Samstag, Oktober 19

Zürich schiebt konsequent ab, doch die Hürden sind hoch, wie derzeit das Beispiel Türkei deutlich macht.

Wer als abgelehnter Asylbewerber die Schweiz verlassen muss, steht in der Regel am Flughafen Zürich das letzte Mal auf helvetischem Boden. Vier von fünf Rückführungen laufen über den grössten Airport des Landes.

Für den Vollzug am Flughafen zuständig ist die Kantonspolizei Zürich. Gut 3400 Rückführungen nahm sie im letzten Jahr vor. Dieses Jahr dürften es noch mehr werden; allein im ersten Halbjahr waren es bereits knapp 2400 Personen.

Für einen einzigen Ausschaffungsflug sind 30 bis 50 Kantonspolizisten am Boden im Einsatz. Sie betreuen die Personen bis zum Abflug, begleiten sie zur Maschine. In gewissen Fällen fliegen Polizisten auch mit.

«Würde der Kanton Zürich diese Arbeit für den Bund und die anderen Kantone nicht erledigen, würde das Schweizer Asylsystem von heute auf morgen stillstehen», sagt der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr (parteilos).

Direkt zurück in die Heimat geht es bei weitem nicht immer. Viele Fälle sind sogenannte Dublin-out-Verfahren; Personen, die entweder illegal über einen Dublin-Staat eingereist sind oder die in einem Dublin-Staat bereits ein Asylgesuch gestellt haben, werden dorthin zurückgebracht.

Sogar die Wellensittiche dürfen mitfliegen

In der Woche vom 3. bis zum 10. Oktober wurden zum Beispiel eine türkische Familie mit sechs Personen und eine Frau aus Kamerun nach Österreich geschickt, dazu ein Algerier in die Niederlande. Sie alle waren in der Schweiz dem Kanton Zürich zugeteilt gewesen.

Eine weitere Familie mit sechs Personen reiste in der gleichen Woche freiwillig nach Kolumbien aus. In solchen Fällen bietet die Schweiz eine Unterstützung mit Rückkehrhilfen. «Der Vollzug im Konsens ist immer am besten», sagt Fehr. «Die Menschen sollen in Würde in ihre Heimat zurückreisen, und wenn sie freiwillig gehen, dann kommen wir ihnen auch entgegen. Wir haben schon Velos mitgeschickt – und sogar Wellensittiche.»

Die Kritik, dass man abgewiesenen Asylsuchenden solche Extrawünsche gewähre und ihnen sogar noch Geld für den Start in der Heimat mitgebe, lässt Fehr kalt. «Wer so argumentiert, kann nicht rechnen. Es kostet uns sehr viel mehr, jemanden zehn, zwölf Jahre hier in der Schweiz zu unterstützen, als ihn rechtzeitig in ein Flugzeug zu setzen und ihm vor dem Abflug ein wenig Geld in die Hand zu drücken.»

Insgesamt nahm in der erwähnten Woche der Bestand an abgewiesenen Asylbewerbern in der Nothilfe im Kanton Zürich von 583 auf 564 Personen ab. «Das war eine gute Woche», resümiert Fehr. «Als ich 2011 Sicherheitsdirektor wurde, hatten wir rund dreimal so viele offene Fälle wie heute.»

Längstens nicht alle Kantone vollziehen die Rückführungen so konsequent wie der Kanton Zürich. Prozentual besonders hoch sind die Pendenzen in Westschweizer Kantonen wie der Waadt.

«Der Bund hätte Möglichkeiten, diese vollzugsunwilligen Kantone in die Pflicht zu nehmen, er unternimmt aber leider zu wenig», sagt Fehr. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) schreibt dazu, die Unterschiede unter den Kantonen könnten verschiedene Gründe haben; ein Vergleich sei schwierig.

Was tun mit den Türken?

Doch auch Zürich kann nicht in jedem Fall so walten, wie es gerne würde. Dabei geht es derzeit vor allem um ein Land: die Türkei.

Viele Türken stellen mit gefälschten Dokumenten, die ihre Verfolgung belegen sollen, Asylanträge in der Schweiz. Die NZZ berichtete im Juli davon, dass ein türkischer Anwalt Landsleute bei den Behörden der Heimat anzeigte, weil sie regimefeindliche Propaganda im Internet veröffentlicht hätten. Die Landsleute hatten ihn aber genau dafür bezahlt. Mit der Anzeige sollten sie ihre Gefährdung im Heimatland nachweisen können.

Sie alle müssten die Schweiz verlassen, tun dies aber nicht. «Nur etwa ein Achtel sind Dublin-out-Fälle», sagt Fehr. Personen also, die in jenes europäische Land gebracht werden können, aus dem sie in die Schweiz eingereist sind. Der Rest, etwa 70 Personen, müsste direkt in die Türkei abgeschoben werden, doch das ist schwierig.

Die Schweiz hat dieses abgekartete Spiel zwar durchschaut, dennoch gestaltet sich die Rückführung schwierig. Im Kanton Zürich befanden sich per Anfang Oktober 91 Türkinnen und Türken als abgewiesene Asylbewerber in der Nothilfe, so viele Personen wie aus keinem anderen Land.

Diese würden alles unternehmen, um das Verfahren zu verzögern, sagt Fehr. Es gebe Mehrfach- und Wiedererwägungsgesuche. Vor allem aber sei die Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden kompliziert. «Ausreisepflichtige müssen obligatorisch beim Konsulat vorsprechen», sagt Fehr. «Doch sie erhalten nur dann einen Termin, wenn sie bereits ein Flugticket besitzen.» Es müssten immer alle Familienangehörigen vorsprechen, und das Einreisepapier sei dann nur gerade 30 Tage gültig.

«Das alles erschwert den Vollzug unnötig», sagt Fehr, der das SEM darum gebeten hat, dass der Bund bei der Türkei interveniere, damit die Rückführungen einfacher möglich würden.

Ob bald mit einer Lösung zu rechnen ist, bleibt unklar. Das SEM schreibt auf Anfrage der NZZ, man äussere sich nicht zu Verhandlungen mit einzelnen Staaten.

Das Vertrauen schwindet

Der Vollzug ist für Fehr ein integraler Teil des Asylwesens. «Wir müssen anerkannte Flüchtlinge konsequent integrieren, aber wir müssen jene, die nicht bleiben können, genauso konsequent zurückweisen», sagt er. Dies sei wichtig, wenn der Staat das Vertrauen der Bevölkerung in das Asylsystem nicht verspielen wolle. «Wenn wir nicht konsequent handeln, dann werden wir eines Tages die Quittung erhalten.»

Dafür, dass das Vertrauen schwindet, gibt es auch im Kanton Zürich Anzeichen. Das Zürcher Stimmvolk lehnte es im September ab, abgewiesenen Asylbewerbern, die vorläufig aufgenommen sind, Stipendien zu gewähren. «Um Stipendien ging es dabei aber nur am Rande», glaubt Fehr. «Die Leute wollten vor allem ihre Unzufriedenheit mit der Bundespolitik im Asylsystem zum Ausdruck bringen.»

Bereits 2016 hatten die Schweizer Stimmbürger ein modernes Asylrecht an der Urne beschlossen, seit 2019 ist es in Kraft. Die Idee damals war, dass ein Asylverfahren innerhalb eines Jahres rechtskräftig abgeschlossen werden sollte – inklusive Wegweisung.

Doch beim Bund seien nach wie vor über 12 000 Fälle offen, sagt Fehr. «Ein riesiger Pendenzenberg! Die optimale Zahl der offenen Fälle wäre deutlich tiefer, maximal bei 5000.» Seien es mehr, blieben die Leute zu lange, die Entscheide fielen zu spät und der Vollzug werde schwierig. «Es ist unverständlich, dass der Bund nicht endlich vorwärtsmacht mit dem Abbau der Pendenzen.»

Das SEM schreibt dazu, dass der Abbau der hängigen Gesuche einer der Schwerpunkte des EJPD-Chefs Beat Jans sei. Allein im Februar habe der Bundesrat 60 zusätzliche Vollzeitstellen bewilligt. Seit Ende 2023 sei die Zahl der offenen Fälle von gut 15 600 auf noch 12 400 per Ende September gesunken. Es sei vorgesehen, dass die erstinstanzlichen Fälle bis Ende 2026 auf 5800 reduziert werden könnten.

Keine Lager wie die Italiener

Auch andere Länder müssen für die Wellen von Asylbewerbern neue Lösungen finden. Deutschland hat verschärfte Grenzkontrollen eingeführt. Polen, konfrontiert mit Asylbewerbern, die via Weissrussland einreisen, will das Asylrecht teilweise sogar aufheben. Italien wiederum hat ein Auffanglager in Albanien eingerichtet, und Grossbritannien wollte unter der inzwischen abgewählten konservativen Regierung Asylbewerber nach Rwanda bringen, die Pläne wurden aber sistiert.

Ein ähnliches Vorgehen sei für die Schweiz derzeit nicht notwendig, sagt Fehr. «Aber wir müssen die Entwicklungen in unseren Nachbarstaaten sehr aufmerksam beobachten.» Von einem «Asylchaos», wie es die SVP nennt, könne keine Rede sein. «Unser Asylsystem funktioniert dann, wenn wir es konsequent umsetzen.» Dies sei auch fair gegenüber den Antragstellern. Sie hätten ein Recht darauf, rasch zu erfahren, ob sie bleiben könnten oder nicht.

Fehr weist darauf hin, dass in den Herkunftsländern und bei den kriminellen Schlepperbanden jede Änderung, jede Verzögerung und jede Öffnung sofort registriert werde. «Diese Menschen laufen nicht einfach auf gut Glück los», sagt er. «Ihre Schlepper wissen genau, wohin sie sie dirigieren werden.»

Das spiegelt sich auch in der Zürcher Statistik der abgewiesenen Asylbewerber, die nur noch Nothilfe erhalten. Unter den Top Ten der Nationalitäten befindet sich ein Land, das in der Asyldebatte kaum je zum Thema wird: Burundi.

Dass das kleine ostafrikanische Land so weit vorne auftaucht, hat mit einem europäischen Land zu tun – Serbien. Die Balkanrepublik ist weder in der EU noch Teil des Dublin-Asylsystems, doch sie ist Nachbarin von beiden und hat unter anderem Ägyptern, Burundiern, Tunesiern, Indern und Kubanern bis vor kurzem die visumsfreie Einreise gestattet.

Diese kamen auch, aber natürlich nicht, um die Schönheiten Belgrads zu bestaunen, sondern um von Serbien einfach in die EU und ins Dubliner Asylsystem zu gelangen. Vom Flughafen Belgrad bis an die kroatische Grenze sind es nur gerade 100 Kilometer.

Erst auf Druck der EU und der Schweiz verschärfte Serbien seine Visumspflicht, doch die Auswirkungen hallen nach, auch am Flughafen Zürich: Eine der häufigsten Destinationen für Dublin-out-Flüge ist bis heute Zagreb, die Hauptstadt Kroatiens.

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