Donnerstag, Oktober 31

Andres Baumgartner und Fabio Delcò sollen laut den USA Putins Cellisten Sergei Roldugin bei Umgehungsgeschäften geholfen haben. Die Zürcher Anwälte bestreiten die Vorwürfe und werfen den USA vor, gezielt den Schweizer Finanzmarkt anzugreifen.

Andres Baumgartner und Fabio Delcò merkt man nicht an, dass sie sich seit Mittwochabend in einer vielleicht existenziellen Krise befinden. Äusserlich gelassen empfangen sie zum Gespräch, wenige Stunden nachdem sie auf der Sanktionsliste der USA gelandet sind. Doch wer wie Baumgartner seit 35 Jahren oder wie Delcò seit 31 Jahren im Geschäft ist, lässt sich auch durch den US-Botschafter Scott Miller nicht aus der Ruhe bringen. Ihre auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Kanzlei in Zürich betreut viele russische Kunden. Baumgartner hat russisch-ukrainische Vorfahren und spricht fliessend Russisch.

Herr Baumgartner, Herr Delcò, Sie stehen seit kurzem auf der Sanktionsliste der USA. Die Amerikaner sagen, Sie hätten russischen Kunden bei der Umgehung von Sanktionen geholfen. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf.

Andres Baumgartner: Die US-Sanktionen bedeuten eigentlich nur, dass Amerikaner nicht mehr mit uns geschäften dürfen. Doch die Schweizer Banken befolgen diesen Bannstrahl natürlich eins zu eins und sperren in der Regel die Konten der sanktionierten Personen und Unternehmen. Damit müssen auch wir rechnen.

Sie klingen gelassen. Hat es Sie nicht überrascht, dass Sie auf der Sanktionsliste des Office of Foreign Assets Control (Ofac) gelandet sind?

Baumgartner: Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine mussten wir immer damit rechnen, dass es so weit kommen wird. Unsere Kanzlei betreut seit dreissig Jahren unter anderem russische Kunden. Das ist darauf zurückzuführen, dass ich fliessend Russisch spreche. In den 1990er Jahren ist dieses Geschäft sehr schnell gewachsen. Wir sind immer zu diesen Kunden gestanden.

Und gerieten damit international in die Negativschlagzeilen. 2016 berichtete der «Guardian», Sie hätten einem russischen Cellisten beim Verstecken von Wladimir Putins Millionen geholfen.

Baumgartner: Bei der Berichterstattung über die «Panama Papers»-Affäre im Jahr 2016 erschienen Schmutzgeschichten über uns, die frei erfunden waren. Wir haben damals nicht öffentlich reagiert. Doch mit dem Krieg in der Ukraine ist alles wieder hochgekommen.

Damals ging es um den Putin-Freund Sergei Roldugin. Welche Rolle haben Sie im Zusammenhang mit dem schwerreichen russischen Cellisten gespielt?

Baumgartner: Wir waren als Anwaltsbüro immer ein Bindeglied zwischen der Bank und dem Kunden. Wir wurden von Banken in den 1990er und 2000er Jahren oft angefragt, um für ihre Kunden Offshore-Firmen und Trusts anzulegen. Wir waren der Verwaltungsintermediär zwischen der Schweizer Bank und dem Offshore-Provider, der in Liechtenstein, Panama oder einem anderen Staat sitzt.

Fabio Delcò: Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir nicht als Finanzintermediär handelten, sondern nur beratend. Wir waren nur die Briefträger zwischen der Bank und den Anwälten im jeweiligen Offshore-Finanzplatz.

Also auch bei Roldugin?

Baumgartner: Ja. 2007 haben wir von der Bank Rossija eine Anfrage erhalten, ob wir diese Briefträgerfunktion für eine kleine Gruppe ihrer Kunden übernehmen könnten. Insgesamt waren es sechs Gesellschaften, die damals bereits bestanden. Sergei Roldugin war der Eigentümer einer dieser Gesellschaften. Vor siebzehn Jahren wusste man nicht, um wen es sich dabei handelt. Wir haben seinen Pass verlangt, und den haben wir auch erhalten. Das war’s. Mit dieser Gesellschaft hatten wir danach praktisch nichts mehr zu tun.

Sie sind zwei langjährige Anwälte, und trotzdem haben Sie 2007 nicht bemerkt, dass hinter einer von Ihnen betreuten Gesellschaft der russische Präsident steckt. Sind Sie wirklich so naiv?

Baumgartner: Das hat nichts mit Naivität zu tun. Die Mitarbeiterin, die das für uns damals erledigt hat, hat den Namen Sergei Roldugin im Internet gesucht, und es kam nichts heraus. Solche Checks haben wir immer wieder gemacht. Damit war der Vorgang für uns abgeschlossen. Das ist, als würde DHL dafür verantwortlich gemacht, dass der Paketdienst ein Päckchen mit einer toten Ratte ausgeliefert hat.

Hatten Sie persönlichen Kontakt mit dem Cellisten?

Baumgartner: Nein. Wir haben Herrn Roldugin nie gesehen und ihn nie getroffen. Er war ja nicht unser Auftraggeber. Auftraggeberin war seine Bank. Daraus wurde dann im Rahmen des «Panama Papers»-Leak die Story konstruiert, dass wir die grossen Putin-Anwälte seien.

Delcò: Selbst wenn man im Internet etwas gefunden hätte. Man hätte einen Cellisten entdeckt. Als Intermediär, der nur administrative Hilfstätigkeiten durchführt, war es aber gar nicht unsere Pflicht, diese Abklärung zu treffen.

Wie sah Ihre Rolle im Fall Roldugin ganz konkret aus?

Baumgartner: Eigentlich haben wir nur die Verträge der sechs von der Bank Rossija betreuten Gesellschaften an den panamaischen Ableger weitergeleitet, das Büro Mossack Fonseca, mit dem wir sonst nur wenig zu tun hatten. Es war die Gazprom Bank in Zürich, die ein Konto für die Gesellschaft von Roldugin eröffnet hatte. Auch dort haben wir nur die voll ausgefüllten Verträge hin und her geschickt. Wir mussten nur sicherstellen, dass alle Formalitäten stimmen.

Würden Sie rückblickend etwas anders machen?

Baumgartner: Nein. Wir haben in den bestehenden Strukturen gearbeitet und keine neuen Trusts oder ähnliches geschaffen.

Und trotzdem sind Sie auf der US-Sanktionsliste gelandet.

Baumgartner: Das ist so. Ausser der Medienmitteilung, mit der unsere Sanktionierung vermeldet wird, haben wir von den US-Behörden nichts gehört. Mehr werden wir auch nicht erhalten. Im Rahmen unserer Tätigkeit sind wir zu Sanktionsspezialisten geworden. Wir kennen das OFAC-Verfahren daher sehr gut.

Das hat nicht verhindert, dass Scott Miller, der Botschafter der USA in Bern, schwere Anschuldigungen gegen Sie beide erhebt.

Baumgartner: Unser Fall steht in einem grösseren Zusammenhang. Seit dem April 2023 hat die OFAC begonnen, Anwälte und Treuhänder zu sanktionieren. Ende August dieses Jahres war Liechtenstein an der Reihe, wo wir mit einigen Treuhändern zusammenarbeiten. Im Vorfeld dieser Sanktionierung hat das OFAC Liechtenstein die Finanzintermediäre stark unter Druck gesetzt. Wir haben starke Indizien von mehreren Quellen aus Liechtenstein, dass unsere Namen im Zuge dieser Aktion von mehreren Quellen aus Liechtenstein verraten wurden. Jetzt geriet die Schweiz ins Visier und die Amerikaner haben Namen gebraucht. Das sind nun wir. So einfach ist das.

Wie viele russischen Kunden haben Sie?

Baumgartner: Unsere russischen Kunden kennen wir seit zehn und dreissig Jahren. Zum Teil besser als unsere Verwandten. Wir stehen hinter diesen Kunden, denn sie sind alle sauber und korrekt. 95 Prozent von ihnen haben ohnehin einen EU-Pass oder einen Wohnsitz in der EU oder der in der Schweiz. Seit fünf Jahren haben wir keine neuen russische Kunden mehr erhalten.

Die USA werfen Ihnen vor, Sie würden den illegalen Geldfluss erleichtern und dafür die Gesetzeslücke ausnutzen, die es Anwälten in der Schweiz erlaubt, unter dem Deckmantel ihres Berufes ohne Sorgfaltspflicht oder Meldepflicht als Nicht-Finanzintermediäre zu fungieren.

Baumgartner: Wir unterstehen bereits jetzt dem Geldwäschereigesetz. Wir beide sind als Finanzintermediäre der Geldwäschereigesetzgebung von Anfang an unterstellt und werden einmal pro Jahr kontrolliert. Nach der Kampagne rund um die Panama Papers hat die Selbstregulierungsorganisation SRO SAV in unserer Kanzlei eine Revision durchgeführt und hat dabei nichts Inkorrektes gefunden. Und wo sollen diese Gesetzeslücken denn bestehen? Heute wird ja so viel geprüft! Die Anwälte prüfen, die Bank prüft, teilweise bis am St. Nimmerleinstag. Auch die ausländischen Treuhänder sind zur Prüfung verpflichtet.

Worum geht es den USA dann?

Baumgartner: Die Schlupflöcher, von denen die Amerikaner reden gibt es nicht oder nicht mehr. Doch auf dem Finanzmarkt Zürich, den wir sehr gut kennen, herrscht ein Klima der Angst. Dieses wird von den USA präzis und perfid durchgeführt. Die Amerikaner machen das, damit die Banken einerseits Kunden abstossen und andererseits unter das Gängelband der USA begeben.

Aber Sanktionen sind doch notwendig und nicht reine Schikane.

Baumgartner: Es ist sicher richtig, dass Oligarchen und Politiker sanktioniert werden. Doch inzwischen befinden wir uns in einer ganz anderen Dimension. Die USA haben erkannt, dass sie mit dem Instrument der Sanktionen ihre alte Macht über die Finanzplätze zurückgewinnen können.

Delcò: Keiner unserer Kunden wurde sanktioniert. Alle bewegen sich innerhalb dem von den Sanktionen bewusst gegebenen Freiraum. Wieso attackiert man zwei Anwälte, die sich innerhalb des Gesetzes bewegen? Wenn wir tatsächlich Sanktionen umgangen hätten, hätten wir uns auch im strafrechtlichen Bereich schuldig gemacht. Das ist jedoch nicht der Fall.

Baumgartner: Die USA arbeiten mit Drohgebärden. Sie präsentieren unsere zwei abgehauenen Köpfe und schüchtern damit den ganzen Finanzplatz Schweiz ein. Wir haben ein gutes Gewissen, wir haben nichts Unrechtes gemacht. Was jetzt abläuft, ist dreckige Geopolitik. Der wahre Schurkenstaat sind die USA. Die Vasallen sind unsere Grossbanken und wir sind die Bauernopfer.

Werden weitere Schweizer Anwälte und Treuhänder auf der US-Sanktionsliste landen?

Baumgartner: So lange der Krieg in der Ukraine dauert, wird das weitergehen. Denn es ist ein hervorragendes Instrument für die USA, um sich die Finanzmärkte unter den Nagel zu reissen. Die nächsten werden wohl Dubai, Mauritius und die Seychellen sein, die momentan noch offen sind für russischen Gelder.

Als einer von wenigen Sanktionierten hat es der Luzerner Treuhänder Alexander Studhalter geschafft, wieder von der US-Liste entfernt zu werden. Wie beurteilen Sie den Fall?

Baumgartner: Wir haben mit einer Person gesprochen, die ebenfalls von Sanktionen betroffen ist. Sie meint, dass hinter diesem Manöver ein Deal steckt. Die USA wollen vor allem Informationen. Unter anderem wollen sie die Kunden der von Sanktionen Betroffenen kennen und das ist der heikle Punkt. Wir unterstehen dem Anwaltsgeheimnis und können diese Daten nicht herausgeben. Ausserdem ist es auch eine ethische Fragen. Ich weiss nicht, was Alexander Studhalter gemacht hat.

Wie geht es nun weiter für Sie beide weiter?

Baumgartner: Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Also dass wir unsere Kanzlei schliessen müssen. Dies weil die Banken nicht mehr mitmachen, weil sie uns als toxisch betrachten. Das ist auch das Kalkül der Amerikaner.

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