Dienstag, November 11

Die Nato hat ihr Führungsproblem gelöst. Der Nachfolger des Norwegers Jens Stoltenberg wird der Niederländer Mark Rutte. Mit seiner Geschmeidigkeit und seiner langen Erfahrung ist er genau der Richtige für das Amt.

Es ist natürlich ein Vorteil, «Trump-Flüsterer» genannt zu werden, wenn man an die Spitze der Nato rücken will. Mark Rutte verdiente sich den Spitznamen im Juli 2018, als man bei ihm – analog zu den legendären Pferdeflüsterern – eine spezielle Kommunikationsfähigkeit im Umgang mit dem aufbrausenden amerikanischen Präsidenten entdeckte.

Damals sass er mit Trump in einem Besprechungszimmer. Es ging um die geringen Verteidigungsausgaben der Verbündeten, und Trump schimpfte, die USA könnten «ihren eigenen Weg» gehen, wenn die anderen Nato-Mitglieder nicht ihren Verpflichtungen nachkämen.

Einige Staats- und Regierungschefs wie die Deutsche Angela Merkel und der Franzose Emmanuel Macron hatten noch versucht, die Gründe für die Unterfinanzierung ihrer Streitkräfte darzulegen. Doch nur dem Niederländer Rutte gelang es, die Lage zu entschärfen, indem er an Trumps Eitelkeit appellierte. Die Ausgaben der Alliierten seien durchaus schon dabei zu steigen, sagte er, und das sei allein dem amerikanischen Präsidenten zu verdanken.

Die Konkurrenten waren chancenlos

Sechs Jahre später könnte Rutte wieder Gelegenheit bekommen, seine Überredungskünste unter Beweis zu stellen. Denn womöglich wird Donald Trump bald wieder ins Weisse Haus einziehen. Mit Sicherheit aber wird der Name des dann amtierenden Nato-Generalsekretärs Mark Rutte lauten. Der scheidende niederländische Ministerpräsident wird, das ist seit Donnerstag klar, den Norweger Jens Stoltenberg per 1. Oktober an der politischen Spitze der Allianz ablösen.

Nur drei Mitgliedstaaten hatten sich am Ende noch gegen seine Kandidatur gestellt. Ungarn und die Slowakei gaben ihren Widerstand am Dienstag auf, nachdem Rutte dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban versprochen hatte, dass sich Budapest niemals an Nato-Aktivitäten für die Ukraine ausserhalb des Bündnisgebietes werde beteiligen müssen.

Der slowakische Präsident Peter Pellegrini erhielt die Zusage, dass die Nato weiterhin den Luftraum seines Landes schützen werde. Und am Donnerstag zog schliesslich auch der einzige verbliebene Gegenkandidat, Rumäniens Präsident Klaus Iohannis, kleinlaut seine Bewerbung zurück.

Damit ist Rutte am Ziel einer langen Reise. Monatelang ist er von Hauptstadt zu Hauptstadt geflogen, um sich die Zustimmung aller Regierungen zu sichern. Im vergangenen Oktober brachte er sich in einem Radiointerview als Erster offen für die Nachfolge von Stoltenberg in Stellung. Doch sein Name kursierte schon lange vorher – lange auch vor dem Zusammenbruch seiner Regierungskoalition im Juli 2023.

Sowohl Trump als auch dessen Nachfolger Joe Biden sollen Rutte den Nato-Chefposten ans Herz gelegt haben. Mindestens zweimal, berichten niederländische Medien, habe Rutte einen entsprechenden Anruf aus Washington bekommen.

Die 32 Mitgliedstaaten müssen einstimmig über ihre politische Führung entscheiden. Das militärische Oberkommando hat stets ein Amerikaner inne, der Generalsekretär ist immer ein Europäer. Doch ohne den Segen der Vereinigten Staaten kann sich kein noch so vielversprechender Kandidat Hoffnung machen.

Weder Iohannis noch die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas oder ihre dänische Amtskollegin Mette Frederiksen (die selber nie offiziell in das Rennen eingestiegen war) hatten deswegen den Hauch einer Chance, auch wenn in Brüssel oft der Wunsch nach einer Frau an der Nato-Spitze geäussert wurde. Doch was spricht eigentlich für Rutte?

Jovialer «Manager der Niederlande GmbH»

Der 57-jährige Liberale gilt in seiner Heimat als politischer Überlebenskünstler. Fast 13 Jahre lang hatte er sein Land in wechselnden Koalitionen regiert, dann warf er im vergangenen Sommer im Streit über die Familienzusammenführung von Migranten plötzlich das Handtuch.

Zusammengearbeitet hatte er bis dahin mit sozialdemokratischen, konservativen und calvinistischen Parteien, sogar der Rechtspopulist Wilders duldete sein erstes Kabinett. Sein Stil ist pragmatisch, politisch wendig, jovial. Er sei wie ein fröhlich wedelnder Labrador, dem keiner wirklich böse sein könne, lästerte einmal ein Kolumnist.

Petra de Koning, die eine Biografie über Rutte geschrieben hat, sieht seinen Erfolg «in seinem nicht allzu grossen Ego, in der Fähigkeit, sich selbst weniger wichtig zu machen». Aber die «NRC Handelsblad»-Journalistin weiss auch, dass Rutte ein Mann ist, der zum «Kontrollzwang» neige und den seine Mutter als Kind den «Regisseur» genannt habe. Seine Stärke sei das Durchschauen von Freund und Feind. «Viele Minister hatten den Eindruck, dass Rutte mit ihnen umging, als hätte er ein Handbuch über sie gelesen», schreibt de Koning.

Als Ministerpräsident sah sich der kinderlose Single gerne als volksnaher, stets mit dem Velo zur Arbeit radelnder «Manager der Niederlande GmbH». Die Bilanz seiner Regierungsjahre fällt allerdings gemischt aus. Wirtschaftlich erlebte das Land ein mässiges Wachstum. Die Wohnungsnot, die Asylkrise und die ausufernden Bauernproteste bekam Rutte nicht in den Griff.

Auch dass er für den sogenannten Kindergeldskandal keine Verantwortung übernahm, bei dem Tausende Familien zu Unrecht des Betrugs beschuldigt worden waren und in die Armut abrutschten, nehmen viele Niederländer «Teflon-Mark» bis heute übel.

Gewaltige Herausforderungen in Brüssel

Rutte dürfte also geahnt haben, dass die Zeit für einen Karrierewechsel gekommen war. Mit der Regierungskrise in Den Haag bot sich ein Absprung auf die internationale Bühne, wo man den schlaksigen Niederländer schon schätzen gelernt hat. «I like this guy!» (Ich mag diesen Kerl), sagte Trump über ihn. Kann Rutte darauf aufbauen, wenn er den launischen Republikaner demnächst überzeugen muss, die Militärhilfe für die Ukraine nicht einzustellen und amerikanische Truppen nicht aus Europa abzuziehen?

Die mögliche Rückkehr Donald Trumps ist nicht die einzige Herausforderung für den neuen Nato-Generalsekretär. Er muss auch die Verteidigungsfähigkeit Europas sicherstellen und die Verbündeten an ihr Versprechen erinnern, mindestens zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Rüstung zu investieren. Vor allem muss er Sorge tragen, dass die Ukraine nicht im Stich gelassen wird, wenn Russlands nächste Grossoffensive beginnt.

Die Erleichterung in Brüssel ist gross, dass endlich ein Nachfolger für Stoltenberg gefunden wurde. Zweimal hatte der beliebte Norweger auf Druck der Alliierten seinen Vertrag verlängert, weil sich niemand so recht einen geeigneten Ersatz vorstellen konnte. Jetzt tritt Rutte – als vierter Niederländer in der Geschichte der Allianz – in Stoltenbergs grosse Fussstapfen.

Geplant ist, dass die Amtsübergabe beim Nato-Gipfel vom 9. bis 11. Juli in Washington vollzogen wird, pünktlich zur 75-Jahr-Feier des Bündnisses. Eine Woche vorher wird in den Niederlanden Rutte offiziell abgelöst. Dann soll in Den Haag die neue Rechts-Regierung des früheren Geheimdienstchefs Dick Schoof vereidigt werden.

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