Renaissance
Viele Gäste greifen zum Abschluss eines Restaurantmenus mehr denn je auf Altbewährtes zurück. Crèmeschnitten, Pavlova und Soufflé feiern ein Comeback.
Es gab eine Zeit, da konnte das Dessert im Restaurant nicht ausgefallen genug sein. Die Patissiers der Fine Dinings überboten sich eine Zeitlang mit süssen Phantasien. Es wurde dekonstruiert und variiert, was das Zeug hielt. Irgendwann kamen dann die dezent salzigen Desserts in Mode, und schliesslich wurde mit Gemüse experimentiert – einen caramelisierten Salat ass ich einmal im «Memories» in Bad Ragaz.
Klar, solche Kunstwerke sind mitnichten ausgestorben. Ein paar der besten Restaurants lassen weiterhin kreative Süssigkeitenkunst servieren, auf dass der Gast ein Erlebnis habe. Doch selbiger denkt gerade nicht selten an Bewährtes.
Die Vergangenheit wird lebendig
Fündig werden alle Fans der süssen Renaissance nicht nur in immer mehr Restaurants, sondern auch in alten Koch- und Backbüchern, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg in hohen Auflagen gedruckt wurden. Kuchen, Mousse und Crème werden dort rauf und runter variiert. Verstaubten diese Rezepte jahrzehntelang, besinnen sich die Gastronomen nun wieder auf das Alte – und das nicht ohne Ambitionen.
Die Crèmeschnitte etwa haben manche auf ein Niveau gehoben, das jenes der Beiz ums Eck deutlich übertrifft. Führend ist beispielsweise das «Palace» in St. Moritz. Meine vor ein paar Wochen verkostete Luxus-Crèmeschnitte profitierte vom Können des seit Ewigkeiten amtierenden Chefpatissiers Stefan Gerber, die Île flottante, der in Vanillecreme schwimmende Eischnee, geriet herrlich locker. Zur Afternoon-Tea-Zeit gibt es hier auch Himbeer-Millefeuille oder Pistazien-Financier.
Glace, Mousse und Soufflé
Mehr Mühe als die kalten, vorbereiteten Desserts machen natürlich die warmen, à la minute zubereiteten. Doch auch sie sind wieder häufiger zu finden. Die «Oepfelchammer» in Zürich, ein unterschätztes Lokal, schindet Eindruck mit «Hoengger Oepfelringli» samt Zimt und Zucker. Im «Hôtel de Ville» in Crissier dagegen bestellen die Gäste mit Leidenschaft Soufflés – am liebsten eines mit Pistaziensauce. Allein das Schauspiel des Auftragens, wenn der ganze Tisch Soufflé wünscht und erhält, lohnt den Besuch.
Auch die Mousse au Chocolat feiert eine, wenn auch erst zarte Renaissance. Die beste gibt es wohl im «Memories». Auf Tarte Tatin wiederum, die gestürzte Apfeltorte, versteht sich Küchenchef Stefan Beer im «Radius» des «Victoria Jungfrau». Ins Luzerner «Château Gütsch» sollte man dagegen gehen, um Pavlova zu kosten, ein langsam wieder in Mode kommendes Dessert aus Méringue, Rahm und Früchten.
Und auch ganz zum Schluss des Menus, zum Kaffee, wird es immer häufiger klassisch. Unübertrefflich waren, im letzten Jahr verkostet, die Madeleines aus dem Basler «Roots», aber auch andere Restaurants haben die Vorzüge dieses zarten Gebäcks entdeckt. Cannelés dagegen, noch einer der wiederaufgeflammten Klassiker, bekommt niemand so gut hin wie André Siedl, der Patissier des Zürcher Restaurants Widder.
Wo bleiben Pudding und der Flammeri?
Kein Dessert indes war in den Fünfzigern, Sechzigern und Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts derart in Mode wie die süssen Sülzen und die Flammeris. Sie wurden dekorativ aus Metallformen auf Platten gestürzt und, mal mandelmilchig, mal himbeerrot, als Nachtisch für die ganze Familie oder die Gesellschaft im Restaurant propagiert.
Eine Renaissance dieser Spezialitäten ist in der Schweiz leider noch nicht in Sicht, Wackelpudding und Rote Grütze fristen ein Nischendasein. Wenn einer doch mal einen Pudding anrührt, der in Wirklichkeit gar kein Pudding ist, sondern ein Flammeri, dann stammen die Zutaten meist aus industrieller Produktion, und das Ergebnis wird schmucklos in der Schüssel serviert.
Die echten Puddings dagegen, allen voran der Plumpudding, spielen zwar in der britischen und der US-amerikanischen Gastronomie Rollen, aber (noch) nicht in der schweizerischen. Es wird Zeit, dies zu ändern. Für gute Patissiers bleiben also noch genügend Aufgaben.