Donnerstag, Juli 4

Bundesrätin Viola Amherd sichert im Tessin die Hilfe des Militärs zu. «Die Lage ist generell äusserst schwierig», sagt der Gemeindepräsident Gabriele Dazio.

Gabriele Dazio ist Gemeindepräsident von Lavizzara. Diese Gemeinde im oberen Maggiatal war neben der Gemeinde Cevio, die das Bavonatal umfasst, besonders stark von den Unwettern betroffen, die in der Nacht von Samstag auf Sonntag Erdrutsche und Gerölllawinen ausgelöst haben. Im Bavonatal sind zwei Deutschschweizer Feriengäste und eine weitere Person gestorben. In einem äusserst emotionalen Statement hatte Dazio am Sonntag unter Tränen erklärt, er hätte sich nie in seinem Leben vorstellen können, ein solches Bild der Verwüstung zu sehen, wie es in der Nacht von Samstag auf Sonntag eingetreten sei. Die Eissporthalle von Lavizzara wurde total zerstört, Ferienhäuser existierten nicht mehr, Freunde seien aus der Gemeinschaft gerissen worden.

Desaströs ist auch die Situation im Dorf Peccia, das eine Skulpturenschule und ein internationales Skulpturenzentrum beherbergt. In der angrenzenden Peccia-Ebene fand just am Wochenende ein Fussballturnier statt. Der Journalist Patrick Mancini nahm daran teil und erzählt gegenüber der NZZ, wie er in der Unwetternacht Zeuge des Naturereignisses wurde: «Strom, Wasser, alles fiel aus: Plötzlich fühlst du dich wie auf einer Insel.» Am Morgen gelang es ihm, nach Prato Sornico zu kommen: «Ich konnte den Ort nicht wiedererkennen.» Schliesslich erreichte er Cevio und überquerte die unversehrte Fussgänger- und Velobrücke: «Das war, als hätte man wieder festen Boden unter den Füssen.» Die anderen Teilnehmenden am Turnier wurden mittlerweile alle ausgeflogen.

Bundespräsidentin Viola Amherd verschaffte sich am Montag ein Bild der Situation und zeigte sich nach einem Helikopter-Überflug ebenfalls tief beeindruckt. Just in Cevio, in unmittelbarer Nähe zur eingestürzten Visletto-Brücke, welche das obere Maggiatal vom unteren abgeschnitten hat, sicherte sie der betroffenen Bevölkerung im Rahmen eines Info-Points die volle Solidarität der Eidgenossenschaft sowie finanzielle Hilfen zu. Im Laufe des Sonntags war die Armee bereits im Einsatz, mit Super-Pumas wurden Personen aus den betroffenen Gebieten ausgeflogen.

Amherd wurde vom Tessiner Regierungspräsidenten Christian Vitta und vom Polizeikommandanten Matteo Cocchi begleitet. Am Rand der Medienkonferenz hat die NZZ nochmals bei Gabriele Dazio, dem Gemeindepräsidenten von Lavizzara, nachgefragt.

Die Gemeinde Lavizzara mit Prato Sornico und Peccia war von den Unwettern sehr stark betroffen. Wie ist die Situation jetzt?

Gabriele Dazio: Am heutigen Montag scheint die Sonne. Und das gibt uns Kraft, die Ärmel hochzukrempeln und nach vorne zu schauen. Es gibt Gebiete in unserer Gemeinde, die sehr stark vom Unwetter betroffen sind, andere weniger. Die Lage ist generell aber äusserst schwierig.

Sie haben schon im Rahmen einer Medienkonferenz sehr emotional darüber berichtet, was in der Unglücksnacht in Ihrer Gemeinde geschehen ist. Waren Sie direkt vor Ort?

Ich habe die Unwetternacht zuerst nicht aus unmittelbarer Nähe erlebt, denn ich hielt mich etwas südlicher talwärts auf. Ab 2 Uhr nachts war ich dann aber in ständigem Kontakt mit unserer Feuerwehr. Schnell war klar, dass es sich um ein immenses Naturereignis handeln würde. Die Feuerwehrleute rieten mir davon ab, zu ihnen zu kommen. Auch ihre Uniformen waren unter Wasser. Später habe ich dann gesehen, was passiert ist: Unsere Gemeinde wurde zerstört.

Bundespräsidentin Viola Amherd hat sich am Montag die Lage in den Unwettergebieten – darunter das obere Maggiatal – angeschaut. Sie haben die Bundesrätin getroffen. Wie wichtig ist so ein Besuch?

Das ist für uns eine sehr wichtige Geste. Es tut uns gut, auch wenn wir wissen, dass der Wiederaufbau Jahre dauern wird.

Können Sie schon an die Zukunft denken?

Es ist noch etwas zu früh, um dazu etwas zu sagen.

Die alpinen Regionen scheinen im Moment von den meteorologischen Ereignissen besonders stark betroffen zu sein.

Das ist wohl so, nach dem Misox hat es nun unsere Region in der italienischen Schweiz erwischt. Gleichwohl sind es meiner Meinung nach zyklische Ereignisse, die ab und zu auftreten, mit dieser Heftigkeit vielleicht einmal in zwei Jahrhunderten.

1986 gab es eine Lawine in Mogno, 1993 starben in San Carlo im Bavonatal zwei Menschen infolge eines Erdrutsches. Liesse sich präventiv in solchen Risikogegenden nicht noch mehr tun?

Ich bin von Beruf Förster, und ich kann versichern, dass wir alles tun, um vorzusorgen. Doch wenn Ereignisse dieser Tragweite eintreten, haben wir Menschen leider wenig zu melden.

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