Mittwoch, März 12

Der Kreml hat sehr vorsichtig auf die amerikanisch-ukrainische Einigung von Jidda reagiert. Russland wies eine Feuerpause bis jetzt immer zurück. Trotz vehementer Ablehnung aus ultranationalistischen Kreisen könnte Putin aber auch eine andere Taktik versuchen.

Die amerikanisch-ukrainische Einigung in Jidda auf eine vorerst dreissigtägige Waffenruhe hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin in eine Zwickmühle gebracht. Seit Monaten wiederholen russische Funktionäre die Botschaft, an einem schnellen Waffenstillstand sei Russland nicht interessiert, erst recht nicht an einem Einfrieren des Krieges entlang der Frontlinie. Für einen Frieden in der Ukraine müssten die ursprünglichen Gründe für den Konflikt definitiv, ja gar juristisch unanfechtbar, aus dem Weg geräumt werden. Überdies komme die russische Armee gut voran; ein Stopp sei nicht im russischen Interesse.

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Allein für eine Waffenruhe hatte Putin im vergangenen Sommer weitreichende Bedingungen formuliert: Rückzug der ukrainischen Truppen aus den von Russland nicht eroberten Teilen der vier im Herbst 2022 annektierten ost- und südostukrainischen Regionen, die Anerkennung dieser Regionen und der Krim als völkerrechtlich zu Russland gehörig, ewiglicher Verzicht auf einen Nato-Beitritt sowie vollständige Aufhebung der westlichen Sanktionen. Ein Abrücken von dieser Position war in den vergangenen Tagen nicht zu beobachten. Im Gegenteil, sie wurde mehrmals bekräftigt, verbunden mit der vehementen Ablehnung einer Stationierung europäischer Truppen zur Absicherung der Ukraine.

Der Kreml will kein «Vorpreschen»

Nach allem, was öffentlich bekannt ist, sieht der Vorschlag aus Jidda nichts davon vor. Die amerikanischen Unterhändler hatten zwar schon vor dem Treffen klargemacht, dass Kiew territoriale Zugeständnisse machen müsse. Aber wie weit diese gehen sollten, blieb offen. Trump setzte Putin insofern unter Zugzwang, als eine Absage an die Waffenruhe Russland zum Friedensverweigerer machen und die noch fragile russisch-amerikanische Annäherung gefährden würde.

Putins Sprecher äusserte sich am Mittwochmittag sehr zurückhaltend. Russland warte darauf, von amerikanischer Seite informiert zu werden. Die Vorschläge würden genau studiert. Er rief aber dazu auf, nicht vorzupreschen. Den von Trump angekündigten Telefontermin bestätigte er nicht. Ein solcher könne aber schnell organisiert werden, falls die Notwendigkeit dazu bestehe.

Vertreter des ultranationalistischen Lagers reagierten noch am Dienstagabend in ihren Telegram-Kanälen überwiegend negativ. Der Vorschlag wurde als Trick der Ukrainer interpretiert, angesichts ihrer angeblich hoffnungslosen militärischen Lage eine Atempause zu bekommen. Dass die Amerikaner nun auch wieder Waffen und Geheimdienstinformationen liefern, empfanden sie erst recht als Hinweis darauf, dass es der Ukraine nicht ernst sei – und den Amerikanern auch nicht wirklich.

Diese Hardliner holten auch die antiamerikanischen Vorbehalte, die in den vergangenen Wochen dem Lob über die USA gewichen waren, wieder hervor. Trump, den viele bewundern, wurde beinahe des Verrats bezichtigt. Manche äusserten, mit Blick auf die Vorgeschichte seit 2014, auch generelle Zweifel daran, dass die Ukrainer sich überhaupt an einen Waffenstillstand halten würden. Zugleich befürchten nicht wenige, Putin könnte «einknicken», bevor Russland seine Ziele in der Ukraine erreicht habe. Sie verweisen auf das Minsker Abkommen von 2015, aber auch auf Syrien und auf das als bitter empfundene Friedensabkommen von Chasawjurt mit Tschetschenien 1996.

Mögliche russische Bedingungen

Nicht alle Kommentatoren verwerfen den amerikanisch-ukrainischen Vorschlag so vehement. Sie verweisen darauf, dass die russische Diplomatie seit Trumps Amtsantritt und vor allem seit dem Telefonat mit Putin Mitte Februar flexibel reagiert und ihr Interesse an einem Einvernehmen mit den USA gezeigt habe. Das Einverständnis der Ukraine von Jidda interpretieren sie als Niederlage des Präsidenten Wolodimir Selenski, der von Trump gemassregelt worden sei. Die sich abzeichnende Rückeroberung der von den Ukrainern besetzten Teile der Grenzregion Kursk würde es Putin erleichtern, einer Waffenruhe zuzustimmen.

Eine bedingungslose Einwilligung Putins ist unwahrscheinlich. Aber dem Kremlchef stehen auch andere Wege offen als eine brüske Zurückweisung von Trumps Wunsch. Verlangen könnte er zum Beispiel die Aufhebung des Kriegsrechts in der Ukraine, eine Demobilisierung, die Abhaltung von Wahlen oder konkrete territoriale Zugeständnisse. Dies würde die Ukraine in Bedrängnis bringen und Russland zugleich Zeit verschaffen. Lehnte Selenski dies ab, stünde er als friedensunwillig da und müsste erneut den Zorn Trumps fürchten. Zugleich könnte Russland so die Kämpfe fortsetzen. Das käme auch bei den wirtschaftlichen Profiteuren des Kriegs gut an.

Atempause und Siegesversprechen

Allerdings könnte auch Putin an einer befristeten Verschnaufpause gelegen sein, besonders wenn diese noch mit wirtschaftlichen Zückerchen belohnt würde. Russlands Wirtschaft steht unter starkem Druck; geld- und zinspolitische Massnahmen und Budgetakrobatik stossen an ihre Grenzen. In der Gesellschaft würde ein Ende des Krieges begrüsst, sofern Russland sich als Sieger fühlen könnte. Im Hinblick auf die gross geplanten Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Siegs über das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg käme das dem Regime propagandistisch entgegen.

Trumps russlandfreundliche Auslegung des Konflikts und seine Schwächung der Ukraine haben Russland die Zuversicht gegeben, seine Positionen durchsetzen und einen Frieden in einen russischen Sieg verwandeln zu können. Über Entschädigungen, Kriegsverbrechen und überhaupt die Anwendung von Militärgewalt gegenüber einem Nachbarland zur Durchsetzung politischer Ziele wird gar nicht erst gesprochen.

Alles hängt davon ab, ob es Putin gelingt, mit Trump einen Frieden auszuhandeln, der die russischen Bedingungen, auch hinsichtlich einer europäischen Sicherheitsordnung, weitgehend erfüllt und die Ukraine zum Vasallenstaat macht. Noch kann der Kremlchef den Krieg auch fortsetzen und die in jedem Fall unangenehmen Folgen eines Kriegsendes – unter anderem mit den heimkehrenden Soldaten – hinausschieben.

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