Donnerstag, Oktober 3

Die Zünfte seien nicht genügend um das Wohlergehen der Pferde besorgt, heisst es in einem neuen Bericht. Das weisen die Verantwortlichen zurück.

Das Highlight des Sechseläutens wird am Samstag in Heiden mit einer Kuriosität nachgeholt: Am «Böögg-Azönde» im Kanton Appenzell Ausserrhoden «galoppieren» Mitglieder der Zunft zur Schneidern auf Steckenpferden um den Scheiterhaufen. Der Grund: Das Gelände auf der Streuliwiese lässt einen Umritt mit Pferden nicht zu.

Der Einsatz von Steckenpferden dürfte aber etwas Besonderes bleiben, denn Pferde sind ein wichtiger Bestandteil des Zürcher Frühlingsfests. Die meisten Zünfte nehmen mit Reitergruppen und Pferdewagen am Umzug durch die Innenstadt teil. Insgesamt werden am Sechseläuten jedes Jahr rund 550 Pferde mitgeführt.

Ihr Einsatz sorgt immer wieder für Diskussionen. Im Jahr 2015 brach ein Pferd zusammen und verendete noch auf dem Sechseläutenplatz. Eine Autopsie ergab, dass das Pferd Herzrhythmusstörungen aufgewiesen hatte. Zwei Jahre später kam eine Untersuchung der Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich zu dem Schluss, dass die Pferde am Sechseläuten zwar Stress und Lärm ausgesetzt seien, beides aber moderat und zumutbar sei.

Ein am Dienstag publizierter Bericht des Zürcher Tierschutzes und der Stiftung für das Tier im Recht zeichnet nun ein anderes Bild: Das Sechseläuten werde für einen grossen Teil der eingesetzten Pferde «nicht tiergerecht» durchgeführt, heisst es darin. Der Hauptkritikpunkt: Viele Tiere signalisierten Angst, Stress und Schmerzen.

Die beiden Organisationen begleiten das Sechseläuten seit 2017 aus Sicht des Tierschutzes und verfassen einen Bericht dazu; dieses Jahr wurde er erstmals veröffentlicht. In Absprache mit dem Zentralkomitee der Zürcher Zünfte (ZZZ) dokumentieren die Organisationen jeweils mit Foto- und Videoaufnahmen die Ankunft der Pferde, die Sicherheit für Mensch und Tier während des Umzugs, Anzeichen von Stress sowie Hinweise auf eine allfällige Sedierung der Pferde. Damit ist die Verabreichung von Beruhigungsmitteln gemeint.

Pferd wird während einer Pause gemolken

Im Bericht zum diesjährigen Sechseläuten sind zahlreiche Momentaufnahmen festgehalten, die aus Sicht des Tierschutzes problematisch sind. So sind auf Fotos Pferde zu sehen, die stark schwitzen, das Maul aufreissen, mit dem Kopf schlagen oder mit weit geöffneten Augen um sich blicken – das seien alles Anzeichen für Unruhe oder Erregung bei Pferden. Plötzlicher Lärm oder ungewohnte Bewegungen, etwa das Fuchteln mit einem Regenschirm, können sie in Angst versetzen.

Andere Bilder zeigen ältere Pferde mit einem sogenannten Senkrücken, die aus Sicht des Tierschutzes nicht für das Sechseläuten eingesetzt werden sollten. Ein Pferd, das offensichtlich ein – nicht am Sechseläuten mitlaufendes – Fohlen hat, wird während einer Pause am Umzug gemolken.

Zudem sind Fälle von falsch angewendeten Zäumungen dokumentiert, die Pferden Schmerzen bereiten können. Als besonders schwerwiegend gilt etwa die Rollkur, eine sehr tiefe Kopf-Hals-Einstellung durch die Einwirkung des Reiters auf dem Pferd. Diese ist gemäss dem Bundesamt für Veterinärwesen verboten. Kritisiert wird zudem ein teilweise grober Umgang der Reiter mit ihren Pferden und ein mangelhaftes Reitniveau.

Der Zürcher Tierschutz und die Stiftung Tier im Recht halten im Bericht fest, dass das ZZZ sowie der amtierende Reiterchef durchaus offen für Kritik seien und Verbesserungen eingeleitet hätten. Unter anderem ist das Brevet, das eine Grundausbildung attestiert, für die Reiter mittlerweile obligatorisch. Im Wartebereich und vor dem Umritt wurde die tiermedizinische Betreuung verstärkt, und die Tiere erhalten Wasser. Zudem habe der ZZZ-Reiterchef die Weisungen zum Schutz von Mensch und Tier verschärft.

Die Verantwortung für die Einhaltung von Tierschutzvorschriften liege in erster Linie bei den Zünften, denen dokumentierte Mängel jeweils zugestellt worden seien. Doch die meisten Zünfte seien «beratungsresistent», heisst es vonseiten der Organisationen: «Über mehrere Jahre wurden die gleichen Tierschutzmängel – oftmals gar die gleichen Personen, Pferde und Gespanne – kritisiert.»

Die Zünfte, so lautet die Forderung der beiden Organisationen, müssten sich deshalb stärker um das Tierwohl bemühen: Jedes Pferd, das am Umzug eingesetzt werde, müsse streng kontrolliert und fehlbare Personen sollten ausgeschlossen werden: «Dadurch wird die Zahl der Pferde massiv sinken, aber die Qualität und die Freude der Bevölkerung am Sechseläuten werden deutlich steigen.»

Sediert werden Pferde, die erstmals mitgehen am Umzug

Der Reiterchef des ZZZ, Michael Hässig, sagt zum Bericht: «Da sind ein paar unschöne Szenen dokumentiert.» Doch der Bericht gebe ein falsches Bild ab. Ein schwitzendes Pferd beispielsweise sei nicht automatisch gestresst. «Es kann auch bedeuten, dass dem Pferd warm ist, weil es im Fellwechsel ist.» Auch ein älteres Pferd mit Senkrücken könne mit gutem Gewissen eingesetzt werden. «Solange es gut bemuskelt ist.»

Hässig ist emeritierter Professor für Veterinärmedizin an der Universität Zürich und reitet seit über dreissig Jahren mit seinen eigenen Pferden am Sechseläuten mit. «Sie haben nie einen Schaden davongetragen», sagt Hässig. Manche Pferde genössen den Umzug und den Trubel sogar. Den Vorwurf, viele Pferde würden am Fest nicht tiergerecht behandelt, weist er zurück. «Wir halten uns ans Tierschutzgesetz.»

Alle Pferde würden vor ihrem Einsatz tiermedizinisch kontrolliert. «Wenn wir das Gefühl haben, dass ein Pferd nicht mitlaufen sollte, sagen wir das den Zünften.» Ihnen obliege letztlich die Verantwortung – auch, was die Ausrüstung von Pferd und Reiter betreffe. Vereinzelt komme es tatsächlich vor, dass den Pferden ein Zaum angelegt werde, der bei falscher Handhabung Schmerzen bereiten könne. «Aber das ist die Ausnahme.»

Warum aber werden Pferden am Sechseläuten Beruhigungsmittel verabreicht? Die Regel sei das nicht, sagt der Tierarzt Hässig. «Sediert werden vor allem Pferde, die zum ersten Mal am Umzug mitgehen und die Situation nicht kennen, weil sie auch nicht geübt werden kann.» Die verabreichte Dosis sei gering – «etwa halb so viel, wie wenn man ein Pferd für den Hufschmied sediert». Damit schade man dem Pferd nicht.

Hässig sagt, dass in den letzten Jahren zahlreiche Verbesserungen durchgesetzt worden seien. Auch das reiterliche Niveau habe sich stark verbessert.

Für ihn ist deshalb klar: Pferde sollen auch in Zukunft am Sechseläuten mitlaufen dürfen.

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