Donnerstag, Juli 4

Dem Wald wird eine gesundheitsfördernde Wirkung nachgesagt. Die Beweislage ist dünn. Trotzdem erlebt die Waldtherapie einen Boom. Ein Beitrag aus der Rubrik «Hauptsache, gesund».

Der Zürichbergwald ist einer der schönsten stadtnahen Erholungsräume. Zu jeder Jahreszeit lockt er mich zum ausgedehnten Spaziergang. Besonders viel Spass macht es, so richtig in den Wald einzutauchen und querfeldein durchs Unterholz zu streifen, natürlich mit angemessenem Zeckenschutz. Wenn unter meinen Schuhen die dürren Äste knacken, wenn ich das tannige Grün rieche oder den etwas modrigen Duft von Pilzen und verwelktem Laub einsaugen kann, macht mich das richtig glücklich.

In Japan nennt man das «Shinrin-Yoku» – übersetzt: ein Bad in der Atmosphäre des Waldes. Seit 1982 ist das traditionelle Shinrin-Yoku Teil des nationalen Gesundheitsprogramms. Es wird an Hochschulen erforscht, und Shinrin-Yoku-Meister lehren die gesundheitlichen Vorteile des korrekten Waldbadens.

Nun ist der Trend auch hierzulande angekommen. Die Waldbaden-Akademie Schweiz etwa bietet vom kurzen Park-Baden über Mittag im Stadtpark («Green Time statt Screen-Time») bis zur mehrtägigen Ausbildung zum Shinrin-Yoku-Gesundheitstrainer die ganze Palette an Waldtherapien an. Das Waldbaden heisst hier «achtsamkeitsbasierte Naturimmersion», soll die Selbstheilungskräfte aktivieren und «die Bindung zur inneren und äusseren Natur» wieder aufbauen.

Der Wald tut Körper und Seele einfach gut

Inzwischen gibt es eine Reihe weiterer Anbieter. Wissenschaftliche Studien und Berichte unterstützen den Trend. So legte das Global Forest Expert Panel vor einem Jahr einen umfassenden Bericht vor, in dem der Einfluss des Waldes auf das physische, mentale und soziale Wohlbefinden des Menschen in allen Facetten untersucht worden ist. Resultat: Der Wald tut einfach gut.

Dass die Wälder an heissen Sommertagen angenehm kühl sind, weiss jeder, der einmal aus dem überhitzten Siedlungsgebiet in einen Wald getreten ist. Laut dem Bericht können Waldflächen die Umgebungstemperatur tatsächlich um bis zu 3 Grad Celsius senken.

Der Aufenthalt im Wald soll aber auch einen positiven Einfluss auf den Blutdruck haben, den Cholesterinspiegel senken und das Immunsystem stärken. So hat ein japanisches Forscherteam herausgefunden, dass Büroangestellte, die einen Tag lang im Wald verbrachten, spazierten, tief durchatmeten und bewusst die Geräusche im Wald wahrnahmen, bis fünf Tage nach dem Waldbad einen gesünderen Blutdruck hatten.

Was am Wald die Wirkung ausmacht, ist noch unklar

Waldbadende hatten auch eine bessere Schlafqualität, mehr positive Gefühle und weniger Stress und Ängste, und sie waren weniger deprimiert. So kam kürzlich eine Übersichtsarbeit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zu dem Schluss, der Wald könne «als gesundheitsfördernde Lebenswelt bezeichnet werden».

Doch trotz all diesen guten Nachrichten ist die wissenschaftliche Beweislage eher dünn. Die verfügbaren Studien sind qualitativ eher schwach, weil sie zu klein sind. Vor allem aber sind die genauen Wirkmechanismen kaum untersucht.

Mir gefällt am Zürichbergwald sowieso vor allem, dass er trotz unmittelbarer Stadtnähe fast immer menschenleer ist. Und wenn ich innehalte, um dem rhythmischen Klopfen eines Spechts zu lauschen, und dann von ferne ein leises «Guggu-guggu» höre, hoffe ich insgeheim, dass meine Ruhe nicht von einer Gruppe achtsamkeitsgetriebener Waldbadender gestört wird.

In der wöchentlichen Rubrik «Hauptsache, gesund» werfen die Autorinnen und Autoren einen persönlichen Blick auf Themen aus Medizin, Gesundheit, Ernährung und Fitness. Bereits erschienene Texte finden sich hier.

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