Freitag, November 22

Wasserstoffbetriebene Flugzeuge versprechen klimafreundliches Reisen. Der technische Aufwand dafür ist gross, wie ein Besuch bei einem Flugzeugbauer zeigt.

In einer Montagehalle am Flugplatz Strausberg bei Berlin haben die Ingenieure der Firma Apus einen Viersitzer konstruiert, der mit Wasserstoff angetrieben wird. Äusserlich schaut er aus wie andere Propellermaschinen auch: eine kleinwagenkleine Personenzelle auf zwei Tragflächen, 13 Meter Spannweite, versenkbare Räder. Unter den weissen Verkleidungen steckt aber ein grundlegend neu entworfenes Flugzeug.

In den Tragflächen befinden sich zylindrische Tanks für Wasserstoff, der in die Brennstoffzelle vorm Cockpit geleitet wird. Dort wird daraus Strom erzeugt, der schliesslich die beiden Motoren antreibt. So einfach das Prinzip klingt – mit all den Schläuchen, Sensoren, Kühl- und Schmierstoffen sowie mehr als zwanzig Kilometern Kabel zeigt sich die i-2 als komplexes Fluggerät, in dem nahezu jede Lücke mit Technik gefüllt ist.

Der Aufwand erscheint widersinnig, können doch herkömmliche Flugzeuge nach kurzem Umbau ebenso mit «grünem» Kerosin (Sustainable Aviation Fuel, SAF) betankt werden. Diesen Pfad verfolgen viele Airlines und werben damit bei ihren Kunden. Die Crux: Um SAF herzustellen, braucht es ebenso «grünen» Wasserstoff, zusätzlich aber noch Kohlenstoff. Wird er aus Biomasse gewonnen, droht eine Konkurrenz um Flächen, wird er aus der Luft abgeschieden, ist das sehr energieintensiv. Unterm Strich ist SAF weniger effizient als Wasserstoff.

Der dritte Pfad, batterieelektrische Antriebe, bleibt absehbar kleinen Maschinen vorbehalten. Denn die Energiedichte in Akkus ist vergleichsweise gering, grosse Flugzeuge würden gewaltige Batterien benötigen und wären schlicht zu schwer. Welcher Antrieb sich langfristig für welche Flugstrecke beziehungsweise Passagierzahl durchsetzen wird, lässt sich heute noch nicht sagen.

Es dauert nicht mehr lange bis zum ersten Flug

Die i-2 ist daher als eine Art Pionier auf dem Weg in die Wasserstoffwelt zu sehen, grössere Maschinen sollen folgen. Wenige Tage bevor sie Anfang September öffentlich vorgestellt wurde, hatten die Monteure alle Teile erstmals zu einem vollständigen Flugzeug zusammengefügt. Nun kommen Bodentests, um den Jahreswechsel soll der erste Flug starten.

Es gibt noch weitere Unternehmen, die auf diesen möglichen Markt abzielen. H2FLY aus Stuttgart hat bereits 2016 ein Experimentalflugzeug in die Luft gebracht, 2023 folgten Flüge mit flüssigem Wasserstoff, in diesem Jahr der Flug mit einem Demonstrator der Muttergesellschaft Joby Aviation in Kalifornien, der senkrecht starten und landen kann (VTOL, kurz für Vertical Take-Off and Landing).

Beyond Aero aus Frankreich hat im Februar einen Demo-Flug mit Wasserstoff absolviert, Heart Aerospace in Schweden zeigte kürzlich gar einen 30-Sitzer mit Wasserstoffantrieb, er soll bis Mitte 2025 erstmals fliegen. Sirius Aviation mit Sitz in Baar nahe Zug will in der zweiten Jahreshälfte 2025 ebenfalls ein wasserstoffbetriebenes VTOL-Flugzeug in die Luft bringen.

Bis 2027 soll die Zulassung da sein

Obwohl die i-2 noch nicht in der Luft war, hofft Apus, die Konkurrenz zu überholen. «Wir wollen bis 2027 eine Musterzulassung erhalten», sagt der Firmenchef Phillip Scheffel. So möchte er weltweit der erste Anbieter eines zertifizierten Flugzeugs auf Basis von grünem Wasserstoff werden.

Doch mit der Zertifizierung ist das so eine Sache. Für die Behörden ist Wasserstoff ebenso neu wie für die Luftfahrtingenieure, es gibt kaum Referenzen, an denen sie sich orientieren können. Seit Jahren, so berichtet Scheffel, sei man mit der EU-Flugsicherheitsbehörde Easa in Kontakt, um die nötigen Informationen für eine Zulassung auszutauschen, dort «die Handbremse zu lösen».

Als potenzielle Kunden hat Apus unter anderem Flugschulen ausgemacht. Der Viersitzer ist gross genug für Schüler, Lehrer und Prüfer. Da er zwei Motoren hat, ist er auch für angehende Berufspiloten interessant. «Besonders für Airlines mit strengen Nachhaltigkeitszielen.»

Die Reichweite der Maschine, die zwei Tonnen wiegt, beträgt nach Firmenangaben 900 Kilometer, was vier Stunden Flug ermöglicht. Kosten werde die i-2 rund 1 Million Franken (1,1 Millionen Euro), ähnlich viel wie die Verbrennerkonkurrenz.

Als Treibstoff sind laut Berechnungen nur 23 Kilogramm Wasserstoff nötig. Das stark komprimierte Gas wird in Tanks aus Verbundstoffen geladen. Zwar wäre flüssiger Wasserstoff effizienter, doch dieser erforderte spezielle Zapfanlagen und Tanks für den auf minus 253 Grad Celsius gekühlten Stoff. Wasserstoffgas hingegen lässt sich in Stahlflaschen auch zu kleinen Flugplätzen schaffen, wie hier in Strausberg. Für den Anfang und gerade für kleine Maschinen, die nicht so oft abheben, genüge das, meint Scheffel.

Die Klimarechnung geht aber nur auf, wenn der Wasserstoff wirklich «grün» erzeugt wurde und nicht, wie heute vielfach der Fall, aus Erdgas gewonnen wird. Angesichts des enormen Bedarfs der Industrie, etwa in der Stahl- oder Chemiesparte, erscheint es fraglich, ob genug für alle Begehrlichkeiten vorhanden sein wird.

Aus Sicht von Josef Kallo, dem Gründer und Geschäftsführer von H2FLY, spricht der Engpass umso mehr gegen «grünes» Kerosin. «Wenn wir europaweit genügend Wasserstoff für den Flugverkehr herstellen wollen, braucht es rund 300 Milliarden Euro an Investitionen: 260 Milliarden für Windparks und Solaranlagen sowie rund 40 Milliarden für Infrastruktur und technologische Entwicklungen», rechnet er vor.

Weil SAF weniger effizient seien, müsse weitaus mehr Energie bereitgestellt werden, was Investitionen von 780 Milliarden Euro erfordere, sagt Kallo. «Im Moment lügen wir uns in die eigene Tasche, ignorieren die Effizienz und glauben, das wird schon irgendwie klappen.» Die Kosten werden auf die Preise durchschlagen, davon ist er überzeugt. Bei Wasserstoff rechne man mit etwa 30 Prozent höheren Treibstoffkosten, bei SAF könne es das Zweieinhalbfache sein.

Wie sicher ist Wasserstoff in einem Flugzeug?

Allerdings ist «grünes» Kerosin wesentlicher einfacher zu handhaben, und es gibt mehr Erfahrungen damit. Zudem weckt Wasserstoff bei manchen Befürchtungen, es könnte Katastrophen geben wie das Flammeninferno des Luftschiffs «Hindenburg» 1937 in Lakehurst (USA).

«Die Industriestandards sind heute ganz andere», sagt Kallo. In der chemischen Industrie werde seit Jahrzehnten viel Wasserstoff verwendet – auf sichere Weise. Das sei ebenso in der Luftfahrt möglich. «Sollte ein Leck auftreten und das Gas sich entzünden, gibt es eine Stichflamme, aber keine Explosion», sagt er. Denn dafür brauche es ein Sauerstoff-Wasserstoff-Gemisch.

Zudem wird baulich Vorsorge getroffen: Im i-2 sind wasserstoffführende Abschnitte im Rumpf getrennt von Hochspannungsteilen. Ferner herrscht darin ein ständiger Luftstrom, und es gibt kleine Öffnungen in der Hülle, um bei einem Leck den Wasserstoff rasch nach draussen abzuleiten.

Der H2FLY-Chef ist überzeugt, dass die Technologie einsetzbar ist. «Wir haben nachgewiesen, dass sie funktioniert, auch in höheren Leistungsklassen und bis in Höhen von zwölf Kilometern.» Aber: Die Kosten für Zertifizierung und Qualifizierung seien sehr hoch, sagt Kallo. Solange nicht geklärt sei, ob Wasserstoff als Energieträger anerkannt werde, traue sich keiner, dieses Risiko einzugehen.

Die Wirtschaftlichkeit ist die Herausforderung

Björn Nagel, Direktor des Instituts für Systemarchitekturen in der Luftfahrt im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), sieht weitere Hürden. «Es ist nicht unbedingt die grösste Herausforderung, solche Flugzeuge zu bauen, sondern sie wirtschaftlich zu betreiben», sagt er. Ein Beispiel: Wasserstoff greife Materialien an, weshalb die Tanks womöglich häufiger ausgetauscht werden müssen – das kostet. Die Forschung habe noch einiges vor sich, wenn es darum gehe, gute Kompromisse zu finden.

«In der Raumfahrt kennt man Wasserstoff, dort wird nach dem Gewicht optimiert, aber nicht für Langlebigkeit», sagt Nagel. «Am Boden, etwa in der Industrie, geht es hingegen um Langlebigkeit der Anlagen, das Gewicht spielt keine Rolle.» Dazwischen müsse die Luftfahrt ihren Platz finden.

Die Luftfahrt hat das Reisen revolutioniert. Familienbesuche, Geschäftstermine oder Ferien in der Ferne – mit dem Flugzeug ist das möglich, ohne horrende Summen und viel Zeit aufzuwenden. Die Kehrseite, neben Lärm und Luftverschmutzung, sind die Emissionen aus fossilen Treibstoffen und die Kondensstreifen. Zusammengenommen haben sie einen Anteil von rund vier Prozent an der Erderwärmung. Die Branche ist darum unter Druck, klimafreundlicher zu werden. Flugzeuge, die mit Wasserstoff angetrieben werden, könnten Abhilfe schaffen. Wie lange dauert es noch, bis wir mit ihnen abheben können?

Die Zeit drängt, denn die Luftfahrtbranche will bis 2050 CO2-neutral sein. Dazu müssen sich gerade die grossen Hersteller bewegen. Boeing setzt vorrangig auf SAF. Airbus will bis 2035 ein wasserstoffbetriebenes Flugzeug für mehrere Dutzend Passagiere auf den Markt bringen. Der Konzern verfolgt verschiedene Konzepte, bei denen Brennstoffzellen Strom für Propellermotoren liefern, aber auch mit direkter Verbrennung des Gases in einer Turbine.

Noch ist unklar, welche Variante sich durchsetzt. Nach Ansicht von Nagel ist der avisierte Markteintritt in gut zehn Jahren «möglich, aber sehr ambitioniert und keinesfalls ein Selbstläufer». Umso mehr ist fraglich, ob die CO2-Bilanz der gesamten Luftfahrt bis 2050 wirklich auf null zu bringen ist. Hierfür müssten SAF- und Wasserstofftechnologie erheblich grössere Fortschritte machen, als bis heute absehbar ist.

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