Parade des Torhüters? Immerhin durfte er gegen England in der Verlängerung bei einem Weitschuss von Declan Rice einmal seine Klasse beweisen. Sonst? Chancenlos bei den Gegentoren an dieser EM, kaum beschäftigt, nie im Mittelpunkt. Und als er am Samstagabend im Elfmeterschiessen doch endlich einmal für ein paar Minuten im Fokus stand, trafen alle fünf englischen Schützen.

Es wäre ungerecht, wenn jemand fragen würde, was mit Gregor Kobel im Schweizer Tor möglich gewesen wäre. Aber weil es viele Menschen gibt, die Kobel für einen der besten Torhüter der Welt halten, wird die Frage halt doch hier und dort gestellt.

Das ist nicht das Problem von Yann Sommer. Spannend wird sein, ob der 35-Jährige weiter und auch in der WM-Kampagne 2026 Teil des Nationalteams sein will – Gregor Kobel hätte kaum Verständnis dafür, zwei weitere Jahre als Nummer 2 verbringen zu müssen.


Manuel Akanji: Nahe an der Perfektion – aber eben nur nahe

Es gibt an dieser EM keinen besseren Verteidiger als Manuel Akanji. Er war derart stark und nahe an der Perfektion, dass es extrem auffiel, wenn er tatsächlich einmal wie in der ersten Halbzeit gegen England einen schludrigen Pass spielte. Akanji degradierte den englischen Captain Harry Kane zur Bedeutungslosigkeit, war stets präsent und aufmerksam und der beste Spieler auf dem Feld – bis zum Elfmeterschiessen.

Wie vor drei Jahren im EM-Viertelfinal gegen Spanien scheiterte Akanji am Samstag mit seinem Versuch aus elf Metern am gegnerischen Torhüter. Das ist besonders bitter, weil der Schweizer Abwehrchef ein Turnier auf Weltklasseniveau bestritt. «Ich habe das Gefühl, alle im Stich gelassen zu haben», sagte Akanji nach der Niederlage. «Aber ich finde, wir haben ein gutes Turnier gespielt.»

Für keinen gilt das mehr als für ihn. Akanji war exzellent. Bis zum letzten Schuss.


Michel Aebischer: Mehrmals überfordert gegen Saka

Michel Aebischer ist ein Fussballspieler, den man wegen seiner Qualitäten wie Ballsicherheit, Übersicht und Cleverness im Team haben will – so sagen das Trainer, mit denen man über Michel Aebischer spricht. Auch Murat Yakin wollte Aebischer im Team und setzte den zentralen Mittelfeldspieler an dieser EM überraschenderweise auf die linke Aussenbahn. Das ist seit geraumer Zeit die Schweizer Problemzone.

Gegen den rasanten Bukayo Saka stiess Aebischer im Viertelfinal erstmals an seine Grenzen. Er wurde oft überlaufen, war mehrmals überfordert, kämpfte sich aber in die Begegnung. Und doch kam Aebischer bei Sakas Tor zum 1:1 in der 80. Minute wieder zu spät.


Granit Xhaka: Was wäre, wenn er topfit gewesen wäre?

Granit Xhaka kennt wie Akanji das Gefühl, als einziger einen Versuch im Elfmeterschiessen vergeben zu haben. Das war 2016 im EM-Achtelfinal gegen Polen. Gegen England war Xhaka gut, er war defensiv sogar sehr stark, weil er mehrmals gefährliche Chancen des Gegners mit entschlossenen Interventionen entschärfte.

Aber Xhaka war nicht auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Wie er nach Spielende zugab, spielte er mit einem Muskelfaserriss in den Adduktoren. Das ist eigentlich ziemlich wahnsinnig. Aber Xhaka ist so gross und dominant, dass er selbst dann besser als andere zu sein scheint, wenn er keine langen Pässe schlagen und nicht schiessen kann.

Seine vorbildliche Mentalität bewies Xhaka über die gesamte Spielzeit. Offensive Aktionen allerdings hatte er erneut keine. Und deshalb stellt man sich jetzt vor, wie das Spiel gelaufen wäre, wenn der Schweizer Captain topfit gewesen wäre. Nach dem Ausscheiden präsentierte sich auch Xhaka als guter Verlierer. Er sagte: «Wir wollten Geschichte schreiben. Aber leider ist ein Elfmeterschiessen auch immer eine Sache von Glück und Pech.»


Breel Embolo: Was wäre, wenn er topfit gewesen wäre?

Lange Zeit war es für Breel Embolo ein sehr schwieriges Spiel gegen die kräftigen englischen Defensivspieler. Er war es aber, der in der 51. Minute erstmals in dieser Begegnung aufs Tor schoss. Und er liess die Schweizer mit seinem Tor zum 1:0 in der 75. Minute noch rauschhafter träumen.

Embolo ist unter den sieben Schweizer EM-Torschützen der einzige, der zweimal traf. Auch bei ihm darf man aber eine berechtigte Frage stellen: Wie viel besser wäre das Nationalteam sogar noch gewesen, wenn Embolo restlos fit gewesen wäre? Der Stürmer ist erst 27 Jahre alt, er wird die Schweizer Auswahl als bester Stürmer noch jahrelang prägen. Und nach auch persönlich schwierigen Zeiten wäre es ihm zu gönnen, wenn er wieder einmal für längere Zeit verletzungsfrei bleiben würde.


Xherdan Shaqiri: Warum nur 15 Minuten Einsatzzeit?

Ach, Shaq! Die Begegnung zwischen der Schweiz und England war ein Abnützungskampf, eng und zerfahren und über weite Strecken ereignisarm. Auch hier eine schüchterne Frage: Was hätte Xherdan Shaqiri in 30 oder 60 Minuten ausrichten können? In seiner Viertelstunde Einsatzzeit brillierte der Künstler mit mehreren starken Aktionen. Er leitete eine gute Chance von Silvan Widmer grossartig ein und zirkelte einen Eckball direkt ans Lattenkreuz. Seinen Versuch im Elfmeterschiessen verwandelte er souverän.

Man hätte Shaqiri gegen diese harmlosen Engländer gerne länger auf dem Feld zugeschaut. Natürlich ist der 32-Jährige nicht top austrainiert – aber die Schweizer standen stabil und hätten ein bisschen mehr Raffinement benötigt. Murat Yakin ging das Risiko nicht ein. Man wird auch hier nie erfahren, wie es gewesen wäre, wenn Shaqiri bereits Mitte der zweiten Halbzeit eingewechselt worden wäre.

Es gibt Menschen, die finden, Shaqiri werde in Zukunft nicht mehr in der Nationalmannschaft dabei sein können. Es wäre schade. Allerdings würde es ihm kaum schaden, wenn er im Sommer oder spätestens nach Ablauf seines Vertrags Ende Jahr von Chicago zurück nach Europa wechseln würde. Shaqiri kann der Schweiz immer noch einiges geben. Vor allem Dinge, zu denen kein anderer Nationalspieler in der Lage ist.

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