Freitag, März 28

Die Ukraine dürfe den Krieg nicht verlieren, aber Waffen seien keine Lösung: Das sagt Jürgen Habermas seit Jahren. Nun meldet sich der Philosoph wieder zu Wort. Und es klingt ein bisschen anders.

Philosophen können irren. Und vielleicht besteht ihr Geschäft zu einem grossen Teil nicht daraus, Wahrheiten zu finden, sondern Irrtümer zu erkennen. Auch die eigenen. Das ist nicht einfach, vor allem, wenn Irrtümer auf Thesen aufbauen, mit denen die Philosophen das zu verstehen suchen, was in der Welt geschieht. Und sich am Ende zeigt, dass sich die Welt nicht so leicht erklären lässt, wie man sich das wünschen würde.

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Schon mehrmals hat sich der Philosoph Jürgen Habermas zum Ukraine-Konflikt zu Wort gemeldet. Das erste Mal kurz nach dem Beginn der russischen Invasion. Seither blieb seine Botschaft im Kern die gleiche. Der Westen, kritisierte der 95-jährige Doyen der Sozialphilosophie, setze einseitig darauf, Waffen zu liefern. Dabei müssten sie sich eigentlich eingestehen, dass nur Verhandlungen zu einer Lösung des Konflikts führen könnten.

Da sprach der Denker, dessen Theorie des kommunikativen Handelns auf den «herrschaftsfreien Diskurs» setzt, der alle Gesprächspartner auf den «zwanglosen Zwang des besseren Arguments» verpflichtet. Habermas’ Zwischenruf blieb nicht ohne Widerspruch. Einerseits, weil die zwanglose Vernunft einen schweren Stand hat, wenn das Donnern der Kanonen alles übertönt. Wenn Städte zerstört werden und Menschen sterben. Und anderseits, weil Habermas der Politik und Öffentlichkeit vorwarf, von einer unreflektierten Kriegsbegeisterung befallen zu sein, die achtzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso unverständlich wie verfehlt sei. Und die vor allem in Deutschland nicht massgeblich sein dürfe für politische Entscheidungen.

Revidiert hat Habermas seine Position nie. Er hat sie bekräftigt, doch ohne sie zu präzisieren. Selbstverständlich dürfe die Ukraine den Krieg nicht verlieren, hielt er fest. Und ja, dazu brauche sie Unterstützung. Auch mit Waffen. Aber nicht zu viel. Und nicht allein mit Waffen. Sondern mit Gesprächen. Allerdings äusserte Habermas sich nie darüber, wie Verhandlungen geführt werden sollen, wenn der entscheidende Verhandlungspartner kein Interesse an Verhandlungen hat und wenn keine Einigung darüber erzielt werden kann, was Vernunft sein könnte. Darüber gibt auch seine Theorie keine Auskunft.

Nun wird über einen Frieden in der Ukraine verhandelt. Ohne die Ukraine. Fast ohne Europäer. Und Jürgen Habermas meldet sich erneut zu Wort. Unter dem Titel «Für Europa» äusserte er sich am Wochenende in einem zweiseitigen Essay in der «Süddeutschen Zeitung» über Trump und die grosse Zäsur, die sein Amtsantritt für die Welt bedeute. Über den Westen. Und über die «unverzeihlichen Fehler», die sich Europa angesichts der Neuordnung der globalen Machtverhältnisse zuschulden kommen liess.

Abschied von der Nato

Ein Rundumschlag. Auch über die Ukraine spricht Habermas. Nicht anders, als er es seit 2022 tut. Oder nur um Nuancen anders. Er räumt ein, der militärische Beistand Europas und der USA für die Ukraine sei «gewiss geboten» gewesen. Allerdings nur, weil die amerikanische Regierung keinen Versuch unternommen habe, «dem mit aufmarschierenden Truppen angedrohten Angriff der Russen durch Verhandlungen zuvorzukommen».

Doch statt des «fahnenschwenkenden Kriegsgeschreis und des lauthals angestrebten Sieges über eine Atommacht wie Russland wäre damals ein realistisches Nachdenken über die Risiken eines längeren Kriegs am Platz gewesen», findet Habermas nach wie vor. Auch im eigenen Interesse hätte man versuchen müssen, mit dieser «seit langem absteigenden Imperialmacht Russland möglichst schnell zu Verhandlungen über ein für die Ukraine akzeptables, aber dieses Mal vom Westen gewährleistetes Arrangement zu gelangen».

«Man», das sind die europäischen Staaten. Und das eigene Interesse dieser Staaten hätte für Habermas nicht nur darin liegen müssen, mit Russland zu einer halbwegs gangbaren Lösung zu finden – anscheinend von Anfang an unter Preisgabe der von den Russen besetzten ukrainischen Gebiete. Sondern auch darin, und damit hat er recht: zu erkennen, wie wacklig das Nato-Bündnis geworden ist. Und wie wenig sich Europa langfristig noch auf Amerika verlassen kann. Vor allem mit Blick auf die mögliche Wahl Donald Trumps, die damals noch in der Zukunft lag.

Ohne Schutz der USA

Nun ist Trump Präsident, und Habermas verhehlt nicht, dass das Projekt «Westen» für ihn damit Vergangenheit ist: «Diese politische Grösse ist mit dem jüngsten Regierungsantritt von Donald Trump und dem damit in Gang gekommenen Systemwechsel der USA zerfallen.» Trumps Rede zum Regierungsantritt habe bei ihm «den Eindruck der klinischen Vorführung eines psychopathologischen Falls» hinterlassen. Politisch konstatiert Habermas einen «Epochenbruch», der Konsequenzen für die Ukraine haben werde. Und die Europäische Union vor die Aufgabe stelle, «auf die neue Situation eine rettende Antwort zu finden».

Der grosse Fehler Europas und vor allem Deutschlands sei es gewesen, auf die Einheit des Westens zu vertrauen. Deshalb sei man der Herausforderung ausgewichen, die internationale Handlungsfähigkeit der Europäischen Union zu stärken. Wenn man jetzt von Aufrüstung rede, könne es weder um das Schicksal der Ukraine gehen noch um eine «mögliche oder herbeigeredete aktuelle russische Gefahr für Nato-Länder». Das Ziel der Aufrüstung sei die «existenzielle Selbstbehauptung einer Europäischen Union, der die USA in einer unberechenbar gewordenen geopolitischen Lage möglicherweise keinen Schutz mehr leisten».

Immerhin scheint für Jürgen Habermas nun klar zu sein, dass die Aufrüstung Europas unumgänglich ist und der «zwanglose Zwang des besseren Arguments» nicht genügt, wenn man es mit Staaten wie Russland und China zu tun hat – das sagt er freilich nicht laut. Aber er stellt die berechtigte Frage, wie die EU auf globaler Ebene als selbständiger militärischer Machtfaktor wahrgenommen werden könne, «solange jeder ihrer Mitgliedstaaten über Aufbau und Einsatz seiner Streitkräfte letztlich souverän entscheiden» könne.

Krieg? Was für ein Krieg?

Nur wenn sie kollektiv handlungsfähig sei, gewinne die EU geopolitische Selbständigkeit, lautet die Schlussfolgerung des Essays. Das ist zweifellos richtig. Aus der Feder von Habermas klingt es freilich überraschend, zumal es sich auf die militärische Verteidigungsbereitschaft bezieht, der er in der Vergangenheit wenig bis keine Bedeutung beimass.

In den Überlegungen, die Jürgen Habermas in der 2011 erschienenen Essaysammlung «Zur Verfassung Europas» entwarf, spielt die Möglichkeit bewaffneter Auseinandersetzungen kaum mehr eine Rolle. Krieg scheint etwas, was der Vergangenheit angehört. Überwunden. In Europa sowieso. Genauso wie der Nationalismus, der nur noch als «langer Schatten» auf der Gegenwart liege, wie es in einem der Essays heisst.

«Weltinnenpolitik» ist das Stichwort, um das die Überlegungen zur Zukunft Europas in der Welt damals kreisten. Die grösste Gefahr schien Habermas von den «entfesselten gesellschaftlichen Naturgewalten auszugehen», die er vor allem im globalen Bankensektor sah. Ein paar Jahre später sieht die Welt anders aus. Ganz anders. Und der Philosoph muss konstatieren, dass er sich geirrt hat. Auch wenn er es nicht zugeben mag.

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