Wie im vergangenen Jahr bekommt der Verteidigungsminister auch diesmal nicht genügend Geld, um die Streitkräfte schnell verteidigungsfähig zu machen. Die Opposition wütet.

Es ist erst ein paar Wochen her, dass deutsche Verteidigungsfachleute vor einer Entwicklung warnten, die nun wahrscheinlich eintreten wird. Die Bundeswehr, formulierten sie sinngemäss, brauche schon im kommenden Jahr deutlich mehr Geld, sonst werde die Zeitenwende scheitern. Von jährlich 25 Milliarden Euro bis 2028 war die Rede – sonst könne Deutschland mittelfristig nicht verteidigungsfähig werden. Es sei nun die Aufgabe der politisch Verantwortlichen, darüber zu entscheiden, ob dieses Geld durch ein weiteres Sondervermögen, eine Lockerung der Schuldenbremse oder durch Umwidmung vorhandener Mittel mobilisiert werde.

Unterschrieben war die Erklärung von Vertretern Bundeswehr-naher Organisationen, sicherheitspolitischer Verbände und der deutschen Rüstungsindustrie. Nach dem Haushaltskompromiss der Ampel-Regierung steht allerdings fest, dass keine der drei vorgeschlagenen Optionen zum Tragen kommt. Der Verteidigungsetat soll im nächsten Jahr lediglich um 1,2 Milliarden Euro auf etwa 53 Milliarden aufwachsen. In den Folgejahren ist keine weitere Steigerung geplant.

Verteidigungsminister Boris Pistorius von den Sozialdemokraten hatte 6,5 Millionen mehr gefordert. Wie schon im Vorjahr, als er ein Plus von gut zehn Milliarden Euro angemeldet hatte, liess ihn sein Parteigenosse und Kanzler Olaf Scholz auflaufen. Mit dem Regierungskompromiss sind nun nicht einmal die Inflationskosten im Wehretat gedeckt. Die vor gut zweieinhalb Jahren von Scholz ausgerufene Zeitenwende lässt sich so in den kommenden Jahren nicht verlässlich finanzieren. Darum soll sich offenbar die 2025 zu wählende neue Bundesregierung kümmern.

Die Folgen der Ampel-Einigung für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands, für Deutschlands Glaubwürdigkeit in der Nato und für die Bundeswehr werden gravierend sein. Zur Erinnerung: Beim Nato-Gipfel 2014 in Wales hatte sich die Bundesregierung angesichts der Krim-Annexion durch Russland verpflichtet, spätestens ab 2024 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Dieses Ziel hat die Regierung in diesem Jahr mit einigen Mogeleien erstmals erreicht.

Sondervermögen ist 2027 aufgebraucht

Dazu hat sie unter anderem ein kreditfinanziertes Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden aufgestellt. Davon sollen vor allem lange überfällige Waffensysteme gekauft werden. Doch dieses Geld wird spätestens 2027 aufgebraucht sein. Wie die Bundesregierung dann das Zwei-Prozent-Ziel erreichen will, haben bisher weder der Kanzler noch sein Finanzminister Christian Lindner von den Liberalen erklärt.

Ohne ein weiteres Sondervermögen müsste der Wehretat, sofern er auf dem heutigen Stand bliebe, 2028 schlagartig um etwa 30 Milliarden Euro aufwachsen. Auf ihrem Gipfel 2023 in Vilnius haben sich die Nato-Staaten in Anbetracht der wachsenden Bedrohung durch Russland allerdings darauf verständigt, dass der Zwei-Prozent-Wert nur noch als Untergrenze gilt. Die Folge ist, dass Deutschlands Militärausgaben in naher Zukunft eher noch stärker steigen müssen. Fachleute fordern daher seit gut zwei Jahren, dass die Bundesregierung parallel zum Sondervermögen den regulären Wehretat sukzessive soweit erhöht, damit der Sprung im Jahr 2028 nicht mehr so gewaltig ausfällt.

Mit dem Haushaltskompromiss der Koalition ist klar, dass dies vorerst nicht geschehen wird. Die Folgen sind erheblich. Die Verteidigungsfachleute warnen in ihrer Erklärung, dass sich in zwei Jahren mit dem Wehretat nur noch die Fixkosten der Bundeswehr decken liessen. Darunter sind etwa Ausgaben für Personal, Material, den Betrieb von Waffensystemen, Fahrzeugen und Kasernen zu verstehen. Spielraum für die Beschaffung neuen Geräts oder von Munition sowie weitere Ausgaben, etwa für die in Litauen geplante schwere Brigade, bestünde dann keiner.

Mehr Geld verplant als vorhanden

Diese Darstellung dürfte allerdings noch zu optimistisch sein. Das zeigt ein tieferer Blick auf das Sondervermögen. Nach Aussage von Kanzler Scholz sind 80 der 100 Milliarden Euro in konkreten Aufträgen gebunden. Doch von den 80 Milliarden sind allein sieben Milliarden für Zinsen auszugeben, die für die Finanzierung des Sondervermögens anfallen.

Hinzu kommt, dass das Verteidigungsministerium nach Angaben des christlichdemokratischen Haushaltsexperten Ingo Gädechens «bestehende Verpflichtungen aus dem regulären Wehretat in Höhe von 30,57 Milliarden Euro in das Sondervermögen umgebucht» hat. Konkret handele es sich um 551 Beschaffungsvorhaben, die ursprünglich aus dem Verteidigungshaushalt finanziert werden sollten. In der Folge bleibt im Sondervermögen weniger Geld für Grossprojekte, für die der 100-Milliarden-Kredit eigentlich vorgesehen war.

Dies hindert Verteidigungsministerium und Bundeswehr allerdings nicht, weiter für viel Geld neue Waffen und anderes Material zu bestellen. Allein in den vergangenen vier Wochen kündigte das Ministerium mehrere Verträge mit der Rüstungsindustrie an, in denen der Kauf von Waffen und Munition in zweistelliger Milliardenhöhe innerhalb der nächsten Jahre vereinbart werden solle. Dabei handelt es sich etwa um 105 Kampfpanzer Leopard 2A8, weitere zwei Fregatten F-126, vier Patriot-Systeme, mehrere tausend Lastwagen und mehrere Millionen Artilleriegranaten. An deren militärischer Notwendigkeit besteht in Fachkreisen kein Zweifel, an ihrer mittelfristigen Finanzierbarkeit schon.

Denn nach Angaben von Haushaltsexperte Gädechens droht der Bundeswehr nicht erst ab 2028, sondern deutlich früher ein gewaltiges Finanzproblem. So gebe es bereits heute bei einer ganzen Reihe von Rüstungsvorhaben signifikante Kostensteigerungen, etwa beim Flugabwehrsystem «Arrow», das rund 855 Millionen Euro teurer werde als geplant. Zudem erhöhten sich die Ausgaben für neue Infanteriefahrzeuge («Schwerer Waffenträger Infanterie») um rund 700 Millionen Euro und jene für die Infrastruktur am Fliegerhorst Büchel (neues Kampfflugzeug F-35) um 645 Millionen Euro. Auch die Wiederbeschaffung von an die Ukraine abgegebenen Waffen und Munition (520 Mio. Euro) aus dem Sondervermögen sei, so Gädechens, bisher nicht eingeplant gewesen.

Ein Desaster für die Bundeswehr

Seine Schlussfolgerung: Das Sondervermögen werde früher als geplant ausgegeben sein. Dann müsste das Geld für Gerät und Munition, zu deren Kauf sich die Bundeswehr zwischenzeitlich verpflichtet hat, aus dem laufenden Haushalt kommen. Der aber bietet dafür nach den Plänen der Regierung Scholz keinen Spielraum.

«Das Verteidigungsministerium hat Beschaffungsverträge unterzeichnet, die im Finanzplan nicht hinterlegt sind», sagte Gädechens der NZZ und spricht von einer schweren Hypothek für die nächste Regierung. Man könne nicht heute ein teures Auto bestellen und hoffen, irgendwann in der Zukunft im Lotto zu gewinnen, um das Auto dann auch bezahlen zu können. Die Haushaltseinigung der Regierung, so der Oppositionspolitiker weiter, sei ein Desaster für die Bundeswehr. «Damit wird diese Regierung immer mehr zu einem Sicherheitsrisiko für Deutschland.»

Exit mobile version