Der Weltmeister feierte am Formel-1-Finale in Abu Dhabi von der Pole-Position aus im 22. Rennen der Saison den 19. Sieg. Mit nun 54 Grand-Prix-Erfolgen liegt der Niederländer in der Bestenliste nur noch hinter Lewis Hamilton (103) und Michael Schumacher (91). Die Gegner schwanken zwischen Bewunderung und Verzweiflung.

4700 Scheinwerfer erhellten die Rennstrecke am Formel-1-Finale, und sie waren anscheinend alle nur auf einen gerichtet: Denn Max Verstappen gewann auch den Grand Prix von Abu Dhabi und damit sein 19. Rennen in dieser Saison. Als erster Fahrer überhaupt schaffte er 1000 Führungsrunden in einem Rennjahr. Ein Unschlagbarer. Wie lange wird das noch so weitergehen? In 100 Tagen beginnt die nächste Saison.

Dass Charles Leclerc im Ferrari und George Russell im Mercedes weit dahinter die anderen Podestplätze belegten, war nur für die Konstrukteurs-WM entscheidend; das deutsche Werksteam setzte sich im direkten Duell um den zweiten Schlussrang knapp mit 409:406 Punkten gegen die Scuderia durch.

Als Max Verstappen dem nächsten Triumph entgegenfuhr, hatte ihm sein Red-Bull-Teamchef Christian Horner über Boxenfunk geraten: «Mission erfüllt, saug diese letzte Runde in dich auf.» Der dabei entstandene Dialog erinnerte an viele andere in diesem Jahr, es fielen die Wörter «stolz», «magisch» und «Privileg».

Vor lauter Freude drehte Verstappen nach der Zieldurchfahrt sogenannte Donuts um die eigene Achse, um die Reifen qualmen zu lassen, obwohl sie eigentlich streng verboten sind. Aber der Weltverbandspräsident Mohammed bin Sulayem nahm Verstappen versöhnlich in den Arm. Mit 54 GP-Siegen ist der Niederländer nun der alleinige Dritte in der ewigen Statistik; er hat innerhalb eines Jahres Ayrton Senna, Alain Prost und Sebastian Vettel überholt. Nur noch Lewis Hamilton (103) und Michael Schumacher (91) liegen vor Verstappen.

Am Ende stellte er den zickigen Rennwagen trotzdem wieder auf die Pole-Position

«Das sind alles ziemlich verrückte Zahlen. Aber wir haben auch ein verrücktes Jahr hinter uns», sagte Verstappen, der in Abu Dhabi ungewohnt emotional wurde, «gleichzeitig bin ich sehr auf das konzentriert, was vor mir liegt. Wir arbeiten daran, weiter konkurrenzfähig zu sein.» Was eine ziemliche Untertreibung sein dürfte. Renngeschichte wiederholt sich – und damit auch die Frage aus dem Vorjahr: Wie lange soll das noch so gehen? Konkreter: Befindet sich Max Verstappen immer noch in einer Aufwärtskurve? Oder ist nach 19 Siegen in 22 Rennen der Gipfel erreicht?

Die Antwort gibt vielleicht das Qualifying am Finale vom letzten Samstag. Der Red-Bull-Bolide war da nur ein Aussenseiter auf hohem Niveau, sein Fahrer hatte über ein hüpfendes Auto geflucht – am Ende stellte Verstappen den zickigen Rennwagen trotzdem wieder auf die Pole-Position.

Sogar der Red-Bull-Sportchef Helmut Marko hatte gegen seinen Zögling gewettet. Doch immer, wenn es darauf ankommt, greift der «Max-Faktor», vergleichbar mit der «Hammer-Time» seines alten Rivalen Lewis Hamilton. So holt der Fahrer aus einem nicht perfekten Auto die perfekte Leistung heraus. Verstappen gelingt dabei noch mehr; er macht aus der Ausnahme eine Regel. «Er hat seinen Zenit noch nicht erreicht», glaubt der Förderer Marko.

Pilot, Wagen, Mannschaft und Rennstall sind so miteinander verwachsen, dass diese Dominanz erdrückender wirkt als jene der acht grossen Mercedes-Jahre. Selbst der Teamchef Horner gibt zu: «Es ist schwierig, einen Superlativ zu finden, der dieser Saison gerecht wird. Max hat die Rekorde nicht nur gebrochen, sondern zerschmettert.»

Und der dritte WM-Titel in Serie macht bei den Dauersiegern Lust auf mehr, während die Konkurrenz verzweifelt. So sehr, dass Mercedes und Ferrari zur nächsten Revanche komplett neue Konstruktionen an den Start bringen werden. Red Bull hat sie nicht nur auf der Strecke gedemütigt, sondern auch bei der Forschung nach neuer Technik.

Die Überlegenheit führt zu Spielchen, die schon während der Ära von Michael Schumacher beliebt waren

Die Angreifer, zu denen sich die Aufsteiger McLaren und Aston Martin gesellen werden, peilen ein bewegliches Ziel an. Dabei wird der Titelverteidiger Red Bull auch 2024 einen Vorteil geniessen. Angesichts der deutlichen Führung in der WM konnte das Team schon vom frühen Sommer an Kapazitäten für die Weiterentwicklung nutzen. Und eine Evolution ist vermutlich leichter zu bewältigen als eine Revolution, bei so viel Spielraum. Die vage Hoffnung der düpierten Konkurrenz liegt in der Annahme, dass die Spitzenreiter das Potenzial ihres neuen Autos bereits ausgeschöpft haben könnten.

Aber in Kenntnis der Genialität des Designers Adrian Newey dürfte die realistische und zugleich desillusionierte Erwartungshaltung eher jene sein, dass die Hoffnung der Konkurrenz erst zum nächsten Reglementschnitt hin im Jahr 2026 eintritt. Dann wird Red Bull erstmals auch als Motorenbauer antreten, und der Vorteil könnte wieder wechseln.

Doch da ist eben auch dieser phänomenale Fahrer, der erst 26 Jahre alt geworden ist. Und Verstappens Hunger ist gross genug; die Siege ermüden ihn keineswegs. Wie bei allen grossen Champions ist es der innere Antrieb, auf den es ankommt. Der Zeitzeuge Christian Horner sagt, selbst wenn es nur um die Bestzeit im Training gehe, wolle Verstappen nichts auf dem Teller zurücklassen.

Die Überlegenheit eines Einzelnen führt zu Spielchen, die schon während der Ära von Michael Schumacher beliebt waren, indem man etwa fragt: Wie wäre die Saison ausgegangen, wenn man Verstappen aussen vor liesse? Die Antwort für 2023: ebenfalls mit einem Red-Bull-Triumph. Dann wäre Sergio Pérez Champion geworden, mit mehr als zwei Siegen Abstand vor Lewis Hamilton.

Der entscheidende Unterschied wäre, dass es in diesem Jahr statt nur drei Sieger deren sieben gegeben hätte. Die Realität aber bildet ab, dass Verstappen doppelt so viele Punkte wie der Teamkollege Pérez geholt hat. Anders als der Mexikaner ist der wahre Chef der Königsklasse an der Leistung des Autos weiter gewachsen.

Vor wenigen Jahren noch hat er sich um klare Aussagen gedrückt

Dennoch waren die Rennen in dieser Saison keinesfalls so langweilig, wie das die Statistik erscheinen lassen könnte. Vielmehr ist das Feld näher zusammengerückt, was die Positionskämpfe in der Konstrukteurs-WM unterstreichen.

Der Begeisterung der Zuschauer scheint Verstappens Alleinfahrt keinen grossen Abbruch getan zu haben, der Boom sowohl an den Strecken als auch bei den Streamingdiensten setzt sich fort. Tatsächlich begeistert Verstappen eine neue, jüngere Generation. Was auch an seiner Vergangenheit als Kartfahrer und an seinem Faible für E-Sports liegen dürfte.

Immer offensichtlicher im Verlauf der Saison ist die Veränderung von Verstappens Wesen geworden. Vor wenigen Jahren noch hat er sich um deutliche Aussagen gedrückt, die sich jenseits des sportlichen Geschehens oder aktueller Rivalitäten bewegten. Inzwischen hat er nachdrücklich seine Rolle als konservativer Kritiker jeglicher Experimente gefestigt, die mehr Showelemente in die Königsklasse integrieren sollen. Dezidiert vertritt Verstappen die Haltung: «Es ist wichtig, dass wir zeigen, was unseren Sport ausmacht.» Er ist damit zur klaren Stimme der Formel 1 geworden.

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