Freitag, Oktober 18

Dominic Lobalu ist einer der besten Langstreckenläufer der Welt und startet seit dem Herbst unter Schweizer Flagge. Swiss Athletics ist zuversichtlich, dass Lobalu im Sommer an den EM und an den Olympischen Spielen laufen darf.

Für einen Weltklasse-Athleten spielen Schweizer Meisterschaften (SM) eine untergeordnete Rolle. Läufer vom Niveau eines Dominic Lobalu nutzen die nationalen Titelkämpfe nur für ein Training unter Wettkampfbedingungen. Denn Lobalu, 25 Jahre alt, ist einer der besten Langstreckenläufer der Welt. Er hat in der Diamond League schon über 3000 Meter triumphiert und ist die 5000 Meter unter der magischen Marke von 13 Minuten gelaufen (12:52,15 Minuten).

Doch Lobalu ist noch nie an nationalen Titelkämpfen angetreten.

Am Sonntag wird sich das ändern, Lobalu läuft an den Hallen-SM in St. Gallen die 3000 Meter. Anders als im letzten Jahr wird seine Leistung offiziell gewertet. Er sagt: «Ich bin noch nie für meine Heimat gelaufen. Diese Heimat habe ich nun gefunden.» Und sein Trainer Markus Hagmann sagt: «Diese SM werden viele Emotionen auslösen, bei Dominic, aber auch im Umfeld.»

Lobalus Geschichte ist vielfach erzählt – und vertrackt. Als Neunjähriger flüchtete er aus dem Sudan nach Kenya, die Eltern wurden im Bürgerkrieg umgebracht. Auf der Flucht wurde das Lauftalent entdeckt, Lobalu fand Unterschlupf im Refugee-Team von World Athletics in Kenya. An einem Rennen in Genf im Mai 2019 setzte sich Lobalu jedoch von der Equipe ab. Versprechungen ihm gegenüber seien nicht eingehalten worden, sagte er. Über Umwege kam er in ein Flüchtlingsheim im Toggenburg, dort entstand der Kontakt zum Trainer Hagmann und zum LC Brühl. Lobalu läuft seitdem im Klub aus St. Gallen.

Für die Heimat Südsudan startete er nie, den Staat gibt es erst seit 2011. Lobalu hat nie dort gelebt, er wohnt seit 2019 in Abtwil (SG). Er verfügt zwar über die südsudanesische Staatsbürgerschaft, schliesst jedoch einen Start für dieses Land aus, weil dort eine Volksgruppe regiert, die seine Eltern umgebracht hat. Den Schweizer Pass darf er frühestens 2031 beantragen. Dann dürfte sich seine Sportkarriere dem Ende zuneigen.

Dominic Lobalu chases down Jacob Kiplimo to win Stockholm 3000m - Wanda Diamond League 2022

World Athletics will Lobalu bis 2026 warten lassen

Nebst World Athletics unterhält auch das Internationale Olympische Komitee ein Flüchtlingsteam. Nur ist Lobalu für diese Equipe in Paris nicht startberechtigt. Er hat in der Schweiz keinen Flüchtlingsstatus mehr, sondern eine Aufenthaltsbewilligung B. Lobalu und der Schweizer Verband Swiss Athletics suchten vor einem Jahr eine Möglichkeit, um dem Weltklasse-Läufer eine Startmöglichkeit auch an Grossanlässen zu verschaffen. Im April 2023 kam Bewegung in die Causa. Swiss Athletics stellte beim Weltverband den Antrag, Lobalu künftig unter Schweizer Flagge starten zu lassen. World Athletics hatte der Schweiz diesen Weg zu einer Startberechtigung empfohlen.

Die Weltmeisterschaften in Budapest letztes Jahr verpasste Lobalu trotzdem, World Athletics gab dem Gesuch erst im vergangenen September statt. Lobalu ist seitdem für die Schweiz start-, rekord- und titelberechtigt. Schon Ende Dezember und im Januar egalisierte er in Barcelona und Valencia die Europarekorde über 5 km und 10 km auf der Strasse – für die Schweiz, ohne Schweizer Pass. Hat sich die Geschichte zum Guten gewendet?

Die Antwort lautet: «Jein». Lobalu darf zwar für die Schweiz starten. Er habe, wie er sagt, eine «Heimat» gefunden. Doch World Athletics hat ihm eine Wartefrist von drei Jahren für internationale Titelkämpfe auferlegt. Lobalu darf erst ab April 2026 auch an Olympischen Spielen, WM und EM starten. Er droht die EM in Rom sowie die Sommerspiele in Paris zu verpassen.

Seit einigen Jahren müssen Nationenwechsel von Athletinnen und Athleten vom Nationality Review Panel von World Athletics bewilligt werden. Damit soll verhindert werden, dass gewisse Länder starke Sportler kurzerhand einbürgern – für die Jagd nach Medaillen. Das Panel verlangt unter anderem Nachweise, dass ein Athlet im neuen Heimatland über eine längerfristige Perspektive verfügt und integriert ist. «Das geschieht durchaus zum Schutz der Sportlerinnen und Sportler», sagt der Präsident von Swiss Athletics, Christoph Seiler.

Der Entscheid dürfte im Frühling fallen

Gegen die Wartefrist von drei Jahren für Lobalu hat Swiss Athletics beim Weltverband ein Wiedererwägungsgesuch gestellt. Dafür gebe es mehrere Gründe, sagt Seiler. Lobalu erfülle die Kriterien für die sofortige Startberechtigung bei internationalen Meisterschaften. Lobalu lebt seit fast fünf Jahren in der Schweiz, von der Sozialhilfe war er nie abhängig. Er bestreitet den Lebensunterhalt mit dem Sport. Interviews gibt er mittlerweile auf Deutsch. «Wir wollen ihm nun eine längerfristige Aufenthaltsgenehmigung verschaffen», sagt Seiler.

Seiler hofft, dass diese Perspektive und die Verwurzelung in der Ostschweiz den Weltverband überzeugen werden, Lobalu schon 2024 an internationalen Titelkämpfen starten zu lassen. World Athletics wird den Antrag zeitnah behandeln und hat dem Schweizer Verband einen Entscheid im Frühjahr in Aussicht gestellt. «Ich bin deshalb zuversichtlich, dass Dominic an den EM in Rom und bei Olympia starten kann», sagt Seiler. Bei einem negativen Bescheid werde Swiss Athletics wohl den Rechtsweg beschreiten, also den Internationalen Sportgerichtshof (TAS) in Lausanne anrufen.

Über die Ungewissheit sagt Lobalu wenige Tage vor den Schweizer Meisterschaften: «Ich konzentriere mich auf das Training. Alles andere habe ich nicht in der Hand. Ich versuche das auszublenden.» Kaum jemand zweifelt daran, dass Lobalu an diesem Wochenende Schweizer Meister wird. Für den Abend hat ihn der Trainer Hagmann zum Znacht eingeladen. Er weiss: Lobalu wird an diesem Sonntag mehr zu feiern haben als einen Rennsieg.

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