Donnerstag, November 13

Ayatollah Khamenei: «Das böse zionistische Regime hat einen weiteren Fehler begangen, der bestraft werden muss. Israel wird bestraft werden.»

Anschläge hier.

Hassan Nasrallah: «Nach der Ermordung des Führers Ismail Haniya muss der Hizbullah reagieren. Der Hizbullah wird darauf reagieren.»

Drohungen da.

Benjamin Netanyahu: «Jeden Angriff gegen uns – egal von wo aus – wird Israel mit einem sehr hohen Preis zurückzahlen.»

Ulrich Schwerin: Und damit steuern die Länder letztlich in unbekanntes Territorium, wo einfach nicht mehr klar ist, was die Regeln sind.

Eskaliert die Lage im Nahen Osten jetzt endgültig?

Die Eskalation im Nahen Osten hat in den letzten zwei Wochen eine neue Stufe erreicht. Verantwortlich dafür sind drei Akteure: Israel, Iran und der Hizbullah.

Die Hamas hat mit dem Überfall am 7. Oktober 2023 zwar den Krieg im Gazastreifen ausgelöst, doch ihre Kräfte sind heute weitgehend dort gebunden. Das sieht bei Israel, Iran und dem Hizbullah anders aus.

Vor allem Israel hat gleich mit zwei Anschlägen seine militärische Macht demonstriert. Für viel Aufregung hat der Anschlag in Teheran vom 31. Juli gesorgt, bei dem der Chef der Hamas, Ismail Haniya, getötet wurde. Dass Israel den Hamas-Chef auf iranischem Boden tötet, ist kein Zufall; die beiden Staaten sind seit 45 Jahren verfeindet.

Ulrich Schwerin: Iran und Israel führen seit Jahren eine Art Schattenkrieg, also eine nicht erklärte militärische Auseinandersetzung, die mit Mordanschlägen, aber auch mit Raketenangriffen, Luftangriffen geführt wird. Also Iran hat sich seit der Revolution dem Kampf gegen Israel verschrieben und die Rufe «Tod Israel» gehören eigentlich zum Standard bei jeder Kundgebung des Regimes.

Der Schattenkrieg zwischen Israel und Iran hat sich in der Vergangenheit mehrheitlich auf syrischem Boden abgespielt. Und: Wenn Israel einen Anschlag verübt hat – und sich wie jetzt nicht offiziell dazu bekannt hat –, dann hat Iran im Gegenzug still seine Stellung in Syrien weiter ausgebaut.

Ulrich Schwerin: In dem Konflikt zwischen Israel und Iran galten über Jahre relativ feste Regeln, die ungeschrieben waren, aber von beiden Seiten bis zu einem gewissen Punkt anerkannt wurden.

Eine grosse Veränderung hat sich dann aber im April 2024 abgezeichnet. Israel hatte das iranische Konsulat in der syrischen Hauptstadt Damaskus angegriffen, es gab mehrere Todesopfer. Iran hat zwei Wochen später mit einem direkten Raketenangriff auf Tel Aviv reagiert. Es war der erste direkte Angriff Irans auf Israel.

Ulrich Schwerin: Und damit haben sich die Regeln dieses Konflikts eben deutlich verschoben.

Aber nicht nur im Konflikt zwischen Iran und Israel haben sich die Regeln verschoben, sondern auch zwischen Israel und dem Hizbullah aus Libanon. Der Hizbullah ist das wichtigste Mitglied der Achse des Widerstands. Das ist jenes Bündnis aus Milizen, das Iran im Nahen Osten über Jahrzehnte gegen Israel und den Westen aufgebaut hat. Zur Achse des Widerstands gehören unter anderem Milizen im Irak und in Syrien, die Huthi in Jemen, die Hamas im Gazastreifen und eben der Hizbullah.

Ulrich Schwerin: Der Hizbullah wurde 1982 gegründet als Organisation der Schiiten für den Kampf gegen Israel, das zu dieser Zeit Südlibanon neu besetzt hatte. Seitdem liegt der Hizbullah letztlich im permanenten Konflikt mit Israel. Das ist ein Auf und Ab. Und es war mal intensiver, mal weniger intensiv.

Seit über 40 Jahren verüben der Hizbullah wie auch Israel an der Blue Line, der Grenze zwischen Israel und Libanon, Angriffe. Nur: Seit dem 7. Oktober 2023 fliegen die Raketen praktisch täglich über die Grenze. Tausende Menschen mussten in den letzten Monaten ihren Wohnort verlassen. Es hat auf beiden Seiten viele Opfer gegeben – zivile wie auch militärische. Der Konflikt hat neue Ausmasse angenommen.

Ulrich Schwerin: Der Hizbullah greift immer weiter im Inneren Israels Ziele an, Israel reagiert darauf wiederum mit Luftangriffen in Libanon. Und auch dort fliegt es Angriffe auf immer weiter abgelegene Ziele, nicht nur in Südlibanon selbst, in der Grenzregion, sondern auch in der Bekaa-Ebene, einer weiteren Hochburg des Hizbullah, und im Süden von Beirut.

Israel hatte am 30. Juli bei einem Anschlag im Süden von Beirut den Hizbullah-Kommandanten Fuad Shukr getötet. Das nur wenige Stunden bevor es in Teheran den Hamas-Chef Haniya umgebracht hat. Israel hat also an zwei Fronten provoziert und seine militärischen Fähigkeiten demonstriert.

Und jetzt? Iran und der Hizbullah drohen mit Vergeltung … und alle sprechen von einem unmittelbar bevorstehenden Krieg. Aber wie wahrscheinlich ist ein Kriegsausbruch wirklich?

Ulrich Schwerin: Letztlich hat Iran kein Interesse an einem offenen Konflikt, an einem offenen Krieg mit Israel, trotz aller Rhetorik. Es war auch immer klar, dass der Hizbullah bemüht ist, diesen Konflikt nicht komplett eskalieren zu lassen. Auch Israel kann in diesem Konflikt eigentlich nur verlieren. Es kann kein wirkliches Interesse daran haben, diesen Konflikt auszuweiten.

Alle drei Akteure haben also nicht wirklich Interesse an einem Krieg. Denn: Eine Eskalation des Konfliktes wäre für alle Seiten extrem verlustreich, die ohnehin schon fragile Stabilität der ganzen Region würde wohl zusammenbrechen, der Westen müsste eingreifen.

Trotzdem hören die Kampfhandlungen, die Provokationen nicht auf. Es ist ein Teufelskreis: Die Konflikte sind so alt, die Fronten so verhärtet, dass keiner jetzt nachgeben will. Gleichzeitig haben Israel wie auch Iran und der Hizbullah vor allem ein Ziel: die eigene Existenz zu sichern. Eine Existenz, die durch die jeweils andere Konfliktpartei bedroht ist.

Ulrich Schwerin: Letztlich wird es auf absehbare Zeit nicht möglich sein, diesen Konflikt zu lösen. Insofern kann das Ziel nur sein, ihn zu entschärfen, etwas einzudämmen. Und dafür ist und bleibt es zentral, einen Waffenstillstand in Gaza zu erreichen. Dies ist nicht nur wichtig, um das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza zu beenden und ein Ende dieser humanitären Krise zu erreichen, sondern auch, um zu verhindern, dass dieser Krieg, dieser Konflikt weiter eskaliert und auch den Rest des Nahen Ostens erfasst.

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