Der junge Dachverband World Boxing gewinnt bloss ein Jahr nach der Gründung an Bedeutung. Ist er allenfalls bereits für die Spiele 2028 in Los Angeles der Partner, den das IOK für das Boxturnier sucht?

Boris van der Vorst postierte sich in Blazer und T-Shirt vor der Webcam; er wollte seriös, aber nicht zu förmlich wirken. Erfreuliche Anlässe darf man in den Niederlanden heute durchaus im informellen Stil angehen, und der erste Geburtstag der vom 51-Jährigen mitbegründeten Dachorganisation World Boxing gehört für ihn unbedingt dazu.

Darin lag auch schon eine der wichtigsten Botschaften, die der Sportfunktionär aus Utrecht am Donnerstag in Form einer internationalen Videokonferenz den zugeschalteten Journalisten übermitteln wollte.

Mancher von ihnen hatte es nicht ohne Skepsis aufgenommen, als der Niederländer und einige Mitstreiter aus verschiedenen Ländern zum 13. April letzten Jahres einen zweiten, konkurrierenden Verband fürs olympische Boxen ins Leben riefen. World Boxing, so sein Name, sollte den Sport erklärtermassen überzeugender repräsentieren, als es der etablierten International Boxing Association (IBA) in letzter Zeit gelang. So eine hehre Idee ist schnell formuliert – doch inzwischen wurde ihr genug Leben eingehaucht, wie Präsident van der Vorst und Simon Toulson, sein englischer Generalsekretär, mit Stolz bilanzierten.

Per Stand jetzt haben immerhin knapp dreissig nationale Boxverbände entschieden, die Seite zu wechseln, darunter Meinungsführer wie USA Boxing, Boxing Australia und etliche Organisationen in Europa. Dazu sind 25 bis 30 weitere Kandidaten gerade «in der Pipeline», wie Toulson es nannte, deren Auftritt auf einen umfangreichen Katalog verbandsethischer Kriterien hin überprüft werde. Das ist laut van der Vorst «ein ziemlicher Prozess»; letztlich erlaube die Wahl der Verbündeten jedoch «keine Abkürzungen».

Ausserdem wurden am Gründungskongress in Frankfurt, an dem Ende November Delegierte aus 26 Nationalverbänden teilnahmen, auch klare Aufgaben und Strukturen zum Aufbau einer einwandfreien Governance verabschiedet.

Einspruch der IBA zurückgewiesen

Das wäre in der Summe kaum mehr als ein Etappenerfolg – käme nicht brandaktuell ein besonderes Momentum hinzu. Das Internationale Sportschiedsgericht (TAS) hat kürzlich den Einspruch der IBA gegen den Entscheid des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) vom Juni 2023 zurückgewiesen, wonach der vom Russen Umar Kremlew geführte Weltverband endgültig nicht mehr zur Familie gehört.

Dieses Verdikt kommt einem Knock-out für die olympische Perspektive der IBA gleich – und öffnet andererseits World Boxing, ohne den Verband namentlich zu nennen, eine Tür. Nichts anderes ist aus dem Statement des IOK zum TAS-Urteil, das am Folgetag veröffentlicht wurde, an Subtext herauszulesen.

Schon «wegen der Universalität und der hohen sozialen Integrationskraft» des Boxsports verfolge man weiter das Ziel, ihn im Programm der olympischen Wettbewerbe zu behalten. Dennoch werde man ihn 2028 in Los Angeles nicht ein drittes Mal in Eigenregie organisieren – so wie bei den Spielen in Tokio (2021) und dieses Jahr in Paris, wo jeweils eine Task-Force anstelle der 2019 bereits vorläufig suspendierten IBA diese Aufgabe übernahm. Aus dem Grund bedürfe es «eines anerkannten und zuverlässigen internationalen Verbandes als Partner, so wie in allen anderen olympischen Sportarten».

Das Ziel: die Option Olympia für alle Aktiven zu bewahren

Das dürften van der Vorst und Co. gern vernommen haben. Ihr Ansinnen war es von Beginn, die Option Olympia für alle Aktiven zu bewahren, indem man ein neues, positives Verhältnis zu den Entscheidern in Lausanne aufbaut. Diese fanden ihre Werte unter dem Dach der IBA weder im Verhalten der Kampfrichter noch punkto Transparenz abgebildet.

Ausserdem stiessen sie sich stets daran, dass die Führungsriege um Kremlew bei der Finanzierung auf nicht näher bezifferte Zuwendungen durch den Sponsor Gazprom setzte – und an den Präsidentenwahlen vor zwei Jahren Kremlews einzigen Mitbewerber mit Verfahrenstricks ausbremste. Der hiess Boris van der Vorst.

So erscheint World Boxing plötzlich als einzig ernstzunehmende Adresse, unter der nationale Verbände und deren Aktive ihren Traum von Olympia vielleicht auch über Paris hinaus verfolgen können. In diese Richtung zielte schliesslich auch die Reaktion auf das TAS-Urteil, die World Boxing zwei Tage darauf veröffentlichte. Dieses sei «eine klare und eindeutige Botschaft an alle nationalen Verbände», World Boxing zu unterstützen beziehungsweise sich dort um Aufnahme zu bemühen, hiess es da. Wer das nicht verstehe, begehe einen schweren Fehler, der sich «ruinös für den Sport und höchst zerstörerisch für seine Boxer» auswirken werde.

Das mag dramatisch zugespitzt erscheinen. Gleichwohl versicherten der Präsident und sein Generalsekretär, dass vorsondierende Anrufe aus allen möglichen Ländern just jetzt vermehrt einträfen. Grob geschätzt 65 bis 75 nationale Verbände müssten für eine volle Integration von World Boxing im IOK wohl aufgenommen werden. Diese Zahl dürfte im laufenden Jahr nicht zu erreichen sein. Unterdessen arbeitet man daran, die Verhandlungen mit einem globalen Sportausrüster abzuschliessen – nachdem mit einem australischen Hersteller von Box-Equipment bereits ein Sponsorenvertrag über vier Jahre unterzeichnet worden ist.

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