Mittwoch, November 27

Nach dem Trainerwechsel und einem von Panik begleiteten Sieg gegen den FC Luzern versuchen die Young Boys, in der Champions League gegen Inter Mailand Land zu sehen. Der verwöhnte Berner Klub sucht Stabilität – und Leaderfiguren.

Am letzten Samstag jubelten die YB-Spieler zweimal, als hätten sie sich gerade den nächsten Meistertitel gesichert. Sie kämpften, foulten, reklamierten, lehnten sich auf, überschritten mit ihrer Physis Grenzen und zitterten sich im ausverkauften Wankdorf zum 2:1-Sieg gegen den FC Luzern. Ein Lebenszeichen und für einmal Spielglück, ja. Aber auch viel Unsicherheit, Mittelmass und am Ende sogar Zeitspiel, wie man dies in dieser Arena in nationalen Wettbewerben schon lange nicht mehr gesehen hat.

YB ist zurzeit mit wenig zufrieden. Hauptsache, drei Punkte und weg vom Tabellenende. Hauptsache, etwas Energie vor dem Champions-League-Heimspiel gegen den italienischen Meister Inter Mailand vom Mittwochabend. Der Erfolg gegen Luzern kann nur ein kleiner Schritt sein, zu viele Rätsel gibt diese YB-Mannschaft auf. Ein Spieleragent sagt, dass die YB-Führung nicht selbstgefällig geworden sei. Aber sie habe die Grosswetterlage unterschätzt – und einige Spieler überschätzt.

Der Triumph gegen Galatasaray Istanbul ist dem freigestellten Trainer Patrick Rahmen nicht zu nehmen

Um zu verstehen, was mit den Bernern geschehen ist, ist der Blick zurück in die letzte Saison unausweichlich. Sie wurden im Mai 2024 abermals Meister, doch sie taten das wegen der Schwäche der Konkurrenz und wähnten sich im vermeintlichen Überflug. Als hätten sie sich eingeredet: «Uns kann nichts geschehen, es geht einfach so weiter.» Der Titelgewinn im vermeintlichen Abonnement.

Der Bruch mit dem langjährigen Torgaranten Jean-Pierre Nsame; die eigenartige Trennung vom Trainer Raphael Wicky, der Tabellenführer war und alle Ziele erreicht hatte; das Zerwürfnis mit dem CEO Wanja Greuel inmitten der meisterlichen Feierlichkeiten. Der Titel rechtfertigte alles und reduzierte die Angriffsfläche auf ein Minimum. Dabei hätte YB nicht Meister werden dürfen. Nicht so.

Es soll YB-Spieler geben, die sich «geschämt» hatten, mit welchen Leistungen sie den Titel gewannen. Es war die sechste Meistertrophäe seit 2018. YB ganz oben, auch mit halber Leistung. Solche Gefühle erfasste auch jene Crew des FC Basel, die 2017 auf die Ära Heusler gefolgt war. Genügsamkeit, Bequemlichkeit im Unterbewusstsein.

Dabei boten die Berner in den letzten Wochen einen Kontrapunkt. Sie qualifizierten sich dank einer Parforceleistung in Istanbul gegen Galatasaray für die Champions League und spielten ihrem Klub bis zu 40 Millionen Euro ein. Oder noch mehr. Da schlummert etwas. Das ist dem Team, das dank dem variablen Lohnbestandteil Millionen dazuverdient, nicht zu nehmen. Auch dem nach wenigen Wochen entlassenen Trainer Patrick Rahmen nicht, der unterdessen interimistisch durch Joël Magnin ersetzt wurde. Mit dem Einzug in die Champions League wurde dem Arbeitgeber die ökonomische Basis für ein ganzes Jahr gelegt.

Doch ein paar Tage nach Istanbul setzte sich in einem Heimspiel gegen Lausanne-Sport (1:1) auf nationaler Ebene im eigenen Stadion die Serie des Grauens fort. Die Leistung war so unterirdisch, dass der um Fassung ringende YB-Chef Christoph Spycher in der Pause vor laufender Kamera deutliche Worte gewählt hatte und Namen von Angestellten nannte, von denen mehr erwartet werde: Filip Ugrinic, Sandro Lauper, Cedric Itten, Ebrima Colley und Joël Monteiro.

Spycher nahm potenzielle Führungsspieler in die Pflicht. Doch täuscht sich die YB-Führung? Oder redet sie sich etwas ein? Das YB-Puzzle liegt in losen Teilen auf dem Tisch, ist aber nur noch halbwegs zusammenzusetzen. Irgendwie stimmt das Ganze nicht mehr.

Guillaume Hoarau - Gäub und Schwarz ft Büne Huber

Der Nationalspieler Joël Monteiro ist schwierig zu lesen

Beobachtungen in den letzten Wochen: Nach dem guten Heimspiel gegen Galatasaray äussern sich die Spieler Joël Monteiro und Silvère Ganvoula gegenüber den Medien: Monteiro hinterlässt den Eindruck, als möchte er an einem anderen Ort sein. Er drischt Phrasen – wie Ganvoula. Man denkt: Hoffentlich wirkt Monteiro in der Kabine anders als im Gespräch.

Monteiro habe eine freudvolle und positive Seite, aber er könne diese nicht zum Ausdruck bringen, wirke bisweilen abwesend, renitent, sei schwierig zu lesen, sagen Beobachter. Monteiro ist ein eleganter Sternschnuppen-Fussballer. Aber ein Leader? Dazu müsste er auf dem Rasen mehr bieten als ein Tor gegen Luzern.

Im schlimmen Lausanne-Match erzielte Filip Ugrinic ein Tor. Doch der Jubel blieb aus, als würde sich darin Trotz manifestieren. Ugrinic kam 2022 zu YB – wie Kastriot Imeri und Itten. Und wie 2023 Darian Males. Die vier Spieler kosteten den Klub um die zehn Millionen Euro. Eine Investition in künftige Führungsspieler. Dachte man.

Imeri wird durch Verletzungen zurückgeworfen und erlebt in Bern ungeahnte Tiefen. Ugrinic blüht nach dem schwierigen Startjahr auf, nähert sich dem Schweizer Nationalteam, wird aber im Februar 2024 just in jenem Moment durch eine Fussverletzung zurückgeworfen, in dem er durchzustarten scheint. Er ist ein Grübler, den einige Dinge nicht so schnell loslassen. Males bleibt, was er schon in den Jugendjahren war: ein talentierter Fussballer, aber psychisch fragil und leicht aus der Bahn zu werfen.

Der Stürmer Cedric Itten kommt in Bern nicht weiter

Cedric Itten hatte 2022/23 trotz der Konkurrenz durch Nsame ein gutes Jahr mit 19 Toren, doch seither baut er ab. Auch deshalb, weil er nur noch im On-off-Modus zum Einsatz kommt und Selbstvertrauen verloren hat. Das Tor gegen Luzern zeugte von Durchsetzungskraft, wirkte aber wie ein Ruf aus vergangenen Zeiten. Ein Weckruf?

Der Stimmungsmacher Loris Benito könnte einer sein, der vorneweg geht. Doch er fiel erneut aus, nachdem er sich von einer Kreuzbandverletzung zurückgekämpft hatte. Oder Mohamed Ali Camara. Der zentrale Abwehrspieler wird von der YB-Chefetage überschätzt. Mit Camara hat man eine gewisse Qualität, Unerschrockenheit, aber auch (zu viel) Risiko und Verwarnungen. Wer so viel patzt wie Camara, der «Bruder Leichtsinn», unterminiert Autorität. Auch in der Kabine.

Am letzten Samstag verletzte Camara den Luzerner Nicky Beloko mit einem ungeahndeten Foul so schwer, dass dieser mehrere Monate ausfällt.

Vielleicht schauen alle zum Goalie David von Ballmoos hoch. Aber auch er hatte Verletzungen und ist nicht die unangefochtene Nummer 1. YB wird wiederholt wankelmütig, setzte auf von Ballmoos, dann zwangsläufig auch auf den inzwischen abgewanderten Anthony Racioppi und neuerdings auf Marvin Keller. Von Ballmoos wirkt wie ein Baum. Ist es aber nicht (immer).

Es gibt Leaderfiguren. Und aufstrebende Spieler, die neben den Leadern funktionieren, als wären sie künftige Leader, als könnten sie dereinst in die Lücke springen. Das trifft auf den mehrfachen Meister Sandro Lauper zu. Ein guter Mensch, ein lieber Kerl, als Fussballer punkto Technik und Spielverständnis überdurchschnittlich. Aber er wächst nicht an Widerständen und ist der liebe Sandro Lauper von früher geblieben.

Ein Spieler wie Meschack Elia will weg, irgendwohin, wo es mehr Lohn gibt, sogar nach Russland, darf jedoch nicht, weil YB auf Prinzipien beharrt und keinen Angestellten einfach so gehen lässt. Elia wird von verschiedenen Seiten beraten, hat eine andere Liga im Kopf, verkümmert und wirkte manchmal in der Kabine, als sei er vom Klub fallengelassen worden. Im Rückblick gilt für Elia das Gleiche wie vor einem Jahr für Nsame: YB hätte Werte beiseiteschieben und ihm den Abgang ermöglichen sollen.

YB sucht Führungspersonal, findet es aber nicht. Bei YB verletzt sich ein Abwehrspieler nach dem anderen. YB ist auch verhext. Vielleicht hat die Erwartungshaltung etwas damit zu tun. Laut gut unterrichteten Kreisen sollen im Klub bereits nach der unerwarteten Startniederlage gegen den FC Sion (1:2) die Wände gezittert haben. Verlieren, was ist das?

Niasse fuchtelt mit dem Spielzeuggewehr herum

Eine Frohnatur ist der 24-jährige Senegalese Cheikh Niasse. Ein Filou im positiven Sinn. Einer für das Cockpit? Er fährt mit dem Auto zu schnell und wird erwischt. Er fährt nach dem Entzug des Führerscheins weiter Auto und bleibt wieder in einer Kontrolle hängen. Er unterhält in einem Halloween-Kostüm samt Spielzeuggewehr die YB-Spielerkabine. Ihm fällt danach nichts Besseres ein, als im selben Gewand in der Einstellhalle des Wankdorfstadions eine Automobilistin dergestalt zu erschrecken, dass diese ihn anzeigt.

Das wird bekannt, nachdem sich YB von Patrick Rahmen getrennt hat. Das Fazit: Niasse kann (noch) kein Leader sein, aber er sammelte die Anzeigen nicht in den letzten Monaten, sondern zu meisterlichen Zeiten. So zerfleddert das YB-Puzzle. Das Haus brennt, nicht lichterloh wie zuweilen im FC Basel, aber überall mit Schwelbränden.

Die eine Quintessenz: Wahrhaftige Piloten wie Guillaume Hoarau, Miralem Sulejmani (auf dem Rasen), Loris Benito und Steve von Bergen sind im Fussball nicht einfach zu finden. Zudem kosten sie viel. Alle lotste seinerzeit der Sportchef Fredy Bickel nach Bern, dem der Ruf anhaftete, dass er etwas viel Geld von anderen ausgebe.

Der Bickel-Nachfolger Spycher nimmt weniger Risiko, weil er weiss, dass Risiko teuer werden kann. Je tiefer YB fällt, desto mehr wird Hoarau verklärt. Der Franzose war nicht nur ein guter (Millionen-)Stürmer, sondern auch ein Entertainer. Und vor allem ist er einer, der vereint. Und einer, der (Sprach-)Fraktionen aufzubrechen und zu überbrücken versteht. Das ist bei den Young Boys, die seit Jahren im französisch-afrikanischen Kanal Personal suchen, nicht unwesentlich.

Doch Hoarau ist schon lange nicht mehr da. Auch im Sommer 2024 nicht, als YB mit Schwachstrom Meister wird. Der Klub holt als Trainer Patrick Rahmen, der mit dem FC Winterthur eine gute Saison hinter sich hat. Als Assistent will Rahmen Ognjen Zaric mitbringen, doch der erhält in Winterthur die Chance als Cheftrainer. Rahmen entscheidet sich an seiner Stelle für den Berner Enrico Schirinzi, mit dem er schon in der Schweizer U-21-Auswahl zusammengearbeitet hat.

Als die Resultate ausbleiben und die Nervosität steigt, erweitert die Klubleitung den Trainerstab mit Matteo Vanetta. Der ist ein guter Ausbildner mit gutem Charakter, jener Assistent, der 2022 den entlassenen YB-Trainer David Wagner beerbt hatte. Das Problem: Mit Vanetta wurden die YB-Resultate damals schlechter. Er verliess den Klub. Und wird zwei Jahre später an die Seite Rahmens beordert, der dazu nichts sagen kann.

In Bern ballt sich die Fussballkompetenz

Als sich YB im Frühling 2024 vom Coach Raphael Wicky trennte, war das Kompetenzgerangel im Klub ein Thema, die subtile Einflussnahme der sportlichen Führung, welche aus Spycher, von Bergen und Stéphane Chapuisat besteht. Sie vereinen 872 Spiele in der Super League und 425 Partien in der Bundesliga, in der Chapuisat von 1991 bis 1999 für Uerdingen und vor allem für Dortmund fast in jedem zweiten Einsatz das Tor traf.

Dazu addieren sich in der sportlichen YB-Führung 96 Auftritte in der Serie A (von Bergen) und nicht weniger als 200 Länderspiele. Mit dabei ist Gérard Castella, der sich zu den wenigen Schweizer Meistertrainern zählen darf; er errang den Titel 1999 mit dem Servette FC.

Die Einflussnahme auf den Trainer war im Fall Wicky offensichtlicher, im Fall Rahmen war sie aber nicht inexistent. Man habe das subtil wahrgenommen, heisst es aus dem Team. Wenn ein Trainer nicht aus freien Stücken Personalentscheide trifft, ahnen dies Betroffene schnell. Rahmen musste in unruhigem Gewässer teilweise fremdbestimmt navigieren und suchte verzweifelt Piloten, die nicht da waren. Er ist nicht der Verkäufer, nicht der Strahlemann, der Schieflagen übertünchen oder zerreden kann.

Die geballte (Bundesliga-)Kompetenz in der YB-Chefetage bleibt ein Vorteil. Aber das ist nicht alles. Auch die YB-Verantwortlichen erliegen Fehleinschätzungen. Plötzlich sitzen sie am Tisch und wissen nicht mehr, wie sie das Puzzle zusammenbringen können.

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