Montag, September 30

Israel macht vor, wie ein Land eine akute Bedrohung durch mutiges militärisches Handeln verringern kann. Der Verzicht auf Risiken führt nicht immer zu mehr Sicherheit.

Noch am vergangenen Mittwoch standen Spitzendiplomaten der USA und ihrer wichtigsten europäischen Verbündeten sowie einiger arabischer Staaten am Rande der Uno-Generalversammlung in hektischen Gesprächen zusammen. Ihr Ziel war es, den sich zuspitzenden Konflikt zwischen Israel und dem Hizbullah einzudämmen. Die Diplomaten brachten ein gemeinsames Papier hervor, das eine 21-tägige Waffenruhe forderte. «Es ist wichtig, dass sich der Krieg nicht ausweitet», erklärte der amerikanische Präsident Joe Biden.

Und was geschah wirklich? Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wies die vorgeschlagene Waffenruhe schroff zurück. Nur zwei Tage später proklamierte er vor derselben Uno-Versammlung triumphierend: «Wir werden siegen!» Kurz vor seiner Rede hatte er, wie später bekannt wurde, den Befehl zum schweren Bombenangriff auf die Kommandozentrale des Hizbullah im Beiruter Vorort Dahiye gegeben. Bei diesem wurde der Anführer der Terrormiliz, Nasrallah, getötet.

Selbstverschuldete Machtlosigkeit

Die Vorgänge demonstrieren, in welchem Ausmass die USA und ihre westlichen Verbündeten an Einfluss auf das Geschehen im Nahen Osten verloren haben. Das hat einerseits mit dem viel zitierten Eigennutz Netanyahus zu tun, der zum Schutz seiner eigenen politischen Zukunft und rechtlichen Immunität gegen laufende Strafverfahren ein Interesse daran hat, seine Regierungskoalition durch fortlaufende kriegerische Aktivitäten zusammenzuhalten. Doch das ist nicht die ganze Geschichte.

Der Westen entblösst mit seiner gebetsmühlenhaften Forderung nach Deeskalation in einer Region, deren wichtigste Akteure keinerlei Interesse an einer Entspannung zeigen, bloss seine eigene Distanziertheit und Machtlosigkeit. Natürlich ist das sinnlose tägliche Blutvergiessen schockierend. Das rechtfertigt aber nicht, vor den Realitäten die Augen zu verschliessen. Nicht immer ist Deeskalation der Weg zum Ziel. Manchmal braucht es auch einen mutigen militärischen Schlag, um einen mit terroristischem Furor vorgehenden Gegner entscheidend zu schwächen, bevor man über Frieden verhandeln kann.

Diese Erkenntnis hat sich offenkundig in der israelischen Regierung durchgesetzt. Seit dem 8. Oktober 2023 schoss der Hizbullah auf Befehl Nasrallahs täglich Raketen auf Israel. Rund 60 000 Israeli wurden aus der Grenzregion vertrieben. Nichts deutete darauf hin, dass dieser Terror irgendwann eingestellt würde. Die Situation war nicht tragbar. Nun hat sich Israel entschlossen, ihr mit einem entschlossenen Angriff ein Ende zu setzen.

Damit sind Risiken verbunden, etwa ein Gegenangriff des Hizbullah oder gar die Ausweitung zu einem offenen Krieg mit Iran. Beides ist bisher nicht eingetreten und auch nicht sehr wahrscheinlich, aber es ist nicht auszuschliessen. Eindeutig klar ist bisher allerdings, dass Israel durch die Pager-Attacke auf Hunderte von Hizbullah-Kaderleuten, die Tötung Nasrallahs und die anhaltenden Angriffe auf weitere Führungskräfte, Abschussrampen und Raketenlager die Terrormiliz wesentlich geschwächt hat. Die Bedrohung für das Land und seine Bürger wird unmittelbar reduziert, zumindest für einige Zeit, bis sich die Miliz allmählich wieder rekonstituiert.

Das ist ein riesiger Erfolg, an dem die westlichen Verbündeten Israels keinen sichtbaren Anteil haben. Im Gegenteil, sie haben sich mit ihren permanenten Ermahnungen zur Deeskalation gar dagegengestellt. Statt die Welt zu gestalten und Gefahrenpotenziale mörderischer Aggressoren zu reduzieren, predigt der Westen folgen- und tatenlos. Das signalisiert seinen Gegnern Schwäche und macht die Welt nicht sicherer.

Ängstliche Stärkung der Aggressoren

Ähnlich ist es in der Ukraine. Auch hier ruft der Westen zur Mässigung auf und erlaubt es den ukrainischen Streitkräften nicht, weitreichende westliche Waffen zur Zerstörung von Munitionslagern und Militärstützpunkten in Russland einzusetzen. Dadurch soll die Gefahr einer möglichen Ausweitung des russischen Angriffskriegs in Europa eingedämmt werden. Gleichzeitig wird damit eine inakzeptable Realität gestützt: das schleichende Vorrücken der russischen Streitkräfte in der Ukraine, das Zehntausende Menschenleben kostet und die Zukunft der Ukraine und die Sicherheit Europas langfristig gefährdet.

Der Westen und allen voran seine Führungsmacht USA müssen für ihre eigene Sicherheit die Brandherde auf dieser Welt realistisch einschätzen und entschlossen handeln, wo Schlimmeres verhindert werden kann. Ein stereotypes Streben nach kurzfristiger Deeskalation führt nicht immer zum Ziel.

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