Dienstag, November 19

Die ZSC Lions dürften die Trainerfrage erst nach der Saison klären –der Umgang mit dem Meistertrainer Marc Crawford zeugt von Klasse. Und der Sportchef Sven Leuenberger hat bald so lange in Zürich gewirkt wie Simon Schenk, der Baumeister des neuen ZSC.

Im Dezember 2022 wollte Marc Crawford eigentlich mit seiner Partnerin Helene nach Aruba, doch der Sirenengesang der ZSC Lions verhinderte die Karibikferien. Hat er den Trip inzwischen unternommen? «Nein», sagt Crawford, «aber wir werden das nachholen.» Zu Monatsbeginn verbrachte das Paar ein paar Tage unter der Sonne Spaniens, es war nicht der schlechteste Kompromiss.

Es gibt bestimmt wichtigere Themen als die Ferienplanung eines ZSC-Trainers, aber Crawford ist ein Spezialfall. 64 wird er im Februar, er ist der älteste Coach der Liga. Und hat mehrfach öffentlich gesagt, dass er einen Verbleib in Zürich davon abhängig mache, wie es um seinen Energiehaushalt bestellt sei. Ob er die Kraft aufbringe, um die Strapazen dieses Jobs zu bewältigen.

Im Moment ist das der Fall, aber die Befindlichkeit nach einem Drittel der Saison muss nicht zwingend jene nach intensiven Play-off-Monaten spiegeln. Auch wenn es hilft, dass in der Schweiz im Vergleich zur NHL nur 52 statt 82 Qualifikationspartien gespielt werden. Und es drei Nationalmannschaftsunterbrüche gibt, in denen sich die Batterien aufladen lassen – egal, ob in Winkel oder auf Teneriffa.

Crawford macht sich auch Gedanken um seine Familie, um das Leben nach dem Eishockey, nach mehr als drei Jahrzehnten im Trainermetier. Er sagt: «Mein Vater hat im Eishockey gearbeitet, bis er 85 Jahre alt war, und ich habe mitbekommen, was das für meine Mutter bedeutete. Meine Frau mag, dass ich Trainer bin. Aber ich möchte, dass sie sich auf das freuen kann, was danach kommt: sie zuerst, nicht der Sport oder ich.»

Und was seine Familie angeht: «Ich habe immer versucht, die wichtigen Daten wahrzunehmen. Geburtstage und Schulabschlüsse zum Beispiel. Es ist wichtig, dass man sich kümmert und interessiert, die Kinder vergessen es dir nicht, wenn du für sie da bist. Es gibt nun einmal wichtigere Dinge als den Sport, als Siege und Punkte. Aber klar: Oft ist man nicht da, das lässt sich leider nicht ändern. Ich versuche aber schon, allen klarzumachen, dass es nicht immer nur um das Team, den Sport und den Erfolg geht. Jeder hat sein Leben und seine Prioritäten.»

Crawford wird eine sorgfältige Güterabwägung vornehmen, und es ist sein gutes Recht, das erst nach der Saison zu tun. In gewisser Weise hat er sich das verdient, schliesslich ist er der einzige Coach, der diese Organisation zu zwei Meistertiteln geführt hat.

Der ZSC-Sportchef Sven Leuenberger hat seinen Vertrag bis 2027 verlängert

Letzteres ist eine Facette, die in die Vista der Arbeitgeberseite hineinspielt. Der Sportchef Sven Leuenberger sagt: «Wir haben überhaupt keine Eile und geben Marc die Zeit, die er braucht.» Leuenbergers Coolness mag auch daher rühren, dass er seinen Vertrag bis 2027 verlängert hat. Er übernahm die Geschicke des ZSC im Sommer 2017. Erfüllt er seinen Vertrag – und davon ist auszugehen, er ist inzwischen völlig unbestritten –, wird er so lange im Amt sein wie Simon Schenk; der 2020 verstorbene legendäre Baumeister des neuen ZSC, der diese Organisation nach der Fusion mit GC im Jahr 1997 mit starker Hand zum Spitzenteam formte.

Aber unabhängig von Leuenberger hat eine übergeordnete Gelassenheit den ZSC erfasst, die sich nicht zuletzt aus der im Frühjahr errungenen Meisterschaft speist und dieser Vorzeigeorganisation im europäischen Eishockey gut ansteht, weil sie von Klasse zeugt, von Grandezza. Die Übereinkunft, den Zukunftsentscheid aufs Frühjahr zu vertagen, dokumentiert gegenseitigen Respekt.

Und es spricht auch für Crawford, dass er es nicht nötig hat, mit einem dieser oft arg kindischen Pokerspiele auf eine vorzeitige Vertragsverlängerung zu drängen. Das geschieht oft genug in der Schweiz, bei den Klubs und beim Verband; es würde nicht schaden, wenn das Zürcher Beispiel Schule macht.

Im ZSC gibt es ein inneres Vertrauen, eine Gewissheit, dass das Team über so viel Qualität verfügt, dass auch ein anderer Trainer damit erfolgreich arbeiten könnte. Und es gibt stets genügend arbeitssuchende Coachs – für eine so attraktive Stelle wie die des ZSC treffen schnell hundert Bewerbungen ein.

Sollte Crawford sich fit genug für eine Fortsetzung seines Zürcher Abenteuers fühlen, gibt es wenig Anlass für einen Wechsel: Der ZSC ist Tabellenerster und dürfte am Dienstagabend in der Swiss-Life-Arena gegen die Straubing Tigers den Einzug in den Viertelfinal der Champions League vollziehen – das Hinspiel in Niederbayern hatten die Zürcher 4:2 gewonnen. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass der ZSC eine sportlich so sorgenfreie Spielzeit verlebt. Nach dem zuvor letzten Titel von 2018 stürzten sie in einer würdelosen Folgesaison ins Play-out; auch die Reaktivierung des Trainers Arno Del Curto brachte keine Wende.

In fünf ganzen Crawford-Saisons hat der ZSC vier Mal die Qualifikation gewonnen

In die gegenwärtige Spielzeit ist der ZSC mit einer weitgehend unveränderten Mannschaft gestartet, bis auf Promotionen vom Farmteam GCK Lions tätigte der Klub keinen einzigen Schweizer Zuzug. Es ist ein Risiko, nach einem Meistertitel keine Blutauffrischung durchzuführen, doch unter Crawford ist das Team stabil; der Coach hat dieser Mannschaft, die noch vor nicht allzu langer Zeit für ihre Launenhaftigkeit berüchtigt war, den Schlendrian ausgetrieben.

In neunzehn Meisterschaftsspielen hat der ZSC nur zwei Mal keinen Punkt geholt, mehr Konstanz ist in dieser ausgeglichenen Liga schwerlich zu erreichen. Vielleicht ist diese Beständigkeit Crawfords eindrücklichster Verdienst in seinen zwei Amtszeiten hier: Von den fünf Qualifikationsphasen, die er vom Anfang bis zum Ende verantwortete, hat der ZSC vier auf Platz 1 abgeschlossen. Und liegt derzeit schon wieder vorne. Bei den Buchmachern sind die Zürcher längst abermals Titelfavorit Nummer eins.

Es wäre Crawfords Opus magnum, würde er den ZSC gleich noch einmal zum Titel führen. Und vermutlich würde das die Verlockung grösser machen, auf dem Höhepunkt dem Sonnenuntergang entgegenzureiten. In Aruba, beispielsweise.

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