Samstag, Oktober 5

Ein Nachruf auf einen Agenten der anderen Art.

Der Tod des Weisswals Waldimir ist so mysteriös wie sein Leben. Am 26. April 2019 war der Fischer Joar Hesten bei Tufjord, Norwegen, auf seinem Boot unterwegs, als sich ihm ein Tier näherte, das in den Gewässern vor dem norwegischen Festland nur selten gesichtet worden war. Belugas bevorzugen den arktischen Ozean und leben meist in Gruppen. Der Wal, den Hesten sah, war allein. Zutraulich bewegte er sich auf den Fischer zu, und als er näher kam, fiel Hesten etwas auf: Das Tier trug ein seltsames Geschirr aus Riemen. Es sollte den Beluga später enttarnen.

Der Wal hatte seinem Verhalten nach offensichtlich viel Zeit in Gefangenschaft verbracht – aber wo?

Ein mysteriöses Leben

Hesten alarmierte einen örtlichen Wissenschafter und das Fischereidirektorat. Ein Inspektor reiste nach Nordnorwegen, um das Tier zu begutachten, und Hesten gelang es schliesslich, das Geschirr abzustreifen. Auf einer der Kunststoffschnallen stand «Ausrüstung St. Petersburg» eingraviert. Das Geschirr hatte zudem eine Befestigung für eine Kamera.

Bereits im Kalten Krieg hatte die Sowjetunion Meeressäuger gefangen gehalten und für militärische Zwecke abgerichtet, um feindliche Taucher und Minen aufzuspüren oder Gegenstände zu bergen. Das seltsam zutrauliche Verhalten, das komische Korsett – die Hinweise verdichteten sich: Das Tier konnte nur ein Spion des Kremls sein.

Während menschliche Agenten meist hinter Gitter wandern, wenn sie enttarnt werden, wurde der Wal innert Kürze zum Medienstar. Seine neugierige und freundliche Art machte ihn beliebt – sogar bei der norwegischen Regierung. Bei einem Besuch in Hammerfest wollte die damalige Ministerpräsidentin Erna Solberg ihn persönlich füttern. Der norwegische Sender NRK liess das Publikum darüber abstimmen, wie der tierische Agent genannt werden sollte. 25 000 Menschen sprachen sich für Hvaldimir aus – ein Wortspiel aus «hval» (auf Deutsch: Wal) und dem russischen Vornamen Wladimir.

Ein mysteriöser Tod

In den letzten Jahren wurde Waldimir eng von Wissenschaftern und Neugierigen begleitet. Am Samstag um 14 Uhr 30 war der 16-jährige Storm Karolius Kristiansen mit seinem Vater gerade dabei, vor dem südnorwegischen Hafen Risavika Makrelen zu fischen, als er etwas Weisses im Wasser schweben sah. Als die Fischer das Objekt erreichten, war bereits ein Team von Biologen vor Ort. Gemeinsam mit den Wissenschaftern zogen Kristiansen und sein Vater den Kadaver an Land. Bei dem toten Wal handelte es sich um Waldimir.

Wie der mutmassliche Spion verendet ist, wird noch untersucht. Die eigens für Waldimir gegründete Organisation One Whale, die ihn während der letzten fünf Jahre begleitet hat, geht davon aus, dass er nicht auf natürlichem Wege gestorben ist. Waldimir sei gesund gewesen, sagt die Leiterin gegenüber der Zeitung «Stavanger Aftenblad». Der Beluga wurde vermutlich von einem Boot getroffen.

Undenkbar wäre es nicht. Ob Waldimir tatsächlich ein Agent war, konnte nie restlos geklärt werden. Moskau hat sich nie zum Sachverhalt geäussert und das Tier auch nicht als vermisst gemeldet. Klar ist aber, dass Waldimir kein gewöhnlicher Wal war. Er bewegte sich anders als seine Artgenossen und brachte sich damit mehrfach in Gefahr.

Wie ein Promi wurde Waldimir von seinen Fans verfolgt. Wann immer sein Aufenthaltsort bekannt war, versuchten Menschen ihm mit Booten nachzuspüren. Er schwamm gerne zu Fischfarmen und kam dort den Arbeitern in die Quere. Es war die zutrauliche Art, die ihm ein zweites Leben bescherte. Und vielleicht war es genau diese Zutraulichkeit, die ihm am Ende das Leben gekostet hat.

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