Dienstag, November 26

Wer den Pavillon des heiligen Stuhls an der Biennale Venedig besucht, wird von weiblichen Häftlingen und Polizistinnen begleitet.

Die Führerin zeigt auf eine gelbe Markierung auf dem Boden: «Hier ist er gelandet!», sagt sie. Das unter dem Sonnenlicht etwas verblasste grosse Oval kennzeichnet den Landeplatz, auf dem der päpstliche Helikopter das Kirchenoberhaupt absetzte, mitten im Gefängnis.

Der Besuch des Papstes hatte einen besonderen Grund: Der vatikanische Pavillon an der Kunstbiennale Venedig befindet sich dieses Jahr in einer Haftanstalt für Frauen auf der Insel Giudecca. Selbstredend kann man diese Ausstellung nicht wie die über 80 anderen Länderpavillons der Biennale auf eigene Faust erkunden. Man muss sich einen der begehrten Plätze für einen Rundgang reservieren. Geführt werden die Besucher jeweils von zwei inhaftierten Frauen, die auf ihre Aufgabe als Kunstvermittlerinnen sorgfältig vorbereitet wurden.

Mit Stolz, Ernsthaftigkeit und Würde füllen sie ihre Rolle aus. Man folgt gebannt ihren Worten und Schritten durch die Anlage. Bereits nach kurzer Zeit treten die eigenen Vorstellungen von Straftäterinnen in den Hintergrund, und man verspürt Respekt. Die Frauen tragen selbstgenähte blau-weisse Kleider und Schmuck, ihre Hände sind manikürt. Wenn sie nicht von Polizistinnen begleitet würden, könnte man den Kontext fast vergessen.

Anderer Blick auf Inhaftierte

Die Haftanstalt ist in einem ehemaligen Kloster untergebracht. Die Räumlichkeiten bieten einen kargen Lebensraum für die Insassinnen. Als Bühne für eine Kunstausstellung erweisen sich vor allem die Aussenbereiche als spannungsvolle Umgebung. Auf dem Rundgang gelangt man zuerst in einen langen, offenen Durchgang, an dessen rohen Seitenwänden emaillierte Lavaplatten der Künstlerin Simone Fattal hängen; darauf eingebrannt sind handschriftliche Texte und Gedichte von Inhaftierten.

Auch Claire Tabouret hat mit Material gearbeitet, das ihr die Gefangenen zur Verfügung gestellt haben. Es sind persönliche Kinderfotos, welche die französische Malerin als Vorlage für 23 Zeichnungen genutzt hat. Daraus ergibt sich ein Gesamtbild, das davon erzählt, dass die inhaftierten Frauen auch Mütter, Schwestern oder erwachsene Töchter sind. Der Blick auf sie wird neu ausgerichtet.

Die Führerinnen erläutern die Arbeiten der acht Kunstschaffenden nicht nur, sie teilen auch ihre persönlichen Eindrücke mit der kleinen Besuchergruppe. So würden sie die Arbeit des Künstlerkollektivs Claire Fontaine aus Palermo als Geschenk empfinden, als tröstende Botschaft in einsamen Nachtstunden: «Siamo con voi nella notte», wir sind mit euch des Nachts, steht auf einem leuchtenden Schriftzug gegenüber den Schlafräumen.

Ebenfalls eine stimmige Verbindung mit dem Ort geht Sonia Gomes ein. Sie bespielt den Kirchenraum des ehemaligen Klosters mit von der Decke hängenden, farbigen Textilobjekten, die sie aus gefundenen Materialien und gebrauchten Stoffen fertigt. In diesen Textilien seien menschliche Geschichten gespeichert, erklärte die Brasilianerin an der Eröffnung der Biennale. Gomes’ Werk besetzt den spirituellen Raum mit poetischer Leichtigkeit und lädt dazu ein, den Blick nach oben zu heben und dadurch möglicherweise etwas Hoffnung oder Freude zu schöpfen, besonders an diesem Ort der Isolation und Scham.

Einen stimulierenden und adäquaten Umgang mit dem Kontext zu finden, gelang einzig dem Filmemacher Marco Perego nicht. Seinen Kurzfilm hat er im Gefängnis Giudecca gedreht und die inhaftierten Frauen eingeladen, als Statistinnen mitzuwirken. Damit sucht Perego zwar die Nähe zur Alltagsrealität im Gefängnis, inszeniert diese aber gespickt mit Stereotypen aus dem Mainstream-Kino.

Vatikan wendet sich der Kunst zu

Für die Kuration des vatikanischen Pavillons zeichnen zwei bekannte Namen verantwortlich: Chiara Parisi, die Direktorin des Centre Pompidou-Metz, und Bruno Racine, der Leiter der beiden Häuser von François Pinault in Venedig, des Palazzo Grassi und der Punta della Dogana. Beide versichern, sie hätten ihr Mandat in völliger inhaltlicher Unabhängigkeit umsetzen können.

Der vonseiten des Kirchenstaats verantwortliche Kardinal José Tolentino de Mendonça sagte bei der Eröffnung des Pavillons, das Projekt und der Besuch des Papstes im Gefängnis Giudecca würden ein unmissverständliches Zeichen für eine neue Beziehung zwischen Kirche und Kunst setzen. Diese hatte sich in der Tat deutlich abgekühlt, seit sich die bildende Kunst Ende des 19. Jahrhunderts die künstlerische Freiheit erstritten hatte.

Heute scheint der Vatikan bestrebt, die Wahrnehmung der katholischen Kirche als starre, rückwärtsgewandte Institution aufzuweichen. Der Vatikan wolle hier, so der Kardinal, «einen Raum für neue Fragen schaffen, in dem die Kunst ihre eigenen Themen einbringt».

Es ist nicht das erste Mal, dass der Vatikan an der Biennale teilnimmt. Bisher fand er jedoch eher wenig Beachtung. Anders in diesem Jahr, was mit Sicherheit am speziellen Standort liegt. Das Gefängnis ist ein radikaler Gegenpol zur Traumkulisse der Lagunenstadt, in der sich das Kunstpublikum für gewöhnlich bewegt. Die Besucher der Biennale werden hinaus aus den Giardini geholt, hinein in eine fremde, verborgene Welt, die sie entsprechend dem Ausstellungstitel «Con i miei occhi» mit eigenen Augen sehen sollen.

Dass das Kuratorenduo sich entschied, Maurizio Cattelan einzuladen, macht den diesjährigen Auftritt erst recht spannungsvoll. Die Religion im Allgemeinen und die Kirche im Speziellen sind wiederkehrende Themen im Schaffen des Künstlers. Sein wohl bekanntestes Werk ist «La Nona Ora». 1999 für die Kunsthalle Basel geschaffen, zeigt es eine lebensechte Nachbildung des Papstes Johannes Paul II., wie er, von einem Meteoriten getroffen, zur Seite kippt.

Diese Arbeit wird fälschlicherweise immer wieder als Provokation und Respektlosigkeit gegenüber der katholischen Kirche gelesen. Wie der Titel verrät, geht es aber um eine Gegenüberstellung des Papstes mit Jesus, der in der neunten Stunde seines Martyriums am Kreuz, der «nona ora», Gott anruft: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» Der Papst wird in Cattelans Arbeit durch einen rätselhaften «überirdischen» Anschlag getroffen, wobei sein Stab – sein Glaube, sein Amt – ihm Halt gibt, wodurch er nicht vollständig zu Boden sinkt.

Für die Ausstellung «Mit eigenen Augen» hat Cattelan nun ein monumentales Wandbild geschaffen, das die Besucher bereits von weitem sehen, wenn sie in den Gehweg neben dem kleinen Kanal einbiegen, an dem das Gefängnis liegt. Das Werk ist an der Aussenwand der zum Gefängnis gehörenden Kapelle angebracht und zeigt eine in Schwarz-Weiss gemalte Untersicht zweier Füsse; der Rest des Körpers ist nicht zu sehen. Die ungewöhnliche Perspektive erinnert an Andrea Mantegnas Meisterwerk des toten Christus.

Auferstehung der Füsse

In einer damals noch nie gesehenen Perspektive und mit einem schockierenden Realismus stellte der Renaissancemaler den Leichnam von den Fusssohlen gesehen dar. Bei Cattelan sind diese nicht durchbohrt, aber versehrt, mit Verletzungen und den Spuren lebenslangen Gehens. Im Gespräch erläutert der Künstler das Bild so: «Die Füsse werden zur Abstraktion des toten Körpers, zu dem sie gehören. Und da sie sich gegen oben richten, sind sie weniger Teil einer Grablegung, sondern werden zu einer Auferstehung.»

Es gebe für ihn zudem eine enge Verbindung zu seiner persönlichen Geschichte, etwa zur Kindheitserinnerung an die Füsse des toten Grossvaters oder zu seinem vor drei Jahren verstorbenen Vater, an den der Künstler sich mit der Wahl des Titels «Father» erinnert. Cattelan betont jedoch, dass er nicht bewusst mit Rückbezügen auf künstlerische Vorbilder oder persönliche Erinnerungen arbeite, diese würden sich ihm erst nach Fertigstellung des Werks offenbaren.

Die Kuratorin Chiara Parisi sieht einen möglichen Bezug zu den Strafgefangenen. Auch für diese könnte der Titel «auf einer persönlichen Ebene mitschwingen und möglicherweise Gefühle im Zusammenhang mit Familie, Verlust und Autorität hervorrufen, insbesondere in Anbetracht des Bildes der abgenutzten Füsse, die Mühen und Lasten symbolisieren». Allerdings können die inhaftierten Frauen die Arbeit nur auf Abbildungen sehen. Für Cattelan war es aber wichtig, auch direkt mit den Gefangenen zu arbeiten. Er hat daher angestossen, mit ihnen eine Nummer der vom Vatikan herausgegebenen Strassenzeitung «L’Osservatore di Strada» zu gestalten.

Nach der Biennale werden sich die Türen des Frauengefängnisses wieder schliessen, und es fragt sich, was für die Beteiligten zurückbleibt. Chiara Parisi nennt das Projekt «die wichtigste künstlerische Erfahrung meines Lebens». Für die inhaftierten Frauen ist es eine Gelegenheit, wenigstens temporär Teil von etwas zu sein, von dem sie gewöhnlich ausgeschlossen sind.

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